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Vestibularisparoxysmie Neuronales Konfliktpotenzial

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Li.: Im MRT stellt sich der Konflikt (blauer Pfeil) zwischen A. cerebelli inferior anterior (rot) und dem N. vestibulocochlearis (gelb) gut dar.

Re.: Intraoperativer Situs vor dem Abpräparieren der vorderen Kleinhirnarterie von den Nerven. Li.: Im MRT stellt sich der Konflikt (blauer Pfeil) zwischen A. cerebelli inferior anterior (rot) und dem N. vestibulocochlearis (gelb) gut dar. Re.: Intraoperativer Situs vor dem Abpräparieren der vorderen Kleinhirnarterie von den Nerven. © Kehler U. Hamburger Ärzteblatt 2022; 76: 32-33 © Hamburger Ärzteverlag, Hamburg
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Eine therapierefraktäre Vestibularisparoxysmie geht mit einem hohen Leidensdruck einher. Durch eine mikrovaskuläre Dekompression lassen sich die Beschwerden kurativ behandeln.

Knapp 4 % der Patienten, die aufgrund von Schwindel in einer spezialisierten Ambulanz vorstellig werden, erhalten die Diagnose Vestibularisparoxysmie. Das Syndrom zeichnet sich durch spontane, kurz anhaltende Dreh- und/oder Schwankschwindelattacken aus, die bis zu 100-mal täglich auftreten können. Häufig gehen sie mit Ohrgeräuschen und einem erhöhten Sturzrisiko einher, erläutert Prof. Dr. Uwe Kehler, Neurochirurgie an der Asklepios Klinik Altona, Hamburg.

Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen einer Vestibularisparoxysmie gehören:

  • benigner peripherer, paroxysmaler Lagerungsschwindel
  • paroxysmale Hirnstammattacken
  • vestibuläre Migräne
  • phobischer Schwankschwindel
  • Vertebral Artery Occlusion Syndrome
  • zentraler Lage- bzw. Lagerungsnystagmus

Prof. Kehler berichtet von einer 38-jährigen Patientin, die bei Vorstellung in seiner Klinik seit vier Jahren unter Schwindelepisoden litt, aber trotz der bereits mehrfach gestellten Verdachtsdiagnose Vestibularisparoxysmie nie kausal behandelt worden war. Sie klagte über blitzartige, nur wenige Sekunden anhaltende Drehschwindelattacken, die sie bis zu 20-mal am Tag überfielen und schon mehrfach zu Stürzen geführt hatten. Daneben beschrieb sie einschießende Schmerzen im äußeren Gehörgang sowie einen linksseitigen pulssynchronen Tinnitus. Neurologisch war sie unauffällig.

Initial sprach sie gut auf eine Therapie mit Carbamazepin an. Im Verlauf musste jedoch die Dosis erhöht werden und es kam zu erheblichen Nebenwirkungen. Auch mit Pregabalin ließ sich nur eine partielle und unbefriedigende Besserung erzielen.

Zwei Hirnnerven standen unter Druck

Eine Kernspintomografie mit einer hochauflösenden T2-Dünnschichtung offenbarte einen Gefäßnervenkonflikt und damit eine Kompression sowohl des N. vestibularis als auch des N. glossopharyngeus am Übergang zum Hirnstamm.

Die typische Symptomatik, das zumindest anfänglich gute Ansprechen auf eine antikonvulsive Therapie sowie die Ergebnisse der Bildgebung ließen kaum Zweifel an der Diagnose einer Vestibularisparoxysmie. Die Kollegen rieten deshalb zu einer mikrovaskulären Dekompression. Direkt nach dem Eingriff sistierten die Beschwerden. Bei der Kontrolle nach drei Monaten war die Patientin ohne antikonvulsive Therapie schmerz- und schwindelfrei. Sie konnte ihren Alltag wieder ohne Einschränkungen bewältigen.

Trotz sicherer Diagnose zeigen sich manche Chirurgen nicht bereit, eine mikrovaskuläre Dekompression durchzuführen, so Prof. Kehler. Gründe für die Zurückhaltung sind seiner Meinung nach in erster Linie Unsicherheiten hinsichtlich der Seitenzuordnung. Ein Nystagmus, der sich nur selten während der ohnehin kurzen Attacken beobachten lässt, ist für die Lokalisation nicht zuverlässig. Relativ untrüglich hingegen scheint ein während der Attacken auftretender oder sich verstärkender Tinnitus zu sein.

Am vorgestellten Beispiel zeigt sich, dass die mikrovaskuläre Dekompression eine Erfolg versprechende Option für eine Vestibularisparoxysmie ist, die auf Antikonvulsiva nur unzureichend anspricht. Für konkrete Behandlungsempfehlungen bedarf es jedoch weiterer Forschung.

Quelle: Kehler U. Hamburger Ärzteblatt 2022; 76: 32-33 © Hamburger Ärzteverlag, Hamburg