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Schlaganfall-Prognose im Blut ablesen – Biomarker-Forschung kommt so langsam voran

Autor: Manuela Arand

Das Ziel lautet zuverlässige Prognosen nach einem Schlaganfall treffen zu können. Das Ziel lautet zuverlässige Prognosen nach einem Schlaganfall treffen zu können. © iStock/Dilok Klaisataporn
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Ein Biomarker, der zeigt, wie sich ein Patient nach seinem Schlaganfall erholen und wovon er profitieren wird: Noch ist das ein Wunschtraum, aber Erfolge rücken näher.

Nach einem Schlaganfall wird die Erholungskapazität des Gehirns bestimmt durch das jedem Patienten eigene Potenzial zur Plastizität sowie durch den neuronalen Schaden. Für Letzteren ist allerdings nicht nur die primäre Läsion durch Ischämie oder Blutung maßgeblich, auch sekundäre Schäden sind relevant, weil Fasertrakte degenerieren, die Blut-Hirn-Schranke durchlässig wird und das Immunsystem anspringt. Epileptische Anfälle und natürlich rekurrente Ereignisse können zum weiteren Zelluntergang führen.1

Warum sich manche Patienten funktionell gut erholen und andere nicht, ist ebenso unklar wie die Ursache der heterogenen Therapieeffekte, erklärte Dr. Steffen Tiedt, Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung am LMU Klinikum München. Wünschenswert wären daher Biomarker, die eine Prognose über spontane Erholung und Ansprechen auf Rehamaßnahmen erlauben und zur Steuerung von Therapie und Nachsorge herangezogen werden könnten.

Das Infarktvolumen, in der klinischen Routine gerne als Marker für das Ausmaß des neuronalen Schadens genutzt, liefert vor allem in der Akutphase erstaunlich unzuverlässige Ergebnisse.

Bildgebung erlaubt keine Aussage zum Infarktvolumen

So lässt sich z.B. nicht erkennen, inwieweit der Schaden irreversibel ist. Ein Grund liegt in der limitierten Auflösung der Bildgebung. Ein Voxel in der diffusionsgewichteten (DWI) MRT entspricht etwa 10 µl Hirnvolumen oder einer Million Neuronen mit je 10 000 assoziierten Synapsen, so Dr. Tiedt: „Selbst die DWI-MRT, die als genaueste und sensitivste Methode gilt, ist weit davon entfernt, zwischen einer Pan-Nekrose und dem Untergang einzelner Neuronen zu unterscheiden.“ In einer Auswertung von Thromboektomiestudien kamen die Autoren zu dem Schluss, dass das finale Infarktvolumen nur 12 % des Behandlungseffektes erklärt.2 Offenbar stellt es keinen guten Surrogatmarker für den Behandlungseffekt dar, wohl auch über die Thrombektomie hinaus, vermutete Dr. Tiedt.

Besser geeignet könnten zirkulierende Marker sein, die sowohl primäre als auch sekundäre Nervenzellschäden widerspiegeln, und dies womöglich genauer als die Bildgebung. Dr. Tiedts Arbeitsgruppe hat dafür Neurofilament Light (NfL) auserkoren, ein Strukturprotein, das nach neuroaxonalen Schäden freigesetzt wird und in letzter Zeit bei der MS von sich reden macht. Nachweisen lässt es sich mit hoher Sensitivität per Single Molecule Array (Simoa) Assay.

In zwei unabhängigen Kohorten von Patienten mit ischämischem Schlaganfall konnten die Forscher zeigen, dass NfL bis sieben Tage nach dem Hirninfarkt ansteigt und nach sechs Monaten immer noch erhöht ist.3 Dabei korrelierte die Höhe des NfL-Spiegels sowohl mit rekurrenten Läsionen als auch mit sekundärer Neurodegeneration und mit dem Outcome nach sechs Monaten, gemessen anhand der modified Rankin-Scale (mRS). Nur die Scores von mRS und NIH Stroke Scale hatten eine höhere prädiktive Aussagekraft als NfL an Tag 7.

Eine Arbeitsgruppe aus Mainz konnte außerdem zeigen, dass das bei Klinikaufnahme des Patienten gemessene NfL eine bessere Vorhersage für das klinische Outcome nach 90 Tagen und auch für kardiovaskuläre Ereignisse in den Folgemonaten besitzt als etablierte Risikomarker wie NT-proBNP.4

Kürzlich wurde mit dem löslichen Platelet-derived Growth Factor Rezeptor beta (sPDGFRβ) ein Marker identifiziert, der sich als Maß für die Störung der Blut-Hirn-Schranke eignen könnte.5 Dieser Rezeptor wird im ZNS primär von kapillären Perizyten exprimiert und sein Spiegel im Liquor korreliert mit der Barrierestörung. Dies wurde bei Patienten mit Demenz gezeigt.

Erste Studien mit noch wenigen Patienten

Daneben ist eine Reihe von Bio­markern untersucht worden, die für regenerative Prozesse stehen könnten, z. B. verschiedene mikro-RNA, Angiogenese-Marker wie VEGF und Angiogenin oder der Brain-derived Neutrotrophic Factor als Maß für die Neuroplastizität. Erste Studien mit meist kleinen Patientenzahlen lassen vermuten, dass die Höhe der genannten Marker mit dem funktionellen Outcome korreliert, berichtete Dr. Tiedt. Die Ergebnisse müssen allerdings noch unabhängig validiert werden. Das StrokeNet der amerikanischen NIH empfiehlt, zirkulierende und Bildgebungs-Biomarker in klinische Studien zu integrieren, um in absehbarer Zeit Surrogatmarker für Interventionen zu haben.

1. Cassidy JM et al. Transl Stroke Res 2017; 8: 33-46; DOI: 10.1007/s12975-016-0467-5
2. Boers AMM et al. JAMA Neurol 2019; 76: 194-202; DOI: 10.1001/jamaneurol.2018.3661
3. Tiedt S et al. Neurology 2018; 91: e1338-e1347; DOI: 10.1212/WNL.0000000000006282
4. Uphaus T et al. Stroke 2019; 50: 3077-3084; DOI: 10.1161/STROKEAHA.119.026410
5. Nation DA et al. Nat Med 2019; 25: 270-276; DOI: 10.1038/s41591-018-0297-y

Quelle: 93. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie*

* Online-Veranstaltung