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Psychologische Herausforderungen im Umgang mit Diabetes und Diabetestechnik

Autor: Antje Thiel

Rückschläge einstecken – das gehört zum Diabetesmanagement dazu. Rückschläge einstecken – das gehört zum Diabetesmanagement dazu. © iStock/Rawpixel
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Die kontinuierliche Glukosemessung mit rtCGM- und iscCGM-Systemen offenbart Menschen mit Diabetes ebenso wie ihren Behandlungsteams erbarmungslos auch all die Phasen, in denen es nicht so gut läuft. Eine psychologische Herausforderung, mit der beide Seiten erst lernen müssen, umzugehen.

Das Selbstmanagement bei Dia­betes erfordert viel Zeit und Ressourcen. Gut 8700 Stunden pro Jahr verbringen Patienten damit, ihren Blutzucker zu kontrollieren, an ihre orale Medikation zu denken, CGM-Verläufe zu studieren oder ihr Insulin zu spritzen. „Menschen mit Diabetes benötigen ein gehöriges Maß an Impulskon­trolle“, sagte die Psychologin Professor Dr. Karin Lange, Medizinische Hochschule Hannover.

„Der Berliner Hauptbahnhof zum Beispiel, das ist doch eigentlich eine Riesen-Imbissbude mit Gleisanschluss – da wundert es einen doch nicht, wenn es Menschen mit Typ-2-Diabetes nicht gelingt, all den Versuchungen zu widerstehen.“

Vorbildliches Management wird nicht immer gleich belohnt

Insulinpflichtige Diabetespatienten wiederum müssen den Impuls kontrollieren, sofort nach der Insulin­injektion essen zu wollen, anstatt den notwendigen Spritz-Ess-Abstand einzuhalten. Ebenso müssen sie aber auch dem Drang widerstehen, einen hohen Glukosewert zu früh zu korrigieren, weil noch ein Bolus wirkt. Auch ein hohes Maß an Frustrationstoleranz wird im Alltag mit Diabetes benötigt: „Es gibt nicht immer Belohnungen für die Anstrengungen, die man unternimmt, um den Diabetes gut zu managen“, erklärte Prof. Lange, und auch bei einem vorbildlichen Diabetesmanagement gibt es Zufälle, mit denen nicht zu rechnen war.

Hinzu kommt, dass der Umgang mit Diabetes ein hohes Verständnis für komplexe nicht-lineare Assoziationen erfordert: Wie wirkt Insulin? Welchen Effekt hat der Verzehr von Kohlenhydraten, Fett und Proteinen? Wie wirkt sich körperliche Aktivität aus? Warum wirkt Insulin nicht sofort nach der Injektion? Wieso ist der Gewebeglukosewert gegenüber der Blutglukose verzögert? „Leider ist es um die Gesundheitskompetenz bei über der Hälfte der Bevölkerung in Deutschland nicht gut bestellt. Diese Menschen können selbst mit basalen Informationen nichts anfangen, die für eine allgemeine Therapieadhärenz erforderlich wären.“

Welchen Einfluss hat die Datenflut auf Jugendliche?

Wie heikel der Umgang mit der Datenflut sein kann, machte Prof. Lange am Beispiel von Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes deutlich: „In dieser Altersgruppe ist es sehr unterschiedlich, wie gut die Betroffenen ihre CGM-Daten selbst verstehen und interpretieren, wie souverän sie damit umgehen – aber auch wie gut die Kommunikation mit der Praxis funktioniert.“ Diabetologen müssen hier die Kunst beherrschen, manche Ausreißer geflissentlich zu übersehen: „Wir müssen den Patientinnen und Patienten ihre Würde lassen. Es muss nicht jede Party, die sich auf die CGM-Kurve auswirkt, diskutiert werden. Es ist ja klar, dass die Werte nach so einem Ereignis auch mal aus dem Ruder laufen“, betonte Prof. Lange.

Technische Helfer: Fluch und Segen zugleich

Der Einsatz von Diabetestechnologie kann die Betroffenen im Alltag durchaus entlasten. So zeigen Studien, dass mit technischen Hilfsmitteln wie Blutzuckermessgeräten, Boluskalkulatoren, Insulinpumpen, CGM-Systemen, sensorunterstützter Pumpentherapie oder Closed-Loop-Systemen die Angst vor Hypoglykämien und auch allgemeine Belastungen im Alltag zurückgehen. Gleichzeitig verbessert sich die allgemeine und diabetesspezifische Lebensqualität. Doch manchmal sind die technischen Helfer Segen und Fluch zugleich: Da piept der Memory-Pen, weil seine Batterie leer ist, die Pumpe meldet einen Katheterverschluss, oder der CGM-Empfänger schlägt Alarm, weil der Glukosewert stark ansteigt – oder auch nur, weil er gerade kein Signal vom Sensor erhält. Außerdem zeigen lückenlose Glukoseprofile erbarmungslos jeden Ausreißer und jede Nachlässigkeit. eHealth-Angebote wie Online-Schulungen oder Telemonitoring können Prof. Lange zufolge helfen, im Umgang mit der Diabetestechnik mehr Sicherheit zu gewinnen. „Doch die Technologie kann die persönliche Beratung und Begleitung nicht ersetzen.“

Neue Gesprächstechniken sind dringend notwendig

In den Diabetespraxen muss man sich auf Patienten einstellen, die jede Menge Technik und Diabetesdaten mit sich herumtragen: „Ärzte brauchen neue Gesprächstechniken, um mit ihren Patienten über Sensordaten zu sprechen“, forderte die Psychologin, „außerdem gibt es noch keine Studien, in denen untersucht wurde, was es psychologisch mit Menschen macht, wenn ihrem Behandler wirklich alle Daten offenliegen.“ 

Quelle: Diabetes Kongress 2018