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Demenz Wie viele Kopfbälle sind sicher?

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Manche fordern bereits ein Verbot von Kopfbällen im Breitensport. Manche fordern bereits ein Verbot von Kopfbällen im Breitensport. © mixetto/gettyimages
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Viele Ballkontakte mit dem Kopf erhöhen für Fußballer das Risiko neurodegenerativer Erkrankungen – das war in den vergangenen Jahren immer wieder in den Medien zu lesen. Es gibt jedoch noch keine Daten, die eine klare Assoziation zeigen. 

Häufiges Kopfballspiel soll für den Niedergang von Hirnzellen verantwortlich sein. Als Beleg für diese These wird meist eine schottische Studie zitiert, in der die Totenscheine ehemaliger Fußballer analysiert wurden. Die Forscher fanden neurodegenerative Erkrankungen als Todesursache bei 1,7 % der Ex-Ballkünstler, aber nur bei 0,5 % der verstorbenen Kontrollpersonen. Allerdings war für die Fußballer gar nicht bekannt, wie häufig sie Kopfstöße ausgeführt hatten. Und laut nationalen Statistiken waren etwa im Jahr 2019 ganze 11,1 % aller Todesfälle in Schottland auf eine Demenz zurückzuführen. Welches Risiko von Kopfbällen ausgehe, könne anhand solch widersprüchlicher Daten nicht seriös beurteilt werden, schreiben ­Joseph ­Evans, Bournemouth University, Poole, und Koautoren in einem Editorial.

Dessen ungeachtet hat sich ein erheblicher öffentlicher Druck aufgebaut, die Zahl der Kopfbälle im beliebtesten Rasensport der Welt zu reduzieren – bis hin zu Forderungen, diese Art von Ballkontakt im Breitensport ganz zu verbieten. Für den Profifußball hat die englische Football Association (FA) 2021 eine Leitlinie herausgegeben, nach der pro Woche und Spieler maximal 10 Kopfbälle mit hoher Kraft im Training ausgeführt werden sollen.

Bei den meisten Kopfbällen wirken keine extremen Kräfte

Welche Kräfte beim Kopfballspiel auf Schädel und Gehirn wirken und welche gesundheitliche Relevanz das hat, müsse dringend besser erforscht werden, so Evans und Kollegen. Die einzige ihnen bekannte Studie dazu lieferte ein unerwartetes Ergebnis: Bei 96 % der Kopfstöße während des Trainings traten lineare Kräfte und Rotationskräfte in einem Bereich auf, der von Krafteinwirkungen bei anderen Sportarten deutlich übertroffen wird – etwa beim Rugby oder Boxen. Bevor also z.B. auch von Trainern im Jugend- und Amateurfußball verlangt wird, auf weniger Kopfbälle zu achten, brauche es belastbarere Evidenz, schreiben die Wissenschaftler.

Dabei gilt es, die Gesamtexposition zu berücksichtigen: Zum einen kann sich bei Kopfbällen die Krafteinwirkung erheblich unterscheiden, abhängig z.B. von der Geschwindigkeit des Balls und der Aufprallrichtung. Hierfür fehlt aber bislang ein objektives und validiertes Messverfahren. Zum anderen spielen nicht nur die Kopfbälle im Training eine Rolle, sondern auch jene in den Spielen. Denn in Matches kommt einiges zusammen: In Partien der englischen Premier League über drei konsekutive Saisons zählte man durchschnittlich 111 Kopfballstöße pro Spiel. Außerdem gibt es im Fußball noch viele weitere Aktionen, bei denen lineare und/oder Rotationskräfte das Gehirn durchschütteln. Diese sind ebenfalls schwer objektiv zu erfassen, müssten aber zu einer möglichen Begünstigung neurodegenerativer Erkrankungen auch beitragen: etwa Kollisionen mit dem Gegner, Stürze infolge von Fouls und vieles mehr.

Bei aller Sorge um Kopfbälle sollte man den Forschern zufolge eines nicht vergessen: Der möglichen Gesundheitsgefahr stehen in jedem Fall eine Reihe positiver körperlicher und sozialer Effekte gegenüber, die regelmäßiger Sport im Team mit sich bringt.

Quelle: Evans J et al. Br J Sports Med 2022; DOI: 10.1136/bjsports-2022-105770