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Wie wäre es mit Hybrid-DRG für die ambulante Diabetologie?

Autor: Michael Reischmann

Ein Ziel: gleiches Geld in Praxis und Klinik – für die gleiche Leistung. (Rechts: Dr. Hans-Martin Reuter, Stellv. Vorsitzender des BVND) Ein Ziel: gleiches Geld in Praxis und Klinik – für die gleiche Leistung. (Rechts: Dr. Hans-Martin Reuter, Stellv. Vorsitzender des BVND) © iStock/Popartic; Dirk Michael Deckbar
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Die Bundesregierung vertraut bei der Sondierung großer Reformaufgaben gern auf Kommissionen. Die gibt es auch für das Thema Bezahlung medizinischer Leistungen. Können sie – insbesondere für die Diabetologie – eine sektoren­übergreifende Vergütung anstoßen? Die niedergelassenen Diabetologen sehen Chancen, aber auch die Hürden und Risiken.

Noch in dieser Amtsperiode könnte die Bundesregierung weitreichende Entscheidungen zur sektorenübergreifenden Versorgung auf den Weg bringen. Die Vorarbeit soll laut Koalitionsvertrag eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe leisten. Bis zum Jahr 2020 hat sie Vorschläge bezüglich Bedarfsplanung, Zulassung, Honorierung, Kodierung, Dokumentation, Qualitätssicherung und Kooperation der Gesundheitsberufe zu machen.

Arbeitsgruppe und Kommission

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD bringt beim Thema Honorierung ärztlicher Arbeit zwei Expertengremien ins Spiel. Die„Wissenschaftliche Kommission für ein modernes Vergütungswesen“ soll bis Ende 2019 ihren Bericht vorlegen. Sie beschäftigt sich damit, wie die ambulante Honorarordnung in GKV und PKV reformiert werden könnte: Welche Rahmenbedingen für ein modernes Vergütungssystem sind zu beachten? Welche Vor- und Nachteile bzw. Folgen auf Kosten und Versorgung hätte seine Einführung? Für die Kommission wurden 13 Wissenschaftler berufen. Vorsitzender ist der Gesundheitökonom Professor Dr. Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. Gedanken über eine sektorenübergreifende Versorgung, inklusive Honorierung, soll sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe machen. Die Teilnehmer kommen aus den Ländern Hessen, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Bayern, Sachsen, Saarland und NRW, der Koalitionsfraktion sowie Innen-, Wirschafts-, Finanz-, Ernährungs- und Gesundheitsministerium. Die konstituierende Sitzung war für Ende September terminiert.

Proaktiv hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) das IGES-Institut mit einem Gutachten beauftragt. In dem werden für Diabetes mellitus, nicht schwere kardiale Arrhythmien, Schlafapnoe/Polysomnographie sowie gastroenterologischen Erkrankungen exemplarisch die Vergütungsunterschiede bei Behandlungsanlässen gegenübergestellt, die sowohl ambulant als auch stationär versorgt werden können. Ein Ergebnis: Durch eine kurzzeitige stationäre Aufnahme erhalten die Krankenhäuser eine deutlich höhere Vergütung für eine ambulant durchführbare Leistung.

Behandlungskosten liegen zwischen 139 und 2299 Euro

Im Fall von Diabetes führt das IGES aus: Eine ambulante Behandlung wird mit 139 Euro vergütet (ohne einmalig 100 Euro für Patientenschulungen im DMP). Die Behandlung im Krankenhaus kostet dagegen am ersten Tag 520 Euro. Werden Dia­betespatienten einen weiteren Tag im Krankenhaus behandelt, schlägt das laut Gutachten mit 2299 Euro zu Buche und übertrifft damit die Ausgaben für die ambulante Behandlung um das 16,6-Fache. Das IGES-Gutachten zeige, „wo echte Wirtschaftlichkeitspotenziale im Gesundheitswesen liegen“, meint Zi-Geschäftsführer Dr. Dominik von Stillfried. Er spricht sich „für eine ortsunabhängige Gebührenordnung für alle ambulant durchführbaren Leistungen“ aus. Bezahlt werden sollte nach gleichen Kriterien, unabhängig davon, ob die Behandlung in der Arztpraxis oder im Krankenhaus erfolgt. Hierfür müssten die DRG um die ambulant durchführbaren Leistungen bereinigt werden, so Dr. von Stillfried. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen spricht sich ebenfalls bei Leistungen, die sowohl ambulant als auch stationär erbracht werden können, für eine ortsunabhängige Vergütung aus. In seinem jüngsten Gutachten schildert er u.a. ein Modell für eine „sektorenübergreifend hybride Angebots­kapazitätsplanung“. „Damit wird die Ausschreibung von Versorgungsaufträgen (beispielsweise für die Versorgung von Diabetespatienten) ermöglicht“, schreibt der Rat. Das IGES geht in seinem Gutachten auch auf die Einschränkungen ein, denen die Vergleichsbeispiele unterliegen. Das betrifft das Abgrenzen „gleicher Leistungen“ ebenso wie die unterschiedlichen ökonomischen, organisatorischen und regulatorischen Rahmenbedingungen der Sektoren. So haben z.B. Kliniken wegen ihrer Kapazitätsvorhaltung höhere Gemeinkosten. Vertragsärzte wiederum müssen ihre Investitionskosten allein aus ihren Honoraren finanzieren. Thomas Ballast, Vorstandsvize der Techniker Krankenkasse (TK), zeigt durchaus Interesse daran, Vergütungen für kurzstationäre und ambulante Behandlungen mit identischen Inhalten und gleicher Qualität in einem eigenen „Hybrid-DRG-Katalog“ abzubilden. Ein unabhängiges Institut könnte die jährliche Kalkulation der Leistungen auf Basis von Ist-Kosten übernehmen. Mischpreise aus EBM-Vergütungen und DRG-Fallpauschalen (Hybrid-DRG) werden in einem Modellprojekt der TK in Thüringen für bestimmte Operationen erprobt. Ein Mittelwert zwischen ambulanter und stationärer Vergütung könne aber nur als Übergangslösung dienen, so Ballast. Das IGES fasst die Anreizwirkungen eines „mittleren“ Vergütungsniveaus so zusammen: Krankenhäuser würden tendenziell mehr ambulant behandelbare Fälle auch tatsächlich ambulant behandeln und Vertragsärzte würden mehr Patienten im ambulanten Setting halten, statt sie ins Krankenhaus einzuweisen. Der Bundesverband der Niedergelassenen Diabetologen (BVND) sieht in einer eigenständigen Vergütung sektorengleicher Leistungen „eine große Chance, aber auch ein nicht zu unterschätzendes Risiko“. In der Diabetologie sei die ambulante Vergütung ein von Strukturverträgen geprägter Flickenteppich. Der EBM gelte zwar bundesweit, die DMP-Verträge seien aber in den Bundesländern extrem verschieden, „von Selektivverträgen, wie zum diabetischen Fuß oder dem Gestationsdiabetes ganz zu schweigen“, stellt der stellvertretende BVND-Vorsitzende Dr. Hans-Martin Reuter fest. „Insofern von einer ortsunabhängigen Gebührenordnung zu sprechen, halten wir für verfrüht.“

Schulungen in der Klinik, die ambulant möglich wären

Denkbar wäre die Konzentration auf den EBM; hier müssten vergleichbare Leistungen angepasst werden. Ein Hybrid-DRG-Katalog wäre ebenfalls eine Möglichkeit, wenn er auch Basis für Vereinbarungen außerhalb des EBM ist. Allerdings müsse „Waffengleichheit“ bestehen, d.h., die Vorhaltekosten im Krankenhaus und die Investitionskosten der Praxen wären zu berücksichtigen. Laut IGES-Gutachten erhielten 2016 rund 20 % der Diabetespatienten, bei denen die Klinik die DRG K60F abgerechnet hat, eine Schulung. Das ist eine Leistung, „die an sich ambulant durchgeführt werden muss, weil die Liegezeit der Patienten im Allgemeinen eine komplette Schulung nicht möglich macht, wenn sie nach den vorgegebenen und evaluierten strukturierten Curricula durchgeführt wird“, betont der BVND-Vize. Das IGES-Gutachten zeige, „dass immer noch eine relevante Zahl ambulant möglicher Leistungen stationär durchgeführt wird und die Vergütung ambulant, wie schon lange von uns kritisiert, völlig unzureichend ist“.

Zusätzliche Leistungen müssen realistisch finanziert werden

Es seien allerdings differenzierte Untersuchungen erforderlich, die z.B. neben den fachärztlich-diabetologischen EBM-Ziffern auch die hausärztlichen erfassen. Schließlich würden fast 85 % aller diabetologischen Schwerpunktpraxen hausärztlich geführt. „Das Gutachten macht sehr eindeutig klar, dass viel mehr Leistungen ambulant erbracht werden können; diese müssen aber realistisch finanziert werden und nicht ausschließlich unter dem Aspekt eines Spar­diktats“, erklärt Dr. Reuter.