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Koronare Herzkrankheit Ein Herz und eine Seele

DGIM 2022 Autor: Birgit Maronde

Nach einem akuten Koronarsyndrom sind die psychischen Störungen keineswegs die Ausnahme. Nach einem akuten Koronarsyndrom sind die psychischen Störungen keineswegs die Ausnahme. © iStock/Tzido
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Vor realen Bedrohungen Angst zu haben, ist sinnvoll: Gefahrensituationen werden dadurch vermieden oder mit erhöhter Vigilanz durchgestanden. Das gilt auch im Hinblick auf die Krankheitsbewältigung. Doch welche Angst ist angemessen und welche bereits pathologisch?

Ein überlebtes schweres kardiales Ereignis geht bei vielen Betroffenen zunächst mit einer akuten psychischen Belastung einher, mit Angst, Trauer oder Ärger. „Das ist normal, es gibt kaum einen Menschen, den so etwas kalt lässt“, erklärte Prof. Dr. Christian Albus von der Klinik und Poliklinik für Psycho­somatik und Psychotherapie der Uniklinik Köln.

Rasch entwickelt sich dann eine „sehr subtile“ Balance zwischen dem Vergessen, d.h. der Fähigkeit, nicht die ganze Zeit an das Ereignis denken zu müssen, und dem Sich-Erinnern. Im Hinblick auf die Sekundärprävention ist Letzteres durchaus wichtig. Schließlich soll den Patienten bewusst bleiben, dass sie eine KHK haben. Sie sollen regelmäßig ihre Medikamente nehmen, mit dem Rauchen aufhören und sich mehr bewegen. Ein angemessenes „Durcharbeiten“ führt schließlich zur Bewältigung der Geschehnisse.

In dieser Kette kann einiges schief gehen, wie Prof. Albus erläuterte. Aus der akuten Belastung resultieren mitunter Panikattacken oder akute Belastungsreaktionen. Das „Vergessen“, d.h. die übermäßige Hemmung des Angsterlebens, kann in eine extreme Verleugnung münden, die sich klinisch auch in einer Non-Adhärenz widerspiegelt. Prof. Albus: „Non-Adhärenz ist nicht einfach Dummheit oder Faulheit ... Wer non-adhärent ist, hat keine adäquate Balance zwischen Angst und Angstzähmung.“ Werden Patienten immer wieder von Erinnerungen an die Erkrankung oder damit verbundenen Ereignissen geflutet, liegt womöglich eine posttraumatische Belastungsstörung vor. Und in der Phase des Durcharbeitens können sich Angststörungen oder Depressionen entwickeln.

Viele Patienten sprechen von sich aus nicht über ihre Probleme

Nach einem akuten Koronarsyndrom sind die psychischen Störungen keineswegs die Ausnahme. Eine Angststörung lässt sich z.B. im Langzeitverlauf bei jedem siebten bis fünften Patienten beobachten (s. Kasten). Doch von sich aus sprechen viele nicht über ihre Probleme, weil sie davon ausgehen, dass sie den Arzt nicht interessieren. Dabei wünschen sich weit über 90 % der KHK-Patienten, darauf angesprochen zu werden. Fest steht: Jeder Zweite mit psychischer Komorbidität wird übersehen.

Psychische Störungen bei KHK

  • Angststörungen kurz nach einem akuten Koronarsyndrom (ACS) bei 30 % der Betroffenen, im weiteren Verlauf bei 10–20 %
  • Depressivität kurz nach einem ACS bei bis zu 50 % der Kranken, im weiteren Verlauf Depression gemäß ICD 10 bei 15–20 %
  • PTBS nach ACS in 0–32 % der Fälle – in der Kölner Uniklinik hat man eine Rate von 2–3 % ermittelt.
  • Delir (z.B. nach koronarem Bypass) bei ca. 30 % der Operierten. Im weiteren Verlauf bei bis zu 50 % der ehemals deliranten Patienten passageres Minimal Cognitive Impairment (MCI) bzw. kognitive Defizite.

Seien Sie Ihren Patienten gegenüber offen und fragen Sie routinemäßig nach dem seelischen Befinden, riet Prof. Albus. Schaut Sie der Kranke lächelnd an und sagt „ganz gut“, dürfen Sie das so akzeptieren. Druckst er dagegen herum und meint „nicht so gut“, bitten Sie ihn, seine Beschwerden näher zu beschreiben.  

Für eine Anpassungsstörung sprechen umschriebene ausgeprägtere Ängste, etwa die vor einem Krankheitsprogress. Bei der Panikstörung beschreibt der Patient Anfälle aus dem Nichts, er berichtet vor allem von Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Luftnot und (Todes-)Angst. Die Phobie ist begrenzt auf bestimmte Konstellationen, z.B. die Vorstellung, das Haus jetzt verlassen zu müssen. Typisch dabei ist der oft starke Drang, die Situation zu vermeiden. Für eine generalisierte Angststörung sprechen häufige Nervosität oder Anspannung oder eine ständige Besorgtheit, die nicht zu kontrollieren ist.  

Haben Sie eine Diagnose gestellt, dürfen Sie den Patienten nicht einfach zum Psychiater abschieben. „Das ist nicht hilfreich“, meinte Prof. Albus. Die Menschen sitzen wegen ihrer körperlichen Erkrankung bei Ihnen, sie vertrauen Ihnen und sie werden Ihnen noch mehr vertrauen, wenn Sie sie auch auf der seelischen Ebene annehmen, mahnte der Kollege. „Nehmen Sie sich ein bisschen Zeit, schon fünf Minuten machen einen großen Unterschied.“

Fragen Sie den Patienten, was die Krankheit und deren Symptome für ihn bedeuten (subjektive Krankheitstheorie). Lassen Sie zu, dass er über seine Gefühle spricht und wiegeln Sie anschließend nicht einfach ab nach dem Motto „das ist doch ganz normal“, um dann zum nächsten Thema, Stuhlgang oder Miktion, überzugehen.  

Fragen Sie auch nach Adhärenzproblemen, riet Prof. Albus. „Passiert es Ihnen häufiger, dass Sie ihre Tabletten vergessen, das kommt ganz häufig vor.“ Oder: „Fast die Hälfte der Patienten hat Probleme, ihre Medikation regelmäßig einzunehmen. Wie ist denn das bei Ihnen?“

Herzstolpern bedeutet nicht automatisch Gefahr

Akzeptieren Sie die Angst und bieten Sie dem Patienten Ihre Unterstützung an, damit er die Konfrontation mit seiner Herzerkrankung bewältigt. Basis ist dabei die Information und Aufklärung, die auch die subjektive Bewertung von Symptomen einschließen sollte. So kann man dem Patienten z.B. verdeutlichen, dass Herzstolpern nicht automatisch Gefahr bedeutet.

Schlagen Sie dem Patienten ggf. soziale Unterstützung, Rehamaßnahmen, die Teilnahme an einer Herzgruppe, Psychotherapie und/oder eine medikamentöse Behandlung vor. Erzielen Sie mit ihm einen therapeutischen Konsens und vereinbaren Sie regelmäßige Kontrolltermine in drei- bis vierwöchigem Abstand, die unabhängig von aktuellen Symptomen stattfinden sollten.

Bei leichten bis mittelgradigen psychischen Störungen infolge einer organischen Erkrankung sind die psychosomatische Grundversorgung und ggf. eine Reha genauso effektiv wie die Fachpsychotherapie, betonte Prof. Albus.  Bei schweren Störungen braucht es dagegen die Fachpsychotherapeuten und/oder eine Medikation.

Quelle: 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin