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Wie Diabetes die Spermienqualität beeinflusst

Autor: Ulrike Viegener

Erreichen die Spermien ihr Ziel? Diese Frage ist Teil der Analyse. Erreichen die Spermien ihr Ziel? Diese Frage ist Teil der Analyse. © iStock/ BlackJack3D
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Die Ursache ungewollter Kinderlosigkeit kann bei Männern wie bei Frauen liegen. Sowohl ein manifester Diabetes Typ 1 oder 2 als auch ein Prädiabetes können bei Männern die Fertilität beeinträchtigen. Was sind die Hintergründe?

Aus Italien kommt eine aufschlussreiche Studie zur männlichen Infertiliät: Bei 15,4 % der untersuchten 744 zeugungsunfähigen Männer wurde in der Ende 2018 publizierten Studie eine prädiabetische Stoffwechsellage festgestellt. Der Prädiabetes wurde gemäß den Kriterien der „American Diabetes Association“ definiert, erklärte Professor Dr. Uwe Paasch, Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum Leipzig und Leiter des Referenzzentrums der Europäischen Akademie für Andrologie (EAA).

Die betroffenen Männer waren im Schnitt älter, hatten einen höheren Komorbiditätsindex (CCI) und wiesen ein erhöhtes Hypogonadismusrisiko auf. Die Konzentrationen an Testosteron und Sexualhormon-bindendem Globulin (SHBG) waren bei ihnen im Schnitt niedriger, während die Spiegel von Follikel-stimulierendem Hormon (FSH) und 17β-Estradiol im Vergleich zu Studienteilnehmern ohne Prädiabetes erhöht waren.

Schäden an der DNA

Bei den auf Prädiabetes positiv getesteten Männern wurden zudem ein höherer DNA-Fragmentierungsindex (DFI) sowie eine höhere Rate idiopathischer, nicht-ob­struktiver Azoospermien gefunden.

Retrograde Ejakulation

Bei der retrograden Ejakulation gelangen Spermien nicht über die Harnröhre nach außen – sie werden rückwärts in die Harnblase katapultiert und mit dem Harn entleert. Der Samenerguss ist abgeschwächt oder er fehlt ganz und kann in diesem Fall Azoospermie vortäuschen. Ursächlich ist ein schwächelnder Muskel des Blasenhalses, der nicht richtig verschließt. Dafür kann eine diabetische Neuropathie verantwortlich sein. Bei diabetesassoziierten männlichen Fertilitätsproblemen ist deshalb auch diese Möglichkeit abzuklären.

Der DNA-Fragmentierungsindex beziffert den Anteil an geschädigter Spermien-DNA, wobei speziell auf Chromosomenbrüche fokussiert wird, so der Experte. Studien zeigen, dass ein hoher DFI mit einer verminderten Fertilität und auch einer höheren Rate an Fehlgeburten korreliert. Die Studienergebnisse sind allerdings nicht einheitlich, sodass sich der diagnostische Wert des DNA-Fragmentierungsindex derzeit nicht abschließend beurteilen lässt. Im Moment ist der DFI in erster Linie von wissenschaftlichem Interesse, eine routinemäßige Bestimmung im Rahmen von Fertilitätsuntersuchungen wird nicht empfohlen. Auch Studien bei Männern mit manifestem Diabetes weisen auf einen Zusammenhang zwischen der Stoffwechselerkrankung und einer erhöhten Rate von DNA-Schäden in den Spermien hin. Über mögliche Gründe lässt sich derzeit nur spekulieren, gibt Prof. Paasch zu bedenken. Fakt ist, dass im gesamten männlichen Reproduktionstrakt „advanced glycation end products“ (AGE) zu finden sind, die maßgeblich für diabetische Folgeschäden verantwortlich sind. Infolge der Glykosylierung von Proteinen und Lipiden fallen vermehrt aggressive Sauerstoffradikale an und verursachen oxidativen Stress, was einer der Gründe für die beobachteten DNA-Schäden sein könnte.

Beeinträchtigte Motilität

Ein weiterer Aspekt der diabetes­assoziierten Sub- bzw. Infertilität sind hormonelle Disbalancen infolge der diabetischen Stoffwechsellage, die sich ebenfalls negativ auf die Spermienqualität auswirken können. Eine 2016 publizierte Metaanalyse ergab folgendes Bild: Das Ejakulatvolumen ist bei Männern mit Diabetes reduziert, die Anzahl der Spermien scheint normal zu sein. Die Anzahl normomorpher Spermien ist jedoch vermindert, was sich auf Basis der vorliegenden Studien allerdings nur für Typ-1-Dia­betes verifizieren ließ. Die Spermienmotilität ist laut der Metaanalyse sowohl beim Typ 1 als auch beim Typ 2 beeinträchtigt.

Die Rolle der Adipositas

Bei Typ-2-Diabetes ist mit Hyperglykämie, Hypertonie und Adipositas oft ein ganzes Cluster von Risikofaktoren wirksam, die sich alle auf die Samenzellproduktion niederschlagen können. Bei Männern mit pathologischem Spermiogramm ist starkes Übergewicht dreimal so häufig anzutreffen wie bei Männern mit normalem Spermiogramm, so der Experte. Die Arbeitsgruppe um Prof. Paasch hat die mit Diabetes und Adipositas assoziierte Infertilität in verschiedenen Studien genauer unter die Lupe genommen: Die Spermienqualität wird möglicherweise durch Adipozytokine – von Adipozyten freigesetzten Zytokinen – moduliert, deren Konzentration im Seminalplasma bei Adipositas nachweislich verändert ist. Auch Inhibin B könnte eine Rolle spielen. Das Peptidhormon wird in den Hoden von Sertolizellen produziert und reguliert die FSH-Sekretion über ein negatives Feedback. Bei einem BMI über 30 ist Inhibin B signifikant reduziert, wie Prof. Paasch weiter ausführt. Laut einer am Leipziger EAA-Zentrum durchgeführten Studie mit mehr als 2400 Männern scheint der Inhibin-B/FSH-Quotient ein sensitiverer Infertilitätsmarker zu sein als FSH allein. Und es gibt einen weiteren Mechanismus, über den Adipositas und männliche Fertilitätsstörungen verlinkt sein können: In Fettzellen wird Testosteron in Östrogen umgewandelt, was sich im Sinne eines Hypogonadismus negativ auf die Hodenfunktion auswirken kann.

Relevanz bei Diabetes Typ 1 und Typ 2

Es scheint also eine ganze Reihe von Mechanismen zu geben, die eine Sub- bzw. Infertilität bei männlichen Diabetespatienten bedingen können, betonte der Experte. Die Forschung steht erst am Anfang, und es wird noch eine Weile dauern, bis sich die Puzzlesteine zu einem kompletten Bild zusammenfügen. Bleibt die Frage: Was lässt sich beim aktuellen Wissensstand für die Praxis ableiten? Erst einmal, so Prof. Paasch, sei es ganz wichtig, die Möglichkeit diabetesassoziierter Fertilitätsprobleme beim Mann überhaupt auf dem Schirm zu haben und in die Beratung einzubeziehen. Da sich das Alter, in dem sich Paare konkret mit der Familienplanung befassen, nach hinten verschoben hat, sind diabetesassoziierte Fertilitätsstörungen nicht nur bei Typ 1 relevant. Auch bei Männern mit Typ-2-Diabetes sollte das Thema gegebenenfalls angesprochen werden. Präventiv greifen mit Blick auf die männliche Fertilität die üblichen Maßnahmen des Diabetesmanagements: gute Blutzuckereinstellung, Korrektur eines zu hohen Blutdrucks, Abbau von Übergewicht. Bei der medikamentösen Therapie ist zu beachten, dass Betablocker und Calcium-Antagonisten die Anzahl und Qualität der Spermienzahl negativ beeinflussen können. Männer mit Diabetes, die sich wegen unerfülltem Kinderwunsch vorstellen, sollten sich immer an einen Andrologen wenden, rät Prof. Paasch. Deutschlandweit gibt es etwa 1000 Ärzte mit dieser Zusatzbezeichnung. Wichtig ist ein qualitätsgesichertes Vorgehen bei der Samenanalyse. Das Spermiogramm ist gemäß dem „WHO-Laborhandbuch zur Untersuchung und Aufarbeitung des menschlichen Ejakulats“ zu erstellen, das sehr präzise jeden einzelnen Schritt der Aufbereitung und Auswertung definiert. Ist die Spermaqualität eingeschränkt, beginnt die Ursachenforschung.
Prof. Dr. Uwe Paasch, Leiter Referenzzentrum der Europäischen Akademie für Andrologie, Universität Leipzig Prof. Dr. Uwe Paasch, Leiter Referenzzentrum der Europäischen Akademie für Andrologie, Universität Leipzig © zVg