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Fortgeschrittener Lungenkrebs Stellenwert von OP und Radiochemo

Autor: Elisa Sophia Breuer

Welche Therapie eignet sich für die Behandlung des NSCLC Stadium III/N2 am besten? Welche Therapie eignet sich für die Behandlung des NSCLC Stadium III/N2 am besten? © Crystal light – stock.adobe.com
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Eignet sich eine Resektion oder eine Chemoradiotherapie für die Behandlung des NSCLC Stadium III/N2 besser? Diese Frage diskutierten zwei Experten. Nur in einem Punkt waren sich die beiden einig: Egal, welche Option man betrachtet, eine Checkpoint-Inhibition wird künftig das Armamentarium anführen. 
 

Pro

Eigentlich ist es gar nicht der richtige Zeitpunkt, über den Stellenwert von Operationen im multimodalen Therapiekonzept bei klinischem Multilevel-N2 zu sprechen, findet PD Dr. ­Severin ­Schmid, Klinik für Thoraxchirurgie, Freiburg.1 Denn „für viele Fragen haben wir noch nicht die Antworten“. Dennoch würde die Diskussion hierüber spannende Einblicke bieten. 

„Ich war über Jahre irritiert, wie die Diskussion geprägt ist“, gab der Experte zu. In keiner der prospektiven Studien war ihm zufolge die Resektion eines NSCLC Stadium III/N2 mit einem schlechteren Outcome assoziiert, verglichen mit einer Radiochemotherapie – auch nicht bei Mult­ilevel-N2. Als Beispiel führte er das Intergroup Trial auf. Trotz einer sehr hohen Rate an Pneumonektomien von 26 % und einer extrem hohen Mortalität von 22 % fiel das Gesamtüberleben in beiden Studien­armen gleich aus. „Die Pneumonektomieraten sollten bei maximal 5 % liegen“, kritisierte der Experte. Lobektomien, für die sich Dr. Schmid ausspricht, hatten im Gegensatz zu Pneumonektomien eine positive Wirkung auf die Prognose. Auch in der ESPATUE-Studie bestand kein Unterschied in puncto Gesamtüberleben zwischen OP und Chemoradiotherapie und das, obwohl ein relevanter Anteil der Teilnehmenden ein N3-Stadium innehatte.

Trotz der Daten steht noch immer die Radiochemotherapie mit ihren Nebenwirkungen als Option im Raum. „Das basiert nicht auf Evidenz, sondern auf einer prognostischen Abschätzung“. Dr. Schmid­ warnt davor, die Robinson-Klassifikation für eine Strategieentscheidung zurate zu ziehen. Auf Basis einer schlechteren Prognose würde dann eine vermeintlich weniger invasive Therapiemodalität gewählt werden. 

In der Diskussion als viel wichtiger erachtet der Referent die Frage nach dem Stellenwert der Immuntherapien. „Mit einer verbesserten systemischen Kontrolle steigt auch die Bedeutung der lokalen Radikalität.“ So erhielten in der Phase-2-Studie NADIM­  Patient:innen neoadjuvant eine Chemoimmuntherapie mit Nivolumab. Nach 36 Monaten erreichte das PFS hierunter 70 %, das OS „beeindruckende 82 %“. Im Per-Protocol-Kollektiv fielen die Werte mit 82 % und 91 % noch höher aus. Die bisher verfügbaren Daten von NADIM­ II­ bestätigen den Vorteil einer präoperativen Chemoimmuntherapie mit einem Zwei-Jahres-OS von 84,7 % im Vergleich zu 63,4 % unter alleiniger neoadjuvanter Chemotherapie. 

Dr. Schmid hob hervor, dass viel mehr Personen im Prüfarm eine OP erhalten hatten (93 % vs. 69 %) und die R0-Resektionsraten sowie die ORR höher ausfielen (92,5 % vs. 65,0 % bzw. 74 % vs. 48 %). Ein ähnliches Bild bieten die Ergebnisse der ­CheckMate-816-Studie. Insbesondere sei die Rate der Pneumonektomien in der Chemoimmuntherapiegruppe gesunken, was den Chirurgen freute. 

„Die chirurgische Resektion nach neoadjuvanter Therapie ist nicht mit einer erhöhten Mortalität und Morbidität verbunden,“ bekräftigte Dr. Schmid zum Abschluss. In NADIM­ I­ und weiteren Studien starb niemand 30 Tage nach der OP. Die Mortalität in CheckMate 816 von 2,5 % bewertete er als „fast schon zu hoch“. Als Grund vermutet der Kollege, das die Studie nicht an spezialisierten Zentren durchgeführt wurde. „Das Ziel muss an jedem Zentrum nach neo­adjuvanter Therapie unter 1 % liegen.“ 

Dr. Schmid­ erachtet die neo­adjuvante Chemoimmuntherapie plus Resektion als neuen Standard of Care beim resektablen NSCLC Stadium III/N2 – sowohl für Single- als auch Multilevel. Diejenigen Subgruppen, die stattdessen doch von einer Radiochemotherapie profitieren würden, müssten noch identifiziert werden.

So entscheiden sich die NCCN-Mitglieder

Auf die Frage, wann Expert:innen der NCCN-Institutionen eine OP wählen, ergab sich folgendes Bild:

  • single-station non-bulky N2: alle
  • single-station bulky disease: ca. 50 %
  • multi-station non-bulky disease: 39 %
  • multi-station bulky disease: 21 %

Für die begleitende Therapie bevorzugen 2/3 der Befragten eine Induktionschemotherapie, 1/3 wiederum eine Chemoradiotherapie. „Noch viele nutzen Radiochemotherapie im Vorfeld. Da sind wir in Freiburg etwas zurückhaltend. Wir präferieren die Immunchemotherapie“, merkte Dr. Schmid an. Zudem sprach sich in der Umfrage die Mehrheit für mind. eine stabile Erkrankung nach der Induktion aus – eine radiologische oder pathologische Response erachteten sie als keinesfalls notwendig vor dem chirurgischen Eingriff. 

Einschränkung der Daten

In der Diskussion schränkte der Chair Prof. Dr. Rudolf­ ­M. Huber­ von der Lungenpraxis München die aufgeführten Studiendaten ein, da keine „saubere“ Stratifizierung erfolgt sei. Die beiden Referenten Dr. Schmid und Dr. Frost waren sich einig, dass es an Studien fehle, in denen alle Strategien direkt miteinander verglichen werden. Die Vorsitzende Prof. Dr. Ursula­ ­Nestle, Kliniken Maria Hilf, Mönchengladbach, sprach sich dafür aus, dass Patient:innen in der aktuellen Situation umfangreich über die Möglichkeiten und Risiken informiert werden und auf dieser Basis gemeinsam mit den Ärzt:innen die Therapieentscheidung treffen. 

Quelle:
Huber RM., Nestle U. 63. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.; Diskussion Kontroversen beim NSCLC Stadium III

Contra

Anders bewertet PD Dr. Nikolaj Frost­ die Datenlage.2 Der Leiter des Lungenkrebszentrums der Charité, Berlin, machte jedoch gleich zu Anfang ein Geständnis: „Ich war selten so verzweifelt eine Contra-Position einzunehmen in Ermangelung an evidenzbasierter Daten.“ Nicht einmal in internationalen Leitlinien gäbe es einen evidenzbasierten Konsenz bezüglich der Definition von Resektabilität, Anzahl der befallenen Lymphknoten und ab wann ein Tumor als (non-)bulky gilt. Zwar lassen sich die Leitlinien aufgrund unterschiedlicher Definitionen nicht direkt vergleichen. Jedoch sprechen sich fast alle bei Multilevel-N2 für eine Strahlenchemotherapie aus. „Selbst bei potenziell resektabler non-bulky disease sind 50 % dafür und 40 % wissen es nicht.“ 

Zur Kräftigung seines Contra-Standpunktes führte er u.a. die Studiendaten zum Gesamtüberleben aus EORTC und ebenfalls von ­ESPATUE ins Feld. Nach einer Radiatio auf eine Induktionschemotherapie „brauchen wir eine OP nicht“. 

Dass Dr. Schmid­ Multilevel schon ab zwei befallenen Lymphknoten definiert, hält er für falsch. „Das ist Oligolevel. Aus klinischer Sicht sprechen wir von Multi­level ab mindestens drei befallenen Lymphknoten.“ Die von Dr. Schmidt angeführten Studien seien für Multilevel nicht aussagekräftig.

Dr. Frost verwies darauf, dass das Stadium III in eine fließende Grenze zwischen der kurativen und palliativen Situation falle. Seine Hoffnung setzt er auf CPI, die die Therapie mehr in Richtung Kuration lenken könnten. Eine ergänzende Bestrahlung befürwortet er aufgrund von Synergien zwischen den Strategien. So führt eine Radiatio zu einem  Remodelling des Tumormicro­environments und macht diesen u.a. durch eine Akkumulation der CD8+ infiltierenden Lymphozyten heiß. Dieser spricht dadurch bekanntermaßen besser auf eine Immuntherapie an. 

Beispielhaft nannte Dr. Frost die Daten der PACIFIC-Studie: Aufgeschlüsselt nach dem Lymphknotenstatus N2+ und N2- kam es in beiden Gruppen unter Durvalumab plus Radiochemotherapie „aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer besseren Krankheitskontrolle“. Eine Vielzahl an Studien spreche zudem für eine intensivierte Behandlung, etwa die KEYNOTE-799, in der ein simultanes Vorgehen geprüft wurde.

Für das Stadium III/N2 besteht zu wenig Evidenz, um sich eindeutig für eine Strategie auszusprechen, fasste Dr. Frost­ zusammen. „Überspitzt gesagt stehen wir vor der Frage: Brauchen wir die Lokaltherapie überhaupt noch in dieser Situation? Oder können wir mit alleiniger Systemtherapie adäquate Krankheitskontrolle, Heilung ermöglichen?“

Quellen:
1.    Schmid S. 63. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.; Klinisches Multilevel-N2: Stellenwert der Operation im multimodalen Therapiekonzept: Pro
2.    Frost N. 63. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.; Klinisches Multilevel-N2: Stellenwert der Operation im multimodalen Therapiekonzept: Contra