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Frailty Teilweise reversibles Risiko

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Körperliche Gebrechlichkeit ist nicht unbedingt von Dauer und teilweise umkehrbar. Körperliche Gebrechlichkeit ist nicht unbedingt von Dauer und teilweise umkehrbar. © EwaStudio – stock.adobe.com
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In internationalen Leitlinien spielt Frailty bisher kaum eine Rolle, obwohl sie Hospitalisierungsraten und Mortalität von Patienten mit chronischen Lungen­­erkran­kungen in die Höhe treibt. Experten der European Respiratory Society haben sich des Themas angenommen und wichtige Aspekte zusammengefasst. 

Gebrechlichkeit (engl. frailty) ist ein komplexes multi­dimensionales Syndrom, das nicht nur in der Geriatrie häufig zum Problem wird, sondern z.B. auch auf chronische respiratorische Erkrankungen wie Asthma, COPD oder ILD einen negativen Einfluss haben kann. Frailty ist gekennzeichnet durch den Verlust von physiologischen Reserven, was die Empfänglichkeit für ungünstige endogene und exogene Stressoren steigert. Vor allem Patienten mit COPD oder nach Lungentransplantation zeigen eine erhöhte Prävalenz. Diese liegt verschiedenen Studien zufolge bei bis zu 60 %. Am stärksten gefährdet sind Erkrankte mit schwer beeinträchtigter Lungenfunktion, ausgeprägter Dyspnoe und häufigen 
Exazerbationen. 

Ungesunder Lifestyle fördert systemische Inflammation

Als gemeinsame biologische Grundlage von chronischen respiratorischen Erkrankungen und Frailty gilt die systemische Inflammation, gefördert durch Lifestyle-Faktoren wie schlechte Ernährung, Rauchen und körperliche Inaktivität. Der Einfluss ist reziprok: Die Atemwegs­erkrankung erhöht das Frailtyrisiko und die Frailty wirkt sich wiederum negativ auf die Erkrankung aus. 

Für COPD konnte in Studien gezeigt werden, dass Frailty die Progression beschleunigt, die Symptomatik verstärkt und mit häufigen Exazerbationen assoziiert ist. Wenn letztere auftreten, werden die Patienten etwa sechsmal häufiger beatmungspflichtig als nicht-gebrechliche COPD-Patienten. Zudem weisen sie ein vierfach höheres Mortalitätsrisiko auf als fittere Leidensgenossen. 

Trotz der großen Relevanz fand das Thema in den Leitlinien lange Zeit keinerlei Niederschlag. Erst in den jüngsten Updates der COPD-Leitlinien wird es mehr oder weniger kurz erwähnt. Empfehlungen, wie man damit umgehen soll, fehlen jedoch. Deshalb wird bisher bei respiratorischen Patienten auch nicht in ausreichendem Maß nach Anzeichen für Frailty gesucht, mutmaßen die Autoren.

Validierte Instrumente für ein Assessment sind durchaus vorhanden. Der Frailty-Phänotyp nach Fried beurteilt fünf körperliche Leitsymptome:

  • Gewichtsverlust
  • Langsamkeit
  • Schwäche
  • Inaktivität
  • Erschöpfung

Liegen drei davon vor, ist von Frailty auszugehen. Eine weitere Möglichkeit bietet unter anderem der Frailty-Index. Er spiegelt auf Basis von klinischen Symptomen, Laborwerten, Komorbiditäten etc. das Ausmaß der individuellen Defizite wider. Zusätzlich zu diesen speziellen Screenings muss ein umfassendes geriatrisches Assessment durchgeführt werden, um mit Frailty assoziierte gesundheitliche Probleme zu identifizieren und ggf. behandeln zu können. Der Check muss in gewissen Abständen wiederholt werden, da sich die Gebrechlichkeit und ihr Einfluss auf das Krankheitsgeschehen über die Zeit verändern kann – dank rehabilitativer Maßnahmen unter Umständen auch mit positiver Tendenz.

Bei gebrechlichen Patienten lohnt immer eine kritische Überprüfung der aktuell verordneten Medikamente. Zunächst sollte man versuchen, eine Polypharmazie zu reduzieren. Insbesondere müssen Arzneimittel abgesetzt oder ausgetauscht werden, die Frailty verstärken können. Für die Inhalationstherapie sollten nach Möglichkeit niedrig dosierte Substanzen mit geringem Nebenwirkungsprofil gewählt werden, eine regelmäßige Gabe von oralen Steroiden ist zu vermeiden. Bei der Auswahl des Inhalators sollte man die funktio­nellen Fähigkeiten des Patienten berücksichtigen. Frailty darf nach Ansicht der Experten kein Argument dafür sein, Patienten eine respiratorische Standardtherapie vorzuenthalten.

Einige Medikamente, vor allem solche mit anabolen und anti­inflammatorischen Effekten (z.B. Testosteron, Teriparatid, Piroxicam) sowie das Vitamin-D-Analogon Alfacalcidol konnten in kleineren Studien körperliche Leistungsfähigkeit, Muskelkraft und Körperzusammensetzung teils verbessern. Optimierungspotenzial gibt es bei gebrechlichen Patienten meist hinsichtlich des Ernährungszustands. Vor allem muss die Proteinzufuhr erhöht werden, um die Muskelmasse zu steigern. 

Bewegungsprogramme lindern Dyspnoe und Fatigue

Pulmonale Rehabilitation, auch wenn sie nur von kurzer Dauer ist, kann viele physische Auswirkungen von pneumologischen Erkrankungen abmildern. Entsprechende Bewegungssprogramme bessern Belastbarkeit, Muskelkraft, Dyspnoe und Fatigue – allesamt Schlüsselfaktoren von Frailty. Nach einer englischen Kohortenstudie profitieren gebrechliche Patienten sogar am meisten von pulmonaler Reha. Mehr als 60 % der Teilnehmer erfüllten am Ende der Maßnahme nicht mehr die Kriterien für den Frailty-Phänotyp. Körperliche Gebrechlichkeit ist demnach in Teilen reversibel, so die Autoren. Nach akuten Exazerbationen sollte frühzeitig mit einer Reha begonnen werden, damit nicht zu viel Leis­tungsfähigkeit verloren geht. 

Nicht zu unterschätzen sind auch die positiven Effekte einer pulmonalen Reha auf die Psyche. Teilnehmer mit chronischer Lungenerkrankung und Frailty leiden häufig unter Ängs­ten und Depressionen. Durch die Reha lassen sich diese Symptome bei ihnen sogar deutlicher reduzieren als bei nicht-gebrechlichen Lungenpatienten.

Quelle: Osadnik CR et al. Eur Respir J 2023; 62: 2300442; DOI: 10.1183/13993003.00442-2023