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Telemedizin Vorteile überwiegen bei Lungenkrebs

Autor: Dr. Moyo Grebbin

Das digitale Fernmonitoring ermöglicht ein schnelleres und effizienteres Handeln auf Seiten der Ärzt:innen. Das digitale Fernmonitoring ermöglicht ein schnelleres und effizienteres Handeln auf Seiten der Ärzt:innen. © iStock/sorbetto
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Elektronische Befragungen von Patient:innen haben das Potenzial, die Versorgung von Menschen mit Lungenkrebs zu verbessern. Zu diesem Schluss kamen Forschende bereits vor der COVID-19-Pandemie. Zwei Experten fassen die Argumente für und gegen diese und andere telemedizinischen Anwendungen zusammen.

Sowohl in den USA als auch in Europa versuchen Forschende bereits länger, mithilfe digitaler Kommunikation das Therapieergebnis bei Erkrankten mit Lungenkrebs zu verbessern. Die Ansätze dafür unterscheiden sich in ihrem Ursprung und ihrer Rationale, erklärte Prof. Dr. Dr. Fabrice Denis vom Institut Jean Bernard in Le Mans. 

Eine US-amerikanische Gruppe stellte 2010 fest, dass Behandelnde die Symptome ihrer Patient:innen oft unterschätzen – vor allem Nebenwirkungen unter der Therapie. Im Gegensatz dazu fußen die europäischen Bemühungen auf einer von Prof. Denis und Kolleg:innen im Jahr 2013 publizierten Theorie zu Chaos und Beobachtbarkeit. „Wir belegten, dass das Tumorwachstum stark von der Interaktion mit dem Wirtsorganismus abhängt und sich gut durch die Chaostheorie beschreiben lässt“, fasste der Referent zusammen. Die individuelle Krebs­evolution über längere Zeiträume sei folglich nicht vorhersagbar. 

Diese Hypothese nahmen die europäischen Wissenschaftler:innen zum Anlass, Symptome möglichst eng über die Zeit zu verfolgen, um Krankheitsrückfälle besser zu detektieren. Im Ergebnis unterscheiden sich die Interventionen auf den beiden Kontinenten jedoch kaum. In beiden Fällen kommen zum Fernmonitoring elektronische Patient Reported Outcomes (ePROs) zum Einsatz: Erkrankte oder Angehörige erfassen typischerweise einmal pro Woche per Smartphone Symptome von Krankheit und Therapietoxizität. Ein Algorithmus wertet diese aus und sendet im Fall von bestimmten Ergebnissen Nachrichten ans medizinische Team. So soll schon bei den ersten Hinweisen sehr schnell ein Arztbesuch oder Bildgebungstermin veranlasst werden. „Betroffene werden zu Akteuren ihrer Versorgung“, kommentierte der Vortragende.

Das braucht es zum Telemonitoring

Bei der Umsetzung und Integration in den Klinikalltag müssen folgende Ressourcen bedacht und eingeplant werden, erklärte Prof. Denis:

  • von den elektronischen Abfragen enthalten 33 % beunruhigende Symptome; mehr als die Hälfte erfordert das Eingreifen einer Krankenpflegekraft
  • die mediane Zeit, bis eine Meldung bearbeitet wird, sollte weniger als 5 Minuten betragen
  • an Personal sind folglich ein:e Krankenpfleger:in pro 500 Teilnehmenden nötig, sowie wöchentlich eine Onkolog:innen-Arbeitsstunde, um die Alarme von knapp 100 Lungenkrebs-Erkrankten abzuklären
  • im Gegenzug ist eine merkliche Entlastung durch unbedeutende Anrufe zu erwarten

In einer Phase-3-Studie untersuchte das Team um Prof. Denis, ob sich das Fernmonitoring positiv auf das Gesamtüberleben auswirkt. Die Teilnehmenden litten an fortgeschrittenem Lungenkrebs, die ePRO-Erhebung begann nach Abschluss der Behandlung. Im Gegensatz zum Kontrollarm waren im ePRO-Arm wesentlich seltener CT-Termine geplant (Stadium IIIB–IV: einmal im Jahr statt alle drei Monate). 

Nach zwei Jahren war das mediane OS unter Telemonitoring um rund sieben Monate verlängert. Die Patient:innen hatten zum Zeitpunkt ihres Progresses einen besseren Performancestatus und erhielten zu 74 % vs. 33 % eine optimale Rezidivbehandlung. Allerdings bekommen heute im Gegensatz zum Studienzeitraum fast alle Erkrankten in Statium IV neue bzw. Erhaltungstherapien, gab der Referent zu bedenken. Die Kostenrückerstattung für ePRO-Applikationen wurde deshalb in Frankreich zunächst gestoppt, und in den Niederlanden eine Bestätigungsstudie initiiert.

Bessere Symptomkontrolle in mehreren Studien

Mehrere Untersuchungen, an denen Erkrankte sämtlicher Krebsarten teilnehmen konnten, bestätigten allerdings die Vorteile durch ein Monitoring per Telemedizin. So verlängerte sich das OS in der Studie STAR um median fünf Monate, wenn während der Chemotherapie ePROs zum Einsatz kamen. Die Betroffenen bewerteten ihre Lebensqualität signifikant besser

In mehreren Arbeiten habe sich zudem gezeigt, dass sich durch ePROs eine bessere Symptomkontrolle erreichen lässt, so Prof. Denis. Aktuell läuft die Studie PRO-TECT, an der knapp 1.200 Patient:innen mit jeglicher Art von metastasierten Tumoren teilnehmen; rund 20 % davon mit Lungenkrebs. Die App wird hier während der Behandlung eingesetzt, auch unter Erhaltungstherapien. 

Zu einigen sekundären Endpunkten liegen bereits Daten vor: So profitierten Erkrankte im experimentellen Arm etwa von einer verbesserten Symptomkontrolle der Fatigue oder Schlaflosigkeit. 13 % mehr Teilnehmende der Prüfgruppe berichteten von einer erhöhten Lebenqualität. Die Adhärenz war über die Zeit stabil und mit mehr als 90 % sehr hoch. Entsprechend zeigten sich die meisten Patient:innen zufrieden mit der Anwendung. Auch das Pflegeteam bewertete das Telemonitoring als hilfreich. Die Pfleger:innen regten jedoch an, dass die Anzahl der Benachrichtigungen über moderate Ereignisse reduziert werden sollte, die keine systematische Intervention erfordern. Ergebnisse zum Gesamt­überleben werden im laufenden Jahr 2022 erwartet. 

ESMO befürwortet ePROs als neuen Standard 

Die Gruppe der an Lungenkrebs Erkrankten in der PRO-TECT-Studie ist älter, leidet unter mehr Komorbiditäten und hat weniger Technik­erfahrung als die Gesamtkohorte, so Prof. Denis. Von ihnen berichteten 97 % während der ein Jahr laufenden Intervention digital mindes­tens einmal ein schweres oder sich verschlimmerndes Symptom. Das am häufigsten und dauerhaftesten angegebene Symptom war Schmerz.

Eine weitere Arbeit, für die Krebspatient:innen randomisiert unter Therapie an einem ePRO-Monitoring teilnahmen, entstand 2020. Mit der Intervention verbesserten sich Symptomkontrolle und Lebensqualität, die Zahl der Notaufnahmen sank um die Hälfte.

Insgesamt sprechen die verfügbaren Daten dafür, so Prof. Denis, eine digitale Fernüberwachung beim Lungenkrebs für die folgenden Indikationen einzusetzen:

  • während der Systemtherapie
  • zum Toxizitätsmonitoring und Nebenwirkungsmanagement aller Behandlungsarten (inklusive zielgerichteter und Immuntherapien)
  • für das Follow-up bei Stadium IIIB–IV Lungenkrebs
  • zur unterstützenden Behandlung
  • bei Palliativpatient:innen
  • zum Lebensende hin

Den klinischen Nutzen des Telemonitorings untermauere Evidenz aus acht randomisierten Studien, sagte der Referent. Nun brauche es groß angelegte Real-Life Erhebungen, um die Vorteile zu bestätigen. In Frank­reich sollen in 2022 neue, für alle Krebsarten zugelassene Applikationen erstattungsfähig werden. Das Land unterstützt die Einrichtung der Fernbetreuung finanziell. Nicht zuletzt würden die neuen, bald verfügbaren ESMO-Richtlinien ePROs als neuen Standard befürworten. 

Doch Telemedizin kann sich nicht nur in der Kommunikation zwischen Behandelnden und Patient:innen lohnen, erinnerte Dr. ­Ananth ­Sivanandan von den Universitätskliniken Nottingham. Auch bei Tumorboards oder in der Pathologie werde sie zunehmend genutzt – vor allem um in der COVID-19-Pandemie Kontakte zu reduzieren. Als Vorteile digitaler Tumorboards nannte der Referent eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Teilnahme, Zeitersparnis, den vereinfachten Zugang zu Meinungen von Expert:innen und eine schnellere Therapieumsetzung. 

„Wenig überraschend ziehen jedoch die meisten Kolleg:innen einer Studie zufolge eine Face-to-Face-Konferenz dem digitalen Tumorboard vor“, berichtete Dr. Sivanandan­. Die physischen Treffen würden als weniger förmlich und spontaner wahrgenommen, und böten mehr Raum für offene Diskussionen. Dem könne man begegnen, indem man statt Telefonie Videokommunikation nutzt, und die Treffen aktiv moderiert, um alle einzubinden. 

Tele-Pathologie spart Wege, Zeit und Geld

In der Pathologie bietet die Verwendung digitaler Technik die Möglichkeit, mikroskopische Präparate und das zugehörige Equipment örtlich von den Personen, die diese bewerten sollen, zu entkoppeln. Das spare Wege, Zeit und oftmals Kos­ten, erklärte Dr. Sivanandan. Auch könnten einfacher Zweitmeinungen eingeholt werden. 

Als weiteres sinnvolles Einsatzgebiet der Telemedizin nannte der Kollege die Nutzung von Apps während der Lungen-Rehabilitation. Das könne die Lebensqualität verbessern – unabhängig vom Krankheitsstatus. „Dieser Ansatz sollte unbedingt weiter verfolgt werden“, unterstrich er. Auch könnten Wearables künftig helfen, den Performancestatus der Patient:innen besser einzuschätzen.

Quelle: Denis F, Sivanandan A; Session „Telemedicine in lung cancer: What to do in 2022?“; European Lung Cancer Congress 2022
European Lung Cancer Congress