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Scheu ablegen Palliativmedizin frühzeitig in die Routineversorgung von Lungenpatienten integrieren

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Palliativmedizinische Unterstützung kann auch pflegende Angehörige entlasten. Palliativmedizinische Unterstützung kann auch pflegende Angehörige entlasten. © Science Photo Library/Massee, Arno
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Patienten mit COPD oder interstitieller Lungenkrankheit benötigen mindestens so viel palliativmedizinische Hilfe wie Krebskranke. Doch wird ihnen diese oft gar nicht oder erst dann angeboten, wenn der Tod quasi vor der Tür steht. Eine Leitlinie will für Abhilfe sorgen. 

Grundsätzlich kann der Bedarf für eine palliativmedizinische Behandlung bei schwerer COPD oder interstitiellem Lungenleiden (Interstitial Lung Disease, ILD) in jeder Phase der Erkrankung auftreten. Sie ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung der krankheitsmodifizierenden Therapie, heißt es in der neuen Leitlinie der European Respiratory Society (ERS). Zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt kann sie unter Einbeziehung der pflegenden Angehörigen die Lebensqualität und das Wohlbefinden verbessern. Palliativmedizinische Maßnahmen sollten immer dann ergriffen werden, wenn sich die Patienten oder ihre informellen Pflegepersonen in physischer, psychosozialer und spirituell-existenzieller Hinsicht unzureichend unterstützt fühlen. Allerdings bringen sie oftmals ihre Nöte nicht von sich aus zur Sprache. Deshalb raten die Autoren, diese aktiv zu erfragen. Dabei ist auf das richtige Timing zu achten. 

Patienten mit idiopathischer pulmonaler Lungenfibrose und deren Angehörigen sollte man die palliative Unterstützung sehr direkt anbieten. Bei ihnen kann ein Start bereits zum Zeitpunkt der Diagnose sinnvoll sein. Menschen mit leichter COPD hingegen würde man durch ein derartiges frühes Angebot eher verschrecken, warnen die Autoren. Bei ihnen sollte eine Überweisung zum Palliativmediziner insbesondere dann erwogen werden, wenn sich die Hinweise auf eine deutliche Verschlechterung der Erkrankung mehren (z.B. häufige stationäre Aufenthalte, Langzeit­sauerstofftherapie, hohe Symptomlast).

Oftmals zögern Ärzte mit diesem Schritt unter anderem deswegen, weil der individuelle Krankheitsverlauf unklar ist und das Lebensende nicht unmittelbar bevorsteht. Auch die Patienten sind häufig dagegen, da sie diese Maßnahme mit Krebs und Tod in Verbindung bringen – ein folgenreiches Missverständnis. Denn eine frühzeitige Vorstellung (nach Möglichkeit bereits im mittelschweren Stadium der COPD) verbessert in der Regel den Therapie­erfolg. Im Nachhinein sind die meisten Patienten froh, diesen Schritt gegangen zu sein, so die Autoren.

Auch Patienten mit ILD werden oft zu spät in der Palliativmedizin vorgestellt, sodass es kaum mehr gelingt, ihren umfangreichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Als Alarmzeichen gelten z.B. Sauerstofftherapie, unkontrollierte Symptome und funktionelle Verschlechterung, aber auch psychische Beschwerden (Angst, Depression) und die zunehmende Abhängigkeit von Angehörigen. 

Palliativmedizinisches Setting für Prognosegespräch nutzen

Die Integration palliativmedizinischer Elemente in die Routineversorgung erleichtert bei beiden Lungenerkrankungen nicht zuletzt das frühzeitige Gespräch über die Prognose. Zwar benötigt nicht jeder ILD-Patient zwangsläufig eine intensive und spezialisierte Palliativ­versorgung, aber man sollte zumindest immer den individuellen Bedarf eruieren. 

Viele Ärzte scheuen sich davor, über die Ziele der palliativen Therapie zu sprechen. Sie befürchten, dadurch dem Patienten die Hoffnung zu nehmen – zu Unrecht. Denn die meisten Schwerkranken wünschen sich eine offene und ehrliche Kommunikation. Unpassender Optimismus von ärztlicher Seite ist nicht angebracht. Sehr wichtig für den Erfolg der palliativen Unterstützung ist eine gute Kommunikation zwischen Patienten, pflegenden Angehörigen und medizinischem Personal. Dafür können auch telemedizinische Möglichkeiten oder internetbasierte Medien genutzt werden.

Lebensverlängernde Maßnahmen besprechen

Ein zentraler Bestandteil der palliativen Versorgung bei COPD und ILD ist die vorausschauende Therapieplanung. Entscheidungen über das Ausmaß der gewünschten Behandlungen am Lebensende (z.B. Beatmung, Reanimation) hängen von der individuellen Prognose, der Krankheitslast und existenziellen Ängsten ab. Zu berücksichtigen ist, dass Patienten und Angehörige oft sehr unterschiedliche Wünsche bzw. Vorstellungen haben. 

Zum Problem kann es werden, wenn COPD-Patienten nur wenig über ihre Erkrankung wissen und die gesundheitlichen Aussichten falsch einschätzen. Andererseits wollen Betroffene, die sich gut auskennen, das Gespräch oftmals nicht von selbst beginnen. Wichtig zu wissen ist in jedem Fall, dass sich Wünsche und Wertvorstellungen der Patienten im Lauf der Zeit verändern können. Die Therapieplanung sollte deshalb regelmäßig überdacht und ggf. angepasst werden.

Quelle: Janssen DJA et al. Eur Resp J 2023; 62: 2202014; DOI: 10.1183/13993003.02014-2022