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CRISPR: Erste Erfolge mit der Genschere bei HIV und Erbkrankheiten

Autor: Dr. Susanne Gallus

Die neue Generation der Genschere zerschneidet nur einen Strang der DNA. Die neue Generation der Genschere zerschneidet nur einen Strang der DNA. © iStock/ipopba
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In Regensburg wurde die erste Patientin mit Beta-Thalassämie genchirurgisch behandelt. Studien zur Gentherapie der Sichelzellanämie laufen dort ebenfalls. Und veränderte Spenderzellen zeigen bei einem HIV-Patienten in den USA vielversprechende Ergebnisse.

Auf durchschnittlich 16 Bluttransfusionen im Jahr war die 20-jährige Patientin wegen ihrer Beta-Thalassämie angewiesen. Bis vor neun Monaten schien ihre einzige Aussicht auf Heilung ein passender Stammzellspender zu sein. Unter der Leitung von Professor Dr. Selim Corbacioglu­, Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation, Uniklinikum Regensburg, wurde die junge Frau nun mit dem CRISPR­-Cas9-Verfahren therapiert1 – mit Erfolg, wie es scheint. Die Behandlung mit der Genschere ist Teil einer international angelegten Studie, in deren Rahmen 45 Patienten die Therapie erhalten. Der Nachbeobachtungszeitraum ist auf zwei Jahre angesetzt.

Der Eingriff ins Genom korrigiert in diesem Fall keinen der zugrunde liegenden Gendefekte, wird in einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Regensburg betont. Vielmehr umgeht man den Defekt und reaktiviert ein Gen, das normalerweise bis einige Monate nach der Geburt für die Produktion von fetalem Hämoglobin zuständig ist.

Blutwerte normal, keine Transfusionen mehr nötig

Im Vorfeld entnahmen die Ärzte der Frau hämatopoetische Stammzellen. Ex vivo reaktivierten sie mit dem CRISPR-Cas9-Verfahren das HbF-Gen. Die Patientin erhielt vorbereitend eine Chemotherapie, ähnlich wie vor einer Stammzelltransplantation, und dann die Infusion der aufbereiteten veränderten Zellen. Laut Pressemeldung hat sie seit der Behandlung vor neun Monaten normale Blutwerte und keine Transfusionen mehr benötigt. „Diese ersten Zwischenergebnisse stimmen uns sehr positiv“, wird Prof. Corbacioglu­ zitiert. Darüber hinaus starten die Wissenschaftler derzeit eine weitere Studie, bei der die Methode erstmals in Deutschland gegen Sichelzellan­ämie zum Einsatz kommt.

Auch in der HIV-Therapie machen die Genchirurgen Fortschritte. Zu unsicher und zu ungenau – das waren bisher zwei der Bedenken, wenn es um Genmanipulation mit der CRISPR-Cas9-Genschere ging. Wissenschaftler um Dr. Lei Xu vom 307 Hospital of the People‘s Liberation Army in Peking und Kollegen konnten einige dieser Zweifel durch die experimentelle Behandlung eines leukämiekranken HIV-Patienten ausräumen.2

Der Mann befand sich seit der HIV-Diagnose 2016 unter anti­viraler Therapie und sprach auch auf die medikamentöse Therapie der akuten lymphatischen Leukämie, die kurz darauf diagnostiziert worden war, gut an. Die Viruslast war unter Kontrolle, der Patient hatte lediglich eine Lymphopenie.

Im Rahmen der Therapie war für den 27-Jährigen eine Knochenmarkspende angesetzt. Das Spendermaterial bekam vor der Injektion aber eine gentechnische Spezialbehandlung, bei der die Ärzte ein HIV-Schlüsselgen deaktivierten: Ohne einen funktionierenden CCR5-Rezeptor kann das HI-Virus nicht in die Blutzellen eindringen.

Blutzellen „immun“ gegen HIV gemacht

Wie ein temporäres Absetzen der Virostatika zeigte, wurden die editierten Blutzellen vom Spender gut angenommen und bildeten CCR5-negative, „HIV-immune“ Blutzellen. Die Effizienz des Verfahrens reichte in diesem Fall allerdings nicht aus, um den Patienten zu heilen, betonen die Autoren. Der Mann braucht weiterhin Virostatika. Für die Forscher war entscheidend, dass die befürchteten wahllosen Mutationen durch CRISPR-­Cas9 in den Zielzellen ausblieben.

Bei den Ergebnissen dieser Proof-of-Concept-Studie müsse allerdings der geringe Anteil der modifizierten Zellen in Knochenmark und Blut des Patienten (5–8 %) berücksichtigt werden. Auch ließe sich aufgrund des bisherigen, kurzen Beobachtungszeitraums abschließend noch nichts über mögliche unerwünschte Mutationen sagen, schreibt Professor Dr. Carl H. June in einem begleitenden Kommentar.3

Dass die Möglichkeiten der Genchirurgie lange noch nicht ausgeschöpft sind, lässt eine Studie aus den USA erahnen. In Cambridge arbeiten Dr. Andrew V. Anzalone vom Merkin Institute of Transformative Technologies in Healthcare, Broad Institute of Harvard and MIT, und seine Kollegen bereits an der nächsten Generation der Genschere.4 Sie drosseln die Genschere Cas9, sodass diese nur noch einen statt ursprünglich beide DNA-Stränge schneidet. Das erhöht die Sicherheit, weil keine Kollateralschäden durch unbeabsichtigte Doppelstrangbrüche an anderen Stellen entstehen können.

Zusätzlich bekommt das Cas9-Enzym zwei neue Partner zur Seite gestellt. Einerseits ein RNA-Molekül (prime editing guide RNA, kurz pegRNA), das Cas9 zur Zielsequenz dirigiert und das zusätzlich die Vorlage für die gewünschte Genmodifikation enthält. Andererseits eine retrovirale DNA-Polymerase (reverse Transkriptase), die den Schnitt mit der ­pegRNA-Vorlage „repariert“.

Bis zu 89 % der pathogenen Gendefekte sind reparierbar

So muss man nicht mehr darauf vertrauen, dass die zusätzlich eingebrachten DNA-Stücke von den zelleigenen Reparaturmechanismen übernommen werden, sondern kann das Genom zielsicher editieren. Je nach Vorlage wäre es möglich, über einzelne Punktmutationen oder den Ein- bzw. Ausbau ganzer Abschnitte bis zu 89 % der pathogenen Gendefekte beim Menschen zu richten, schreiben die Entwickler.

Bisher wurde das System nur experimentell in menschlichen Zelllinien und in Mausneuronen eingesetzt. Dabei wurde die Punktmutation bei einer Sichelzellanämie rückgängig gemacht bzw. die Gen­sequenzen aus dem HEXA-Gen entfernt, die das bisher unheilbare Tay-Sachs-Syndrom auslöst. 

Quellen:
1. Pressemitteilung – Universitätsklinikum Regensburg
2. Xu L et al. N Engl J Med 2019; 381: 1240-1247; DOI: 10.1056/NEJMoa1817426
3. June CH. A.a.O.: 1281-1283; DOI: 10.1056/NEJMe1910754
4. Anzalone AV et al. Nature 2019; DOI: doi.org/10.1038/s41586-019-1711-4