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Medizinische Blutegel lindern den Arthroseschmerz

Autor: Dr. Barbara Kreutzkamp

Hirudo medicinalis, der medizinische Blutegel, besitzt zwei Saugnäpfe und über 600 Zähne. Hirudo medicinalis, der medizinische Blutegel, besitzt zwei Saugnäpfe und über 600 Zähne. © wikimedia/Karl Ragnar Gjertsen; Science Photo Library/Murray, Louise
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Bereits eine einzige Sitzung mit vier bis sechs Blutegeln kann ausreichen, um Patienten mit Kniearthrose von einem Großteil ihrer Schmerzen zu befreien. Bei mehr als zwei Dritteln der Behandelten hält die Wirkung sogar länger als drei Monate an.

Schon im alten Ägypten gehörten Blutegel ins medizinische Repertoire, womit die Behandlung mit den Blutsaugern zu den ältesten Therapien überhaupt zählt. Intensiv beforscht wird Hirudo medicinalis aber erst seit etwas mehr als 120 Jahren.

Bisweilen konnten Wissenschaftler mehr als 100 Substanzen im Speichel der Tiere ausmachen, denen gerinnungs-, schmerz- und entzündungshemmende Eigenschaften zugeschrieben werden. Die Effekte beruhen wohl auf dem synergistischen Zusammenspiel der enthaltenen Wirkstoffe, erklären Professor Dr. Gustav­ Dobos­ und Dr. Thomas­ Rampp­ von der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin, Evangelische Kliniken Essen-Mitte. Eine histamin­artige Substanz weitet die Gefäße und vergrößert lokal die Blutmenge, der sogenannte „Spreading“-Faktor Hyaluronidase im Blutegelspeichel fördert das Eindringen der pharmakologisch aktiven Stoffe ins Gewebe.

Am besten untersucht sind die Effekte der Blutegeltherapie bei der symptomatischen Gonarthrose. In einer kontrollierten, nicht-randomisierten Pilotstudie mit 16 Betroffenen reduzierte sich das Schmerz­niveau der Teilnehmer nach Ansetzen von vier bis fünf Egeln rund ums Kniegelenk binnen drei Tagen um etwa 60 % – ein signifikanter Unterschied zur Wirkung der Standard­behandlung. Bestätigt werden konnte dies in zwei randomisiert-kontrollierten Untersuchungen mit 51 bzw. 52 Gon­arthrosepatienten. Bei mehr als zwei Dritteln von ihnen hielt die Wirkung länger als drei Monate an, teilweise sogar über zehn Monate.

Gute Erfahrungen mit Blutegeln wurden außerdem in der Behandlung von Arthrosen der peripheren Gelenke von Fingern und Zehen gesammelt. Es sollte laut den Autoren unbedingt darauf geachtet werden, die Tiere nur an gut durchbluteten Stellen anzusetzen. Weitere Indikationen seien z.B.

  • Daumensattelgelenksarthrose,
  • chronischer Tennisarm,
  • schmerzhafte Myogelosen des Rückens­,
  • LWS-, HWS- und ISG-Syndrome,
  • Weichteilrheuma.

Ergänzend zur jeweiligen Standardtherapie verwenden manche Ärzte Blutegel sogar bei Tinnitus, Otitis media, Abszessen und Wundheilungsstörungen. Sehr adipöse Patienten mit Hüftgelenksarthrosen sprechen allerdings kaum auf die Behandlung an. Vermutlich, weil die Wirkstoffe nicht die Zielstrukturen erreichen. Auch für die rheumatoide Arthritis gibt es keine allgemeine Empfehlung.

 Hier sind die Egel fehl am Platz

Zu den Kontraindikationen der Blutegeltherapie zählen unter anderem
  • medikamentöse Antikoagulation z.B. mit Heparin oder Warfarin,
  • Immunsuppression,
  • Anämie,
  • akute Infektionen,
  • Schwangerschaft,
  • ausgeprägte allergische Disposition. Bei Diabetes mellitus sollte der Nutzen gegenüber möglichen Komplikationen wie Wundheilungsstörungen der Bisswunden abgewogen werden.

Zu Beginn einer Sitzung sollte man die zu behandelnden Bereiche vorwärmen und für eine ruhige Atmosphäre sorgen. Sind Patient, Therapeut oder die Blutegel selbst gestresst, ist das Licht zu hell oder die Haut zu kühl, will Hirudo medicinalis­ nicht so gerne zubeißen, schreiben die Autoren. Auch gegen lokale Desinfektion und Duftstoffe haben sie etwas. Indem man die Haut leicht mit Wasser befeuchtet, lässt sich das Anbeißen fördern. Während des Saugvorgangs spüren die Patienten meist ein Kribbeln und Pulsieren. Nach 60–90 Minuten sind die Tiere satt und fallen von allein ab. Etwa eine halbe Stunde später wird ein leichter Druck-Saug-Verband angelegt und die Patienten ruhen für weitere 30 Minuten (Trinken nicht vergessen!). Spannungs­gefühle und ggf. leichte Wärme sowie Rötungen an den Rändern der Bisswunden können bis zu 48 Stunden anhalten. In dieser Zeit kommt es besonders auf eine ausreichende Wundhygiene an, betonen die Kollegen. Denn neben Juckreiz zählen sekundäre Wundinfektionen zu den häufigsten Komplikationen der Blutegeltherapie. Oftmals kratzen die Patienten an den Bissstellen herum oder besuchen zu früh Sauna und Bäder. Gegen das Jucken helfen einfache Hausmittel wie Quark oder Essigwasser, bei Wundinfektionen empfehlen Prof. Dobos und Dr. Rampp z.B. Cephalosporine der dritten Generation oder Fluorchinolone.

Teures Vergnügen

Wie bei anderen invasiven Therapieverfahren wird vor Beginn der Behandlung eine schriftliche Einverständniserklärung eingeholt. Zusätzlich erhalten die Patienten Informationen zum Nachlesen. Die Kosten für die Blutegeltherapie schwanken je nach Anzahl der eingesetzten Tiere zwischen 120 Euro und 150 Euro pro Sitzung, die der Patient in der Regel aus eigener Tasche bezahlen muss.

Aus hygienischen Gründen kommen die Egel nur einmal zum Einsatz. Nach getaner Arbeit werden sie vereist und im Praxismüll entsorgt. Da die Tiere bis zu 30 Jahre alt werden können, nehmen sie einige Zuchtfarmen gegen einen kleinen Aufpreis auch in ein „Rentnerbecken“ auf. Manchen Patienten hilft dieses Wissen vielleicht bei ihrer Entscheidung für die Therapie.

Quelle: Dobos G, Rampp T. internistische praxis 2020; 62: 687-698