Anzeige

Erste Hilfe Wenn Giftschlangen zubeißen

Autor: Dr. Andrea Wülker

Nicht alle Bisse durch Giftschlangen führen tatsächlich zu einer Vergiftung. Nicht alle Bisse durch Giftschlangen führen tatsächlich zu einer Vergiftung. © iStock/marketlan
Anzeige

Ob in freier Wildbahn oder im heimischen Terrarium: Beißt eine Schlange zu, ist schnelles und umsichtiges Handeln gefragt. Zwar kommt es bei Weitem nicht immer zur Vergiftung. Durchchecken und überwachen sollte man Betroffene dennoch. Wüssten Sie, was zu tun ist?

Im Allgemeinen fliehen oder verstecken sich Schlangen eher, als einen Menschen zu beißen. Manchmal passiert es aber doch, etwa weil jemand versehentlich auf das Tier tritt oder weil jemand Unerfahrenes versucht, eine Schlange zu fangen. Schlangenbisse kommen hauptsächlich an den Extremitäten vor, wobei nicht provozierte Bisse vor allem an der unteren Extremität und bei Frauen beobachtet werden, provozierte Bisse dagegen an der oberen Extremität und bei Männern.

Nicht alle Bisse durch Giftschlangen führen tatsächlich zu einer Vergiftung, schreiben Dr. Steven­ ­Seifert vom University of New Mexico Health Sciences Center, Albuquerque und Kollegen. In 2–50 % der Fälle handelt es sich um einen „trockenen“, d.h. giftfreien Biss, der keine toxische Wirkung entfaltet. Kommt es tatsächlich zu einer Vergiftung, hängen die klinischen Auswirkungen von der Art des Schlangengifts ab. Denn das enthält verschiedene Toxine, die ganz unterschiedliche lokale und systemische Auswirkungen haben können, deren Schweregrad von mild bis tödlich reich.

Das richtet der Toxin-Cocktail an

Schlangengift enthält einen Mix an Toxinen mit unterschiedlichen Auswirkungen:
  • Schmerzen, Ödeme, Blasen und Nekrosen durch zytotoxische Effekte
  • Verbrauchskoagulopathie durch prokoagulatorische Substanzen
  • thrombotische Ereignisse bis hin zu Schlaganfall oder Myokard­infarkt 
  • Thrombozytopenie
  • schlaffe Lähmung durch Neurotoxine, zunächst der bulbären Muskulatur (Ptosis und Dysarthrie), später auch der Atemmuskulatur
  • myo- und kardiotoxische Effekte, Hypertonie
  • Nierenschäden (z.B. glomeruläre Degeneration, Atrophie durch inflammatorische Zytokine, Mikroangiopathie, Rhabdomyolyse) 
  • systemische Wirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen, komplexes regionales Schmerzsyndrom

Die betroffene Extremität kann stark anschwellen

Welche Sofortmaßnahmen empfehlen die Autoren? Zunächst soll das Bissopfer aus der unmittelbaren Nähe der Schlange gebracht werden. Handelt es sich bei dem „Täter“ nicht um ein Haustier, sondern um eine unbekannte Schlangenart in freier Natur, ist es ratsam, das Tier zu identifizieren bzw. zumindest zu fotografieren – falls möglich. Die vom Biss betroffene Extremität sollte locker geschient und „Herz-neutral“ gelagert werden. Da der Biss zu einer starken Schwellung führen kann, muss alles Einengende (Schmuck etc.) entfernt werden. Anschließend sollte das Bissopfer in eine medizinische Versorgungseinrichtung transportiert und dabei von professionellen Rettungskräften begleitet werden. Da das Schlangengift in erster Linie über die Lymphgefäße in den Kreislauf gelangt, kann es vorteilhaft sein, den Lymphfluss und damit systemische Effekte des Gifts zu bremsen, indem man eine Blutdruckmanschette proximal der Bissstelle anlegt und bis zu einem Druck von etwa 50 mmHg (obere Extremität) oder 70 mmHg (untere Extremität) aufpumpt. Allerdings nur, wenn keine oder nur geringe lokale Effekte der Vergiftung zu sehen sind und wenn mit einem raschen Auftreten neurotoxischer Symptome gerechnet wird. Präklinisch sind weitere Interventionen wie Inzisionen oder ein Aussaugen der Wunde zu unterlassen, mahnen die Autoren. Das Management eines Schlangenbisses umfasst die Gabe eines Antiserums (sofern vorhanden und wenn tatsächlich eine Vergiftung vorliegt), weitere spezifische lokale und systemische Therapien sowie die symptomatische, supportive Behandlung. In der Klinik werden die Vitalparameter des Patienten überwacht, ein i.v. Zugang gelegt und bei Bedarf eine Tetanusprophylaxe durchgeführt. Die Wunde muss gereinigt und auf Fremdkörper untersucht werden. Eine Ultraschalluntersuchung hilft bei der Beurteilung eines Ödems. Auch wenn vermutet wird, dass es sich um einen trockenen Biss ohne Gift handelt, muss der Patient sicherheitshalber über sechs bis 24 Stunden überwacht werden. Quelle: Seifert SA et al. N Engl J Med 2022; 386: 68-78; DOI: 10.1056/NEJMra2105228