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Ist Tinnitus erblich bedingt?

Autor: Dr. Daniela Erhard

Tinnitus liegt wohl auch in den Genen. Tinnitus liegt wohl auch in den Genen. © iStock/Aleksej Sarifulin
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Klagen mehrere Mitglieder derselben Familie über Tinnitus, muss das kein Zufall sein. Denn die Ohrgeräusche scheinen auch eine genetische Komponente zu haben.

Klagt ein Patient über Klingeln oder Pfeifen im Ohr, würde wohl kaum ein Arzt fragen, ob derartige Ohrgeräusche häufiger in der Familie vorkommen. Ganz abwegig wäre es allerdings nicht: Eine Studie zeigt zum ersten Mal in einer genomweiten Assoziationsanalyse, dass Tinnitus in den Genen liegen kann.

Das ist ein Meilenstein, wie Professor Dr. ­Christopher R. Cederroth­, National Institute for Health Research der University of Nottingham, gemeinsam mit Kollegen aus Regensburg und Stockholm in einem Kommentar zum Beitrag schreibt.1 Auch wenn das Bild noch lange nicht vollständig sei, belegten die Daten der Kollegen der University of California in San Diego doch, dass es sich bei der Hörstörung nicht bloß um ein Symptom, sondern um eine eigenständige neurologische Erkrankung handele.

Die Wissenschaftler um Dr. ­Royce E. Clifford­ waren durch Vergleiche kurzer variabler Sequenzabschnitte, sogenannter SNPs, unter mehr als 155 000 registrierten Teilnehmern der UK Biobank zunächst auf sechs unabhängige Loci und 27 Gene gestoßen, die sich bei Probanden mit und ohne Tinnitus charakteristisch unterschieden.2 Für drei der Genomstellen und acht der Gene fanden die Forscher dieselben Variationen auch in den Genomen von über 260 000 Probanden des US Million Veteran Programs.

Die genetische Variation korre­lierte mit anderen Eigenschaften der Probanden: Hörverlust, Insomnie, Depressionen und Neurotizismus schienen stärker mit Tinnitus verbunden zu sein, während Wohlbefinden und höhere Bildung eher davor schützten.

Die Sequenzvarianten betreffen offenbar Gene, die zum Teil spezifisch für Tinnitus oder zusätzlich auch Hörverlust sind, aber auch solche, die u.a. in Zusammenhang mit Schmerzweiterleitung, Depressionen und Persönlichkeitsstruktur stehen.

Vererbung erklärt aber nur einen kleinen Teil, nämlich 6 %, der beob­achteten Variabilität. Und auch die Kommentatoren um Prof. Cederroth betonen, dass Umweltfaktoren eine bedeutende Rolle spielen – möglicherweise über epigenetische Veränderungen.

Quellen:
1. Cederroth CR et al. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg 2020; DOI: 10.1001/jamaoto.2020.2919
2. Clifford RE et al. A.a.O.: e202920; DOI: 10.1001/jamaoto.2020.2920