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Blind auf drei Augen: Tumoren, Infektionen und Gefäßkomplikationen häufig übersehen

Autor: Michael Brendler

Etwa 74 % der Fälle ließen sich den drei Haupt-Krankheitsklassen („Big-Three-diseases“) zuordnen. Etwa 74 % der Fälle ließen sich den drei Haupt-Krankheitsklassen („Big-Three-diseases“) zuordnen. © iStock/Catalin205
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Diagnostische Fehler ereignen sich besonders häufig im ambulanten Bereich. Allein in den USA kommen jährlich bis zu 160 000 Patienten zu Schaden. Bei insgesamt 15 Krankheitsbildern sollte man in Zukunft besser zweimal hinsehen – und könnte damit einiges erreichen.

Es sind vor allem falsche klinische Einschätzungen, die zu folgenschweren Fehldiagnosen führen. Dies entdeckten der Neurologe Dr. David E. Newman-Toker vom Johns-Hopkins-Universitätshospital in Baltimore und Kollegen, als sie 11 592 Fälle diagnostischer Fehler aus den Jahren 2006–2015 untersuchten.

Auf unterstützende Analyse-Systeme setzen

Datengrundlage waren Schadensersatzforderungen, die bei den US-Versicherungen registriert waren. Etwa 74 % der Fälle ließen sich den drei Haupt-Krankheitsklassen („Big-Three-diseases“) zuordnen. Die Hälfte entfiel allein auf ihre jeweils fünf häufigsten Vertreter:

  • Gefäßprobleme (23 %), allen voran der Schlaganfall, gefolgt von Infarkt, venöser und arterieller Thrombose sowie Aorten-Aneurysma und -Dissektion in Klasse 1,
  • Infektionen (14 %), v.a. Sepsis, aber auch Enzephalitis und Meningitis sowie spinale Abszesse, Pneumonie und Endokarditis,
  • Tumoren (38 %): Lungen-, Brust-, Darm-, Prostatakrebs, Melanome.

Die meisten (auch schwerwiegenden) Fehldiagnosen wurden in Notfallambulanzen und ambulanten Kliniken gestellt. Dabei spielten in den Notaufnahmen ähnlich wie im stationären Setting vaskuläre Ereignisse und Infektionen die größere Rolle. In ambulanten Kliniken (ohne Notfallmedizin) wurde dagegen Krebs häufiger fehldiagnostiziert.

Was Ärzte falsch machen

  • zu späte oder falsche Anordnung von Untersuchungen und Tests 
  • zu enger Fokus inkl. unzureichend berücksichtigten Differenzialdiagnosen
  • falsche Einordnung relevanter Symptome oder Testergebnisse
  • verzögerte oder nicht ausgestellte Überweisungen und Konsile
  • Fehlinterpretation der Ergebnisse diagnostischer Studien
In 64 % der Fälle wurde den Patienten schwer geschadet. Fast 4000 starben, 3500 behielten eine Behinderung.

„Die Ergebnisse sprechen dafür, dass man durch eine verbesserte diagnostische Entscheidungsfindung bei einer relativ geringen Anzahl von Risikosituationen große Fortschritte erzielen könnte“, schlussfolgern die Forscher. Denn 86 % der Big-Three-Fälle waren auf Fehler beim sogenannten „clinical judgment“ zurückzuführen (s. Kasten). Angesichts dieser Umstände schlagen die Autoren vor, nicht nur bei der Interpretation von Bildern und anderen Befunden vermehrt auf unterstützende Analyse-Systeme zu setzen, sondern auch in puncto Ausbildung, Feedback und Teamwork nachzubessern.

Quelle: Newman-Toker DE et al. Diagnosis 2019; online first