
„Die haben nicht nichts“ Wenn bei Kindern mit chronischen Bauchschmerzen die Diagnostik ins Leere läuft

Jedes sechste Kind leide einmal an chronischen Bauchschmerzen, berichtete Prof. Dr. Kai Hensel vom Universitätsklinikum Wuppertal. Doch wie erkennt man, ob etwas Ernstes hinter den Beschwerden steckt? Zunächst bedarf es einer strukturierten Anamnese, in denen Red Flags (s. Kasten unten) abgefragt werden.
„Red Flags haben keine gute Sensitivität und Spezifität, trotzdem nutzen wir sie. Denn sie sind besser als gar nichts“, gab der Referent zu bedenken. Entscheidend sei das Bauchgefühl der Ärztin oder des Arztes. „Wenn das Kind gut gedeiht, alles andere in Ordnung und nur der Stuhl etwas aufgelockert ist, steckt wahrscheinlich nichts Pathologisches dahinter.“
Die Liste der Differenzialdiagnosen ist lang (s. Kasten oben). Doch die häufigste Ursache für chronische Bauchschmerzen bei Kindern sind funktionelle Störungen. Die Diagnose Reizdarmsyndrom kann gestellt werden, wenn an mindestens vier Tagen im Monat über mindestens zwei Monate abdominelle Schmerzen auftreten und mindestens eines der folgenden Kriterien zutrifft:
- Bezug zur Defäkation
- Änderung der Stuhlfrequenz
- Änderung der Stuhlkonsistenz
Klassischerweise haben Betroffene mal Durchfall, mal Verstopfung. Im Falle eines Reizdarmsyndroms mit Obstipation tritt keine Besserung ein, wenn die Verstopfung behoben wird. Als weiteres Kriterium gilt, dass die Symptome nach sachgemäßer Diagnostik nicht durch eine andere somatische Erkrankung erklärt werden können.
Red Flags bei Kindern mit Bauchschmerzen
- sichtbares Blut im Stuhl
- lokalisierter Schmerz / Ausstrahlung
- schwere Diarrhö
- ungewollter Gewichtsverlust
- unklares Fieber
- Leistungsknick
- tastbare Resistenzen
- Menstruationsstörungen
- Pubertas tarda
- Arthritis
- nächtliche Beschwerden
- familiäre Vorgeschichte: CED; Zöliakie, GI-Ulzera
Bauchschmerzen mit unklarer Genese ernst nehmen
Kinder mit funktionellen gastrointestinalen Störungen haben mit Abstand die schlechteste Lebensqualität im Vergleich zu Gesunden oder solchen mit anderen Erkrankungen wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder gastroösophagealem Reflux. „Die haben nicht nichts. Ich wehre mich auch dagegen, das nicht-somatisch zu nennen,“ so Prof. Hensel. Denn die Bauchschmerzen sind real.
Hinter dem Begriff der sogenannten nicht-somatischen, funktionellen gastrointestinalen Beschwerden verbirgt sich eine große Gruppe heterogener Störungen der Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse. Es gibt wissenschaftliche Evidenz, dass bei funktionellen gastrointestinalen Störungen eine geringgradige Entzündung unter Beteiligung von Mastzellen vorliegt. Letztere können Nozizeptoren aktivieren und so eine viszerale Hyperalgesie auslösen.
Differenzialdiagnosen bei chronischen Bauchschmerzen
- Zöliakie
- Malabsorption
- funktionelle Störung (z. B. Reizdarm)
- Obstipation
- Refluxbeschwerden
- Gastritis
- Parasiten
- chronisch-entzündliche Darmerkrankung
- bakterielle Dünndarmfehlbesiedelung
- Dysmenorrhö
- muskuloskelettale Ursachen
Mikrobiom und Stress beeinflussen sich gegenseitig
Die geringere Schmerzschwelle konnte in Studien mit betroffenen Kindern nachgewiesen werden. Zudem ist bei ihnen die Darmflora verändert. Die Wechselwirkungen über die Darm-Hirn-Achse sind bidirektional. Das Mikrobiom beeinflusst die Reaktionen auf Angst, Stress und Schmerz. Wie man in Mausexperiment zeigen konnte, minderte umgekehrt Stress die Aktivität der Brunner-Drüsen im Duodenum, die alkalischen Schleim sezernieren. Dadurch reduzierte sich die Zahl der Laktobazillen, was wiederum eine Schwächung des Immunsystems zur Folge hatte.
Bleibt die klinische Untersuchung ohne Befund und liegen keine Red Flags vor, sollte die Diagnostik laut Prof. Hensel beendet werden. Wichtig sei, den Leidensdruck der Betroffenen ernst zu nehmen und ihnen zu erklären, dass zwar eine Störung vorliegt, man derzeit aber leider kein Diagnostikum hat, diese nachzuweisen.
Quelle: 18. Pädiatrie-Update-Seminar