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Sauerstofftherapie Viel Luft nach oben

Autor: Dr. Anne Benckendorff

Adäquate Versorgung hat klare Regeln. Adäquate Versorgung hat klare Regeln. © Photographee.eu – stock.adobe.com
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Sauerstoff ist in Kliniken eines der am häufigsten verordneten Medikamente. Ob sein Einsatz lege artis erfolgt, haben Wissenschaftler in einer kleinen Studie untersucht. Angesichts ihrer Ergebnisse droht Schnappatmung.

Die Sauerstoffsättigung (SpO2) gilt als einer der wichtigsten Prädiktoren für Morbidität und Krankenhaussterblichkeit. Nicht nur eine Hypoxämie, auch eine Hyperoxämie kann zu bedrohlichen Komplikationen führen. Doch scheinen sich standardisierte Behandlungsabläufe und das Wissen um die anzustrebenden O2-Sättigungswerte noch nicht etabliert zu haben, wie Dr. Oana Joean von der Medizinischen Hochschule Hannover und Kollegen berichten.

In ihre Analyse flossen Patientendaten aus drei großen Krankenhäusern in Hannover ein. Sie stammten von je einer operativen und einer internistischen Normalstation, einer Intensivstation, der Notaufnahme und vom Rettungsdienst.

Die Erhebung fand jeweils an einem Tag im Herbst 2020 statt. Insgesamt kam ein Kollektiv von 343 Patienten im durchschnittlichen Alter von 66 Jahren zusammen.

Den Auswertungen zufolge erhielten 68 der 343 Patienten (20 %) eine Sauerstofftherapie – die Hälfte von ihnen auf einer Intensiv- oder Intermediate Care-Station, ein Drittel auf einer Normalstation. In 29 % dieser Fälle bestand aufgrund einer Grunderkrankung ein Hyperkapnierisiko, was prinzipiell das Einhalten eines O2-Sättigungsbereichs von 88–92 % erforderlich macht.

Für 46 der 68 mit Sauerstoff behandelten Patienten (68 %) existierte auf der sie versorgenden Station eine Standardarbeitsanweisung (SOP) zur O2-Anwendung. Nur in 26 Fällen (41 %) gab es die schriftliche Verordnung eines Arztes und die hatte meist eklatante Lücken: Gerade mal 19 Anweisungen enthielten konkrete Angaben zum anzustrebenden Sättigungsbereich. Wie Dr. Joean und Kollegen herausfanden, wurde dieser aber nur in 15 Fällen eingehalten.

Kontrolle der Vitalparameter fand manchmal gar nicht statt

Eine vollständige Dokumentation der Vitalparameter Atemfrequenz und SpO2 fand sich bei 28 der 68 Patienten (41 %). In 34 Fällen (50 %) hatte man entweder die Atemfrequenz oder die Sättigung erfasst und in 6 (9 %) auf regelmäßige Messungen ganz verzichtet.

Für drei Viertel der mit Sauerstoff Behandelten waren zumindest Blutgasanalysen aus den vergangenen sieben Tagen vorhanden. Danach befanden sich 64 % im normoxämischen Bereich, 17 % waren hyperoxämisch und 19 % hypoxämisch. Zudem lag bei 41 % der Patienten ohne Sauerstofftherapie, bei denen BGA erfolgt waren, eine Hypoxämie vor.

Nur jeder Vierte mit adäquater Therapie

Nach Einschätzung der Studienautoren erhielt lediglich ein Viertel (17/68) der mit O2 behandelten Patienten eine adäquate Versorgung. Diese setzt Folgendes voraus:

  • vorhandene SOP
  • schriftliche Verordnung mit SpO2-Zielbereich
  • pulsoxymetrische Überwachung der Sauerstoffsättigung
  • Erfassen und Dokumentieren der Vitalparameter
  • Angabe des O2-Flusses

Als einzigen Prädiktor für eine adäquate Sauerstofftherapie konnten die Studienautoren eine Beatmung in den vorangegangenen 24 Stunden identifizieren. Keine Rolle spielte die Existenz einer pneumologischen Abteilung im Haus, eine pneumologische Hauptdiagnose oder ein Hyperkapnierisiko. Dr. Joean und Kollegen befürchten, dass ihre Studienergebnisse repräsentativ für die Situation auch an anderen deutschen Krankenhäusern sein könnten.

Quelle: Joean O et al. Dtsch Med Wochenschr 2022; 147: e62-e69; DOI: 10.1055/a-1821-5994