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Der Effekt von Kalzium aus Milch wird überschätzt

Autor: Dr. Daniela Erhard

Zu viel Milch wirkt kontraproduktiv. Mehr als zwei Gläser am Tag sollten es nicht sein. Zu viel Milch wirkt kontraproduktiv. Mehr als zwei Gläser am Tag sollten es nicht sein. © iStock/lisegagne
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Milch wird gerne als gesundes Lebensmittel propagiert. Dass das Nahrungsmittel aber tatsächlich die Gesundheit fördert, kann eine Milchmädchenrechnung sein.

Erwachsene und Kinder ab neun Jahre sollen täglich drei 237-ml-Portionen Milch, Joghurt, Käse oder ähnliche Produkte zu sich nehmen, um die Kalziumversorgung zu gewährleisten und das Risiko für spätere Knochenbrüche zu minimieren. So lauten zumindest die US-amerikanischen Empfehlungen. Dass das zum Ziel führt, bezweifeln die Professoren Dr. Walter C. Willett­ und Dr. David S. Ludwig von der Harvard Medical School in Boston. Es könnten sogar gegenteilige Effekte entstehen. Daher sollte sich der Milchkonsum besser an den allgemeinen Ernährungsbedingungen orientieren und zwei Portionen nicht übersteigen.

Zwar enthält Kuhmilch viele essenzielle Nährstoffe wie Kalzium, Kalium und Phosphor und kann einen wertvollen Beitrag leisten, z.B. in Form von Säuglingsfläschchennahrung oder wenn die Nahrungsqualität grundsätzlich schlecht bzw. einseitig kohlenhydratlastig ist. Trotzdem ist sie nicht zwingend nötig für eine gesunde Entwicklung, solange die Zufuhr der Vitamine B12 und D stimmt. Ein Verzicht kann sogar gerade bei Kindern sinnvoll sein, die familiär bedingt ein erhöhtes Allergierisiko haben.

Wachstumsfördernder Cocktail

Des Weiteren handelt es sich bei Milch auch um einen Cocktail von wachstumsfördernden Hormonen und Aminosäuren. Ob der Effekt tatsächlich darauf zurückzuführen ist, bleibt unklar – Fakt ist aber: Milch führt selbst bei adäquater Ernährung zu größerem Längenwachstum. Und größere Menschen haben zwar ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber ein höheres für Krebs, Hüftfrakturen und Lungenembolien.

Einen Schutz vor Knochenbrüchen durch das Kalzium in der Milch halten die Ernährungs­experten für abwegig. So basieren die internationalen Werte für die empfohlene Tageszufuhr von derzeit 500–1000 mg für Erwachsene auf Studien, die insgesamt nur 155 Teilnehmer mit ohnehin schon hoher Kalziumaufnahme einschlossen und lediglich zwei bis drei Wochen dauerten. Dabei ist unter anderem bekannt, dass bei niedrigeren Mengen die Kalziumadsorption gesteigert und dadurch die Bilanz ausgeglichen sein kann. Außerdem profitiert die Knochendichte nur innerhalb des ersten Jahres von einer hohen Zufuhr des Minerals.

Dick trotz fettreduzierter Molkereiprodukte

Insgesamt ist die Knochendichte nicht mit der Kalziumzufuhr assoziiert und weder bei Mengen von unter 555 mg bis über 1100 mg Kalzium täglich noch beim Ausmaß des Milchkonsums besteht ein Zusammenhang zum Hüftfrakturrisiko. Bei Männern steigt es laut zweier Kohortenstudien im Alter sogar – und zwar um 9 % mit jedem Glas Milch, das sie während der Jugend täglich getrunken haben.

Auch die Empfehlung, möglichst auf fettreduzierte Produkte zurückzugreifen, sehen die Autoren kritisch. Mit ihnen lässt sich das Körpergewicht nicht besser kontrollieren als mit Vollmilchprodukten. Bei Kindern scheinen sie langfristig sogar eher eine stärkere Gewichtszunahme zu bewirken. Auch für die Annahme, fettarme Milch wirke sich besser auf die Blutfette aus, fehlen bislang überzeugende Beweise.

Weder für Vollmilch- noch für fettreduzierte Produkte besteht eine klare Assoziation mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Herzinfarkt. Vermutlich kommt es darauf an, welchen Teil des Speiseplans man durch Milch ersetzt. So liegt das Risiko für eine Erkrankung zwar unter dem von rotem Fleisch, aber über dem von Fisch oder pflanzlichen Fetten.

Weniger Darmkrebs, dafür mehr andere Karzinome

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Gesamtmortalität. Lediglich bei bestimmten Krebserkrankungen sind klare Zusammenhänge belegt. So steigert ein hoher Konsum von Milchprodukten klar das Risiko für Prostatakrebs, und hier besonders für aggressivere Formen. Auch Endometriumkarzinome sind häufiger. Beides lässt sich gut mit den Hormonen in der Milch in Einklang bringen. Schutz scheint in dem Fall tatsächlich das Kalzium zu bieten, nämlich gegen Darmkrebs

Quelle: Willett WC, Ludwig DS. N Engl J Med 2020; 382: 644-654; DOI: 10.1056/NEJMra1903547