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West-Nil-Virus Tropenkrankheit nistet sich in Deutschland ein

Autor: Dr. Elke Ruchalla

Die etwa 50 nm großen kugeligen Arboviren breiten sich in Europa und Nordamerika immer weiter aus. Die etwa 50 nm großen kugeligen Arboviren breiten sich in Europa und Nordamerika immer weiter aus. © wikimedia/Cynthia Goldsmith
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Kommen Kranke mit grippeähnlichen Symptomen in die Praxis, darf man nicht nur Corona- oder Influenza­viren verdächtigen. Zumindest während der Sommermonate sind auch Tropenkrankheiten über einheimische Mücken möglich.

Mit dem West-Nil-Virus (WNV) infizieren sich die meisten über einen Mückenstich. Das Virus führt zu grippalen Beschwerden, jedoch nur bei etwa einem Fünftel bis einem Viertel der Infizierten. Bei den Übrigen kann die Infektion völlig asymptomatisch verlaufen.

Charakteristisch ist ein masernähnlicher, nicht juckender Hautausschlag an Stamm und Extremitäten, der Handflächen und Fußsohlen ausspart, so Dr. Henning Trawinski von der Medizinischen Klinik 2 und Privatdozentin Dr. Corinna Pietsch vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Virologie am Universitätsklinikum Leipzig.

Blut-Hirn-Schranke für das Virus kein Hindernis

Gefährlich wird es, wenn sich die Infektion in Richtung ZNS ausbreitet – glücklicherweise passiert das nur bei weniger als einem Prozent der Erkrankten. Ein erhöhtes Risiko haben v.a. ältere oder komorbide Patienten (z.B. Diabetes oder Hypertonie), Immunsupprimierte bzw. Transplantierte und Personen mit bestimmten Gen-Mutationen. Im Falle einer „West Nile Neuroinvasive Disease“ (WNND) passiert das Virus die Blut-Hirn-Schranke. Der ZNS-Befall zeigt sich klinisch als aseptische Meningitis, (Meningo-)Enzephalitis und/oder anteriore Myelitis mit schlaffer Lähmung, aber ohne sensible Ausfälle, ähnlich einer Poliomyelitis. Im Extremfall kommt es zu einer Tetraplegie mit Ateminsuffizienz. Eine Myelitis kann allerdings auch ohne Hirn(haut)befall auftreten und als Schlaganfall fehlgedeutet werden. Daher schadet bei diesen Patienten ein Blick auf die Haut (Exanthem?) und die Abklärung von Allgemeinsymptomen wie Fieber nicht, denn im Gegensatz zur nur peripheren Infektion mit geringer Letalität stirbt z.B. an der West-Nil-Enzephalitis immerhin jeder Fünfte bis Zehnte.

Ein Guillain-Barré-Syndrom entwickelt sich nur selten und i.d.R. erst, wenn das Krankheitsgefühl bereits nachgelassen hat (bis zu acht Wochen nach der Infektion). Dabei kommt es zu einer symmetrischen aufsteigenden Lähmung mit sensiblen und autonomen Ausfällen.

Vier von fünf Patienten mit neuroinvasivem Infektionsverlauf haben eine okuläre Beteiligung, allerdings variiert deren Schwere. Einige bemerken z.B. die Chorioretinitis als häufigste okuläre Manifestation gar nicht, andere entwickeln teils schwere Sehstörungen. Da theoretisch fast alle Augenstrukturen betroffen sein können, raten die Experten immer dazu, einen Ophthalmologen hinzuzuziehen.

Ausführliche Angaben auf dem Laborbogen helfen

Blutbild und Blutchemie fallen meist unspezifisch aus. Im Liqour zeigt sich oft eine moderate Pleozytose. Serologisch lassen sich außerdem virusspezifisches IgG bzw. IgM nachweisen. Allerdings besteht eine starke Kreuzreaktivität zu anderen Flaviviren (z.B. Gelbfieber-, Dengue- oder ­FSME-Virus). Hatte der Patient bereits eine Flavivirusinfektion/-impfung, erlaubt der Antikörpernachweis keine endgültige Diagnose. Daher empfehlen die Kollegen bei der Anforderung mit Angaben zu Anamnese, Klinik und früheren Impfungen nicht zu knausern – es macht das Labor-Ergebnis aussagekräftiger.

Die Virus-RNA lässt sich mittels RT-PCR auch direkt nachweisen. Urin ist als Ausgangsmaterial am besten geeignet, da die Virämie meist nur kurz anhält. Ein (vermuteter) ZNS-Befall lässt sich über eine negative PCR-Untersuchung des Liquors nicht ausschließen.

Bitte melden!

Nicht vergessen: Die West-Nil-Virus-Infektion ist – wie alle Infektionen durch Arboviren (arthropode-borne viruses) – meldepflichtig.

Weitere Informationen gibt es auf der Seite des Robert Koch-Instituts: 
bit.ly/RKI-West-Nil-Virus

Die Behandlung erfolgt rein symptomatisch, eine spezifische antivirale Therapie fehlt bislang. Führen gastrointestinale Beschwerden dazu, dass der Patient eine Volumengabe benötigt, sollte man ihn stationär aufnehmen. Das kann u.a. im Rahmen einer WNV-Meningitis nötig werden. Risikopatienten und Kranke mit Anzeichen einer Enzephalitis gehören ebenfalls auf Station.

Insbesondere Menschen mit Risikofaktoren sollten daher in (heimischen) Endemiegebieten auf eine gute Expositionsprophylaxe achten. Das beinhaltet Kleidung, die Arme und Beine bedeckt, Repellenzien, und dass man sich abends vorwiegend drinnen aufhält. Zudem empfehlen die Experten Mückengitter oder Moskitonetze und man sollte den Mücken keine Brutplätze (z.B. wassergefüllte Gefäße im Garten) bieten. Eine Impfung existiert bislang nicht.

Quelle: Trawinski H, Pietsch C. internistische praxis 2022; 65: 175-184