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Dyspnoe Opioidgabe früh thematisieren

Autor: Manuela Arand

Bevor man einem schwer Kranken mit quälender Atemnot Opioide verschreibt, sollten andere Therapiemöglichkeiten, etwa die nicht-invasive Beatmung, ausgereizt sein. Bevor man einem schwer Kranken mit quälender Atemnot Opioide verschreibt, sollten andere Therapiemöglichkeiten, etwa die nicht-invasive Beatmung, ausgereizt sein. © Yanukit – stock.adobe.com
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Opioide sind probate Mittel gegen schwere Atemnot, nicht nur bei Tumorleiden. Allerdings wirken sie nicht bei jeder Form von Dyspnoe. Außerdem besteht die Gefahr der Abhängigkeitsentwicklung, die man durchaus ernst nehmen sollte. 

Die Zulassung für Opioide umfasst die Behandlung starker Schmerzen, aber nicht den Einsatz bei Dyspnoe, betonte Dr. ­Susanne ­Riha vom Fachkrankenhaus Coswig. In der S3-Leitlinie Palliativmedizin wird er empfohlen und ist damit fachlich abgesichert – allerdings nur für unheilbar Krebskranke. Bei schwer kranken Patienten mit Atemnot anderer Ursache, etwa COPD, braucht man eine sorgfältige Aufklärung und Dokumentation, um rechtlich auf der sicheren Seite zu stehen.

Die Kollegin riet dazu, schon frühzeitig, wenn eine pragmatische Kommunikation über Behandlungsziele und Therapieerwartungen noch möglich ist, den Opioid­einsatz zu besprechen und auch einen Palliativmediziner hinzuzuziehen. Das betreffe weder COPD-
Kranke, die mit Belastungspausen oder Sauerstoff noch recht gut zurechtkommen, noch präterminale Patienten, die das Bett nicht mehr verlassen können. Im Fokus seien „die dazwischen – die nach langer Krankheitsgeschichte immer wieder exazerbieren und die wir palliativ rehabilitieren möchten.“ 

Für ein Gespräch über Notfall­pläne, in das ein Patient in therapiebedürftiger Hyperkapnie mit schwerer Dyspnoe und psychotischer oder Angst­erkrankung schwer belas­tet hineingeht, fehlt in der Praxis allerdings oft die Zeit. „Deshalb mein Vorschlag: Wenn Sie so einen Patienten haben, der an der Grenze zur Opioidtherapie steht, schicken Sie ihn einmal zu uns in die Klinik, damit wir die Symptomlast erfassen, die Ursachen identifizieren, die Therapieangebote erläutern“, bot Dr. Riha an. Die Sicherheit, dass eine adäquate Symptomkontrolle möglich ist, entlastet nach ihrer Erfahrung Patient und Therapeuten und hilft, die Medikation ggf. zu de­eskalieren und eine Übertherapie zu vermeiden. 

Opioide sind nur einer von vielen Bausteinen der Dyspnoebehandlung neben psychosozialer Unterstützung, dem Erlernen von Atemtechniken, Reha, Sauerstoffgabe und – bei Komorbidität Angst – der Verordnung von Anxiolytika. Natürlich sollte vor der Opioidgabe geklärt sein, ob alle Therapieoptionen inklusive nicht-invasive Ventilation, Langzeitsauer­stofftherapie, Ventilimplantation, operative Lungenvolumenreduktion bis hin zur Transplantation ausgeschöpft wurden. Dyspnoeträchtige Begleit­erkrankungen müssen ausgeschlossen und/oder adäquat therapiert sein. Und eines muss man stets bedenken: Opioide lindern nicht jede Luftnot. Bei Tumorerkrankungen helfen sie, bei Herzinsuffizienz beispielsweise nicht. Deshalb ist ihr Einsatz auf die jeweilige Ursache abzustimmen.

Opioidabhängigkeit erkennen

Indizien dafür, dass bei einem Patienten das Risiko für einen missbräuchlichen Konsum von Opioiden besteht, können sein:

  • starker Schmerzlevel ohne andere Zeichen der Belastung

  • wiederholte Berichte, dass Opioide verloren oder gestohlen wurden

  • über den Substanzgebrauch besorgte Angehörige (nicht immer ein Indiz, aber einen genaueren Blick wert)

  • unerwartete Ambulanztermine/Notaufnahmen wegen Opioiden

  • wiederholte eigenständige Dosiserhöhung

Belastungsdyspnoe präventiv behandeln

Die Behandlung sollte individuell gestaltet werden. Bei opiatnaiven Patienten mit selbstlimitierender starker Belastungsdyspnoe stellt sich z.B. das Problem, dass die Wirkung des Medikaments schnell einsetzen, aber nur relativ kurz anhalten muss. In diesem Fall empfiehlt sich orales, kurz wirksames Morphin oder Hydromorphon. Man sollte überlegen, ob die Gabe präventiv erfolgen kann, z.B. 20–30 Minuten vor der morgendlichen Körperpflege, riet die Kollegin. Zudem ist regelmäßig zu prüfen, ob die Therapie noch den Bedürfnissen des Patienten entspricht oder vielleicht ein Übergang auf retardiertes Morphin sinnvoll erscheint. Denn je schneller ein Wirkstoff anflutet, desto größer sind das Risiko einer unkontrollierten Dosissteigerung und das Suchtpotenzial, warnte Dr. Riha. 

Angesichts der großen Palette von Präparaten und Darreichungsformen besteht das Risiko, „dass das Umfeld, in das Sie den Patienten zurückschicken, nicht immer die gleichen Medikamente verwendet wie Sie – seien Sie sehr eindeutig in Ihrem Arztbrief“, betonte Dr. Riha.  Zudem seien vor allem Hausärzte häufig nicht vertraut mit der unter Palliativmedizinern üblichen Terminologie. Wichtig ist insbesondere, die Unterscheidung von Akut- und Retardpräparaten kenntlich zu machen, um Fehlverordnungen im ambulanten Setting vorzubeugen. Außerdem sollte man sich vergewissern, dass der Patient – speziell wenn akute Atemnot ihn nervös macht – in der Lage ist, das Medikament zu handhaben. Der Tremor, der viele COPD-Patienten plagt, macht das nicht leichter. 

Spielt Abhängigkeit bei schwer kranken Patienten überhaupt noch eine Rolle? PD Dr. ­Martin ­Neukirchen, Universität Düsseldorf, erinnerte an den von öffentlicher Pharmawerbung und dem Gewinnstreben einzelner Kliniken befeuerten Opioid-Tsunami in den USA mit täglich 140 Überdosis­opfern. Schon 2003 verordnete dort jeder zweite Allgemeinmediziner Oxycodon. „Da müssen wir in Europa genau hingucken, wenn es bei uns nicht auch so laufen soll“, betonte der Anästhesist und Palliativmediziner. Aktuell ist hierzulande jedoch keine Opioidkrise in Sicht, die Verordnungszahlen für stark wirksame Opioide steigen nur leicht. 

Patienten leben mitunter noch viele Jahre weiter

In der Palliativmedizin geht es nicht darum, Patienten in der Finalphase mit Opioiden zu helfen. Sind die Substanzen indiziert, sollten sie frühzeitig in die Therapie integriert werden. Das kann bedeuten, dass der Patient noch Monate oder Jahre mit seiner Krankheit, den Symptomen und auch der Opiattherapie lebt, zumal Erfolge bei der Behandlung der Grunderkrankung die Palliativphase verlängern. Das Thema Abhängigkeit spielt dann womöglich doch eine Rolle, so Dr. Neukirchen.Wichtig sei es, Risikopatienten zu erkennen (s. Kasten). 

In diesem Kontext empfahl der Experte für das Management von Opioidpatienten Folgendes:

  • Reduktionsvisiten fest einplanen, vor allem wenn die Chance auf Langzeitüberleben besteht, bei hoher psychosozialer Belastung, bei Suchtanamnese, therapiebedingten Schmerzen (z.B. nach Radiatio), bei Mukositis oder peripherer Neuropathie

  • auf potenzielle Überdosierung achten (bei fortschreitender Erkrankung nehmen Schmerzen nicht zwangsläufig zu)

  • nicht-medikamentöse Maßnahmen nutzen

  • an „Total Pain“ inklusive sozialer, psychischer und spiritueller Dimension denken (Morphium hilft nicht gegen seelisches Leid und Total Pain)

  • Vorsicht mit schnell freisetzenden Opioidpräparaten wie Fentanylnasenspray (bei Luftnotattacken zurückhaltende Verordnung)

Quelle: Kongressbericht 63. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin