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Chemoinduzierte Polyneuropathie Wenn Zytostatika auf die Nerven gehen

DGIM 2022 Autor: Maria Weiß

In vielen Fällen zahlt sich eine Rehabilitation aus. Sie fördert die Reintegration in den Alltag und kann die Lebensqualität verbessern. (Agenturfoto) In vielen Fällen zahlt sich eine Rehabilitation aus. Sie fördert die Reintegration in den Alltag und kann die Lebensqualität verbessern. (Agenturfoto) © iStock/Drazen_
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Durch steigende Überlebenszeiten in der Onkologie müssen immer mehr Menschen auf Dauer mit den Folgen einer chemotherapieinduzierten Polyneuropathie klarkommen. Die kausalen Therapiemöglichkeiten sind zwar begrenzt, doch eine Rehabilitation kann sinnvoll sein.

Zytostatika sind heute nach dem Alkohol der häufigste Auslöser einer toxischen Polyneuropathie, sagte Dr. Jürgen Körber von den Hammkliniken in Bad Kreuznach. Zu den bekannten Auslösern gehören Platinderivate wie Cisplatin, Carboplatin und Oxaliplatin. Aber auch Taxane, Vinca-Alkaloide, Thalidomid-Abkömmlinge und Bortezomib können die Nerven schädigen.

50–90 % (im Mittel 68 %) der mit diesen Medikamenten Behandelten entwickeln eine chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPN) und 30–40 % haben noch sechs Monate nach Therapieende Beschwerden. Als Risikofaktoren für bleibende Schäden neben der kumulativen Dosis und der Art des Zytostatikums nannte der Referent:

  • höheres Alter
  • geringe körperliche Aktivität
  • Nierenfunktionsstörungen
  • Rauchen
  • Alkoholabusus
  • Polyneuropathie anderer Genese
  • Begleiterkrankungen
  • positive Familienanamnese
  • hohe initiale Intensität der Therapie

Eine fehlende Rückbildung der neuropathischen Symptome zwischen den Zyklen kann auf einen chronischen Verlauf hinweisen.

Die CIPN beginnt typischerweise schleichend mit Beteiligung der sensiblen Fasern und Missempfindungen wie Kribbeln und Taubheitsgefühl an den Füßen und Fingern. Häufige Folgen sind Koordinations- und Gangstörungen mit hoher Stolper- und Sturzgefahr sowie Störungen der Feinmotorik der Hände. Bei vegetativer Beteiligung kann es auch zu trophischen Hautveränderungen, verminderter Schweißsekretion und Blasen- und Darmentleerungsstörungen kommen. Selten entwickeln sich Seh- und Hörstörungen. Ausgeprägte Schmerzen geben bei einer CIPN nur etwa 10 % der Betroffenen an.

Je früher die Diagnose gestellt wird, umso besser, da dann evtl. die Zytostatikadosis noch angepasst werden kann. Die Prüfung des Vibrationsempfindens und des Achillessehnenreflexes, der Feinmotorik (Schriftbild), des Tastempfindens (rau–glatt, warm–kalt) sowie Rombergtest, Blind- und Einbeinstand zählen zu den entscheidenden Untersuchungen.

Eine wirkungsvolle Prophylaxe gibt es nicht – auch der Effekt der häufig empfohlenen Kühlung von Händen und Füßen fällt nicht groß aus. Vitamin-B-Präparate oder eine spezielle Ernährung haben ebenfalls keinen Nutzen. Sinnvoll ist aber ein schon vor der Chemotherapie begonnenes Gleichgewichtstraining sowie generell viel Bewegung vor und während der Therapie. Die medikamentöse Therapie mit Duloxetin oder Gabapentin verspricht nur bei schmerzhaften Formen Erfolg – gegen Missempfindungen richten diese Medikamente nichts aus.

In vielen Fällen zahlt sich eine Rehabilitation aus. Sie fördert die Reintegration in den Alltag und kann die Lebensqualität verbessern. Zu ihr gehören Physiotherapie mit Gleichgewichtsübungen, spezielle Gymnastik, Wechselbäder, Ergotherapie zur Verbesserung der Feinmotorik sowie Entspannungsverfahren und ggf. Psychotherapie. Wichtig ist dabei, dass die gelernten Übungen nach der dreiwöchigen Reha weitergeführt werden – die Hilfe zur Selbsthilfe steht im Vordergrund.

Auch eine Sozialberatung zur Wiedereingliederung in den Beruf  empfiehlt sich oft. So sind Arbeiten auf Leitern und Gerüsten für Patienten mit Beteiligung der Füße tabu. Für Berufskraftfahrer und Berufe mit erhöhter Verletzungsgefahr gelten ebenfalls möglicherweise Einschränkungen. Stellen die Tätigkeiten der Patienten besondere Anforderungen an die Feinmotorik – z.B. bei Berufsmusikern oder Chirurgen – sollte man nach Möglichkeit schon bei der Wahl des Zytostatikums auf das damit verbundene CIPN-Risiko achten.

Quelle: 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin