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Komorbiditäten Arthrose ist eine internistische Erkrankung

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Wie stark die arthrotisch veränderten Knie dieses 87-Jährigen schmerzen, hängt auch von seinen Begleiterkrankungen ab. 
Wie stark die arthrotisch veränderten Knie dieses 87-Jährigen schmerzen, hängt auch von seinen Begleiterkrankungen ab. © Science Photo Library/Marazzi, Dr. P.
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Arthrose beeinträchtigt das Leben vieler älterer Menschen. Komorbiditäten wie Diabetes, Hypertonie oder Depression können die Beschwerden zusätzlich verschlimmern. Für eine optimierte Therapie st es wichtig zu verstehen, wie diese Begleiterkrankungen auf den Schmerz wirken.

Da die Arthrose insbesondere bei betagten Menschen auftritt, sind Komorbiditäten häufig. Eine Studie aus dem Jahr 2020 ergab, dass 62 % der Arthrosepatienten mindestens eine Begleit­erkrankung hatten. Dabei handelte es sich vor allem um Hypertonie (37 %), Herzerkrankungen (8 %) und Diabetes mellitus (7 %). Weitere häufige Komorbiditäten sind u.a. Depression, COPD sowie Übergewicht. Alle können die arthrotischen Gelenkbeschwerden verschlimmern, schreiben Dr. ­Annett ­Eitner und Prof. Dr. ­Hans-Georg ­Schaible vom Universitätsklinikum Jena. Doch welche Mechanismen liegen dem zugrunde? Das war in den vergangenen Jahren Gegenstand intensiver Forschung.

Einflussfaktor Diabetes

Aufschlussreiche Erkenntnisse konnten vor allem für Diabetes mellitus gewonnen werden. Zu den Patho­mechanismen, die zu stärkeren Gelenkschmerzen führen, zählen sowohl eine durch den Diabetes bedingte systemische Entzündung als auch erhöhte Entzündungsprozesse im Gelenk. Darüber hinaus kann zu hoher Blutzucker die Bildung und Akkumulation von sogenannten „advanced glycation end products“ (AGE) in Zellen und Gewebe fördern. Diese Substanzen entstehen durch eine spontane Reaktion von Glukose mit Proteinen oder Lipiden. Sie haben direkten Einfluss auf den Metabolismus und lösen oxidativen Stress in den Mitochondrien aus. Außerdem können AGE die Funktion von Nervenfasern beeinflussen.

Nicht zuletzt führt eine Hyperglykämie zu einer stärkeren intrazellulären Produktion von reaktiven Sauerstoffspezies, was den oxidativen Stress weiter befeuert. Über verschiedene Mechanismen führt Diabetes ferner zu einer Aktivierung und Schädigung von Nervenfasern. Zusammengefasst resultieren alle diese Prozesse in einer Aktivierung des nozizeptiven Systems. Zu beobachten sind etwa eine periphere und zentrale Sensibilisierung, eine direkte Erregung der Nervenfasern und neuropathische Veränderungen, die alle mit erhöhten Schmerzen einhergehen.

Einflussfaktor Übergewicht

Das Risiko für Arthrose steigt auch mit dem BMI. Fettgewebe kann eine hohe Anzahl an Makrophagen und proinflammatorischen Zytokinen ausschütten, die eine geringgradige systemische Entzündung hervorrufen. Ob allein diese Prozesse für die erhöhten Schmerzen bei Patienten mit Arthrose verantwortlich sind, ist noch unklar. Fest steht hingegen, dass eine Bewegungstherapie die Gelenkbeschwerden lindern kann. Außerdem senkt eine Reduktion des Körperfetts durch Bewegung und Diät die Entzündungsparameter.

Einflussfaktor Hypertonie

Arthrosepatienten mit Hypertonie empfinden stärkere Gelenkschmerzen als solche mit normalem Blutdruck. Studien zeigen, dass Menschen mit chronischen Schmerzen bei erhöhten Druckwerten mehr Schmerzen empfinden, während Normalwerte normalerweise mit geringeren Schmerzen einhergehen. Auch bei Hypertonie scheinen Entzündungsprozesse bzw. erhöhte Serumkonzentrationen proinflam­matorischer Zytokine eine Rolle zu spielen. Eine medikamentöse Behandlung des Bluthochdrucks kann die Konzen­tration entzündungsfördernder Stoffe im Serum senken und das Schmerzempfinden reduzieren.

Einflussfaktor Depression

Bei Arthrosepatienten unter 45 Jahren ist eine Depression die häufigste Komorbidität. Auch zwischen Depression und Schmerzen im Allgemeinen bzw. Gelenkschmerzen im Speziellen besteht ein enger Zusammenhang. So leiden depressive Arthrosepatienten unter stärkeren Gelenkschmerzen als solche ohne die psychische Erkrankung. Dies ist möglicherweise auf ein Ungleichgewicht an Neurotransmittern zurückzuführen, wodurch das Schmerzempfinden auf zentraler Ebene beeinflusst wird. Auch eine Beteiligung von Entzündungsprozessen kommt als Erklärung infrage.

Da Komorbiditäten den Gelenkschmerz so stark beeinflussen können, sollte man die Arthrose nicht als rein orthopädische, sondern eher als internistische Erkrankung ansehen, fordern die Autoren. Die Mitbehandlung der Begleiterkrankungen verspricht einen besseren Therapieerfolg. Um relevante Komorbiditäten frühzeitig zu identifizieren, sollten Arthrosepatienten stets  umfassend untersucht werden. Darüber hinaus lohnt es sich, die Betroffenen über den Zusammenhang von Komorbiditäten und Gelenkbeschwerden aufzuklären. Dies kann die Motivation steigern, beeinflussbare Faktoren wie Übergewicht, Diabetes mellitus und Bluthochdruck sowie deren Therapie ernst zu nehmen.

Quelle: Eitner A, Schaible HG. internistische praxis 2022; 65: 651-661