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Long COVID Mangelhafte Studien gaukeln hohe Prävalenz vor

Autor: Michael Brendler

Denn 40 % aller Coronapatienten entwickeln in den ersten drei postinfektiösen Monaten verschiedenste Beschwerden. Der CDC würde das für die Diagnose Long COVID ausreichen. Denn 40 % aller Coronapatienten entwickeln in den ersten drei postinfektiösen Monaten verschiedenste Beschwerden. Der CDC würde das für die Diagnose Long COVID ausreichen. © freshidea – stock.adobe.com
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Wird Long COVID überschätzt? Diese provokante Frage wirft eine Wissenschaftlerin auf, die die Studienlage zu dem bislang noch sehr unscharf definierten Krankheitsbild analysiert hat.

Fast jeder fünfte Amerikaner, der sich mit dem Coronavirus angesteckt hat, leidet aktuell unter dem Syndrom Long COVID. Das haben kürzlich die amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) verkündet. Laut Dr. Tracy Høeg von der Abteilung für Epidemiologie and Biostatistik der University of California sind solche Aussagen problematisch. Der Grund: Viele wissenschaftliche Veröffentlichungen, auf die sich auch die CDC beziehen, lieferten zu hohe Prävalenzdaten. Grund seien die methodischen Schwächen, die diese Studien häufig aufweisen.Verschärft werde das Problem zudem dadurch, dass bislang noch gar nicht richtig definiert sei, was unter einem Long-COVID-Syndrom zu verstehen ist.

Oft fehlen Kontrollgruppen und Virusserologie

So ist beispielsweise den Autoren eines systematischen Reviews kürzlich aufgefallen, dass nur in 11 % der Long-COVID-Publikationen eine Kontrollgruppe berücksichtigt wird. Angesichts der unscharfen Definition des Krankheitsbildes sei man als Wissenschaftler aber verpflichtet, die Häufigkeit der berichteten Symptome mit der in einer Kontrollgruppe zu vergleichen. Wie ungenau die entsprechende Terminologie ist, wird ihrer Meinung nach u.a. durch die Tatsache belegt, dass sich in der wissenschaftlichen Literatur mehr als 200 Symptome fänden, die mit Long COVID assoziiert sein sollen. Ein kausaler Bezug zur Krankheit ist dabei in der Regel nicht nachgewiesen. Ein weiteres Problem: Oft wird per Serologie nicht überprüft, ob die jeweiligen Probanden tatsächlich einmal coronapositiv gewesen sind. Als Long-COVID-Patient gilt oft bereits, wer von einer früheren Infektion erzählt und berichtet, dass die Symptome mit zeitlichem Bezug dazu eingesetzt hätten.

Allerdings wird bislang selbst dem Begriff „zeitlicher Bezug“ in der Forschung große Interpretationsfreiheit eingeräumt: Drei von vier Arbeitsdefinitionen des Krankheitsbildes verlangen, dass die Symptome schon während der akuten Infektion vorhanden waren und danach nicht mehr verschwunden sind. Für die CDC wiederum ist laut Dr. Høeg jedes Symptom, das nach der Akutinfektion auftaucht und vier Wochen anhält, ein Zeichen für Long COVID. „Das verleitet zu Fehlklassifizierungen“, schreibt sie. Denn laut einer britischen Arbeit entwickeln 40 % aller Coronapatienten in den ersten drei postinfektiösen Monaten verschiedenste Beschwerden. Der CDC würde das für die Diagnose Long COVID ausreichen.

Berücksichtigt man dagegen nur die wirklich gut designten Studien, kommt man zu eher beruhigenden Schätzungen. Dr. Høeg verweist in diesem Zusammenhang u.a. auf eine britische Studie mit Prävalenzen im Bereich von 1,6–3 %.

Quelle: Høeg TB al. BMJ Evid Based Med 2023; DOI: 10.1136/bmjebm-2023-112338