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Depression Wearables in die Psychiatrie!

Autor: Dr. Anne Benckendorff

Der große Vorteil der Wearables ist das kontinuierliche Monitoring. Der große Vorteil der Wearables ist das kontinuierliche Monitoring. © Sashkin – stock.adobe.com
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Bei Menschen mit Depression beruhen Dia­gnose und Therapie weitgehend auf den Berichten der Betroffenen – und die sind naturgemäß subjektiv. Wear­ables und Smart­phones dürften in Zukunft helfen, den Verlauf einer Depression besser zu beschreiben und die Behandlung zu optimieren. 

Wearables, insbesondere Armbänder in Kombination mit einem Smart­phone, können eine ganze Reihe von Daten erfassen, die bei der Therapie einer Depression von Bedeutung sind. Dazu gehören der Puls, die elektrische Leitfähigkeit der Haut oder das Ausmaß an körperlicher Bewegung. Von Interesse sind auch initiierte oder angenommene Telefonate und Textnachrichten, die Nutzung bestimmter Apps oder Bezahlvorgänge per Smart­phone.

Anhand der Daten lassen sich therapeutisch relevante Aussagen zu Aktivität oder Schlaf, zum Kommunikationsverhalten und Stressempfinden eines Menschen machen, erläutert eine Autorengruppe um Dr. Szymon­ Fedor­ von Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. In Verbindung mit den Selbstberichten des Kranken ermöglicht die Fülle an Informationen dem Arzt eine umfassende Sicht auf seinen Patienten und dessen Krankheit.

Ein Beispiel aus dem therapeutischen Alltag sind Menschen mit Depression, die mitunter angeben, gut zu schlafen, so die Autoren. Dokumentieren die Sensoren entgegen dieser Selbstauskunft eine eher schlechte Schlafqualität, hat der Arzt einen guten Ansatz für seine Therapie, der ihm ohne die Technik nicht zugänglich gewesen wäre. Des Weiteren können die Daten helfen, skeptische Patienten von der Notwendigkeit einer bestimmten Maßnahme zu überzeugen. Schließlich dürfte einen Kranken die objektiv belegbare Verbesserung seiner Situation motivieren, eine ungeliebte Therapie fortzuführen oder auszubauen.

Datenfülle und Visualisierung erleichtern die Anamnese

Darüber hinaus eröffnen das automatische Erfassen und die Visualisierung der Daten dem Behandlungsteam neue Möglichkeiten, die begrenzte Ressource Zeit deutlich besser zu nutzen, beschreiben die Autoren weitere Vorteile. So müsse der Arzt bei Beginn der Behandlung die Symptome der vergangenen Wochen und Monate nicht mehr abfragen, sondern könne auf die Aufzeichnungen zurückgreifen. Zugleich erlauben die Armbänder auch, einzelne Parameter wie die Hautleitfähigkeit über einen langen Zeitraum hinweg zu verfolgen, anstatt sich auf einige wenige Werte verlassen zu müssen, die zudem in der künstlichen Situation der Arztpraxis erhoben wurden.

Um aus den Rohdaten Informationen zu Schlafqualität und körperlicher Aktivität zu gewinnen, sind mehrere komplexe Schritte bei der Datenverarbeitung erforderlich. Dabei wird auch Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. Denkbar ist Dr. Fedor­ und Kollegen zufolge das Zusammenführen der erfassten Daten mit kontextuellen Informationen, etwa mit der Tageszeit, der Umgebungstemperatur oder dem Wetter, um einen situativen Punktwert zur Symptomschwere errechnen zu können.

Bislang stehen jedoch keine Daten aus randomisierten kontrollierten Studien zur Verfügung, die einen Nutzen der Technologie bei Depressionen belegen, schränken die Autoren ein. Manche wichtigen Informationen wie etwa Suizidalität lassen sich mit den Wearables auch gar nicht gewinnen. Auch wenn sich etwa Schlafmuster bereits recht gut darstellen lassen, bleibt die Interpretation durch den Arzt essenziell.

Die gängigen Wearables sind derzeit noch ungeeignet

Bei alledem muss man stets die Verschiedenartigkeit der Patienten beachten. So haben Sportler einen ganz anderen Ruhepuls als Menschen, die den größten Teil des Tages sitzend oder liegend verbringen. Hinzu kommt, dass sich die derzeit erhältlichen Wear­ables kaum für den systematischen Einsatz bei depressiven Patienten eignen. Zumal die Hersteller nicht offenlegen, wie die Algorithmen arbeiten oder was sich bei Updates im Detail ändert.

Quelle: Fedor S et al. N Engl J Med 2023; 389: 2457-2466; DOI: 10.1056/NEJMra2215898