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Unspezifische Symptome erschweren die Diagnose der Small-Fiber-Polyneuropathie

Autor: Dr. Andrea Wülker

Kleine Nerven, große Schmerzen: Die sogenannten Small Fibers fanden lange keine Beachtung in der Wissenschaft. Kleine Nerven, große Schmerzen: Die sogenannten Small Fibers fanden lange keine Beachtung in der Wissenschaft. © scyrus – stock.adobe.com
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Da sich die Axone meist ein Leben lang regenerieren, haben Patienten mit Small-Fiber-Polyneuropathie in der Regel eine günstige Prognose. Vorausgesetzt, sie werden korrekt diagnostiziert und früh behandelt. In der Praxis scheint das leichter gesagt als getan.

Charakteristisch für die Small-Fiber-Polyneuropathie, kurz SFN, sind Schäden an den nicht-myelinisierten sensorischen C-Fasern, an dünn ummantelten A-delta-Fasern sowie an autonomen und trophischen Fasern, schreiben Dr. Anne­ Louise­ Oaklander­ von der Harvard Medical School in Boston und Dr. Maria­ Nolano­, Universität Neapel. Einige Experten schätzen, dass weltweit mehr als zehn Millionen Menschen von einer SFN betroffen sind, die Diagnose aber nur bei jedem zehnten Patienten überhaupt gestellt wird.

Small Fibers erfüllen diverse somatosensorische, motorische und autonome, aber auch parakrine und trophische Funktionen. Das erklärt, weshalb sich die SFN durch unterschiedliche Beschwerden bemerkbar machen kann, so die Autoren.

Typischerweise klagen Betroffene über brennende Schmerzen in den distalen Extremitäten, vor allem an Beinen und Füßen. Hinzu kommen sensorische Defizite. Viele Patienten berichten aber auch von unspezifischen Beschwerden, wie gastrointestinalen Problemen, Schwitzen, neuropathischen Juckreiz oder Fatigue.

Nachweis gelingt nur über Hautbiopsie

In den meisten Fällen verteilen sich die Symptome symmetrisch bzw. „strumpf- und handschuhförmig“ an den distalen Extremitäten. Die neuropathische Mikrovaskulopathie führt zur klassischen Rötung der betroffenen Haut mit Ödemen (Erythromelalgie). Bei etwa einem Viertel der Patienten findet man hingegen eher ein „fleckiges“ bzw. proximales Verteilungsmuster, das auch als nicht-längenabhängige SFN bezeichnet wird.

SFN mit ganz verschiedenen Symptombildern

In den meisten Fällen einer Small-Fiber-Polyneuropathie beginnen die Beschwerden an den Füßen und breiten sich nach proximal aus (längenabhängige SNF). Bei etwa jedem vierten SFN-Patienten stößt man auf eine eher fleckige Präsentation der Symptome. Dieses Muster deutet auf einen Befall sensorischer oder autonomer Zellkörper hin (Ganglionitis bzw. Neuronitis), weniger auf eine Axonopathie. Eine kraniale Ganglionitis verursacht SFN-Symptome einschließlich Schmerzen und Erythromelalgie im Gesichts- und Kopfbereich. Meist ist eine Ganglionitis inflammatorisch bedingt, insbesondere bei Frauen und Patienten mit raschem Symptombeginn. Episodisch gerötete Hände mit Schmerzen und Hyperhidrose können bei Patienten mit frühem Beginn einer idiopathischen SFN auftreten. Allerdings trifft man auch auf eine nicht-längenabhängige Anhidrose (z.B. bei Transthyretin-Amyloidose). Sjögren Syndrom sowie diabetische Radikulopathie können ebenfalls zu chronischen Symptomen einer nicht-längenabhängige SFN führen.

Der sich aus Anamnese und klinischer Untersuchung ergebende SNF-Verdacht muss objektiv bestätigt werden, schreiben die Autoren. Problem nur, dass sich Small Fibers weder mit den üblichen neurographischen Untersuchungen, noch mit elektromyographischen Tests beurteilen lassen. So gilt als Standard bisher die Analyse von Hautbiopsien. Fachgesellschaften empfehlen die Entnahme von 3-mm-Hautstanzen unter Lokalanästhesie ca. 10 cm oberhalb des Malleolus lateralis. Dank spezifischer Antikörper lässt sich die Hautinnervation licht- oder fluoreszenzmikroskopisch darstellen, wobei die Dichte der intraepidermalen Nervenfasern nach bestimmten Standards quantifiziert wird. Weitere Biopsien – z.B. aus dem Oberschenkel oder aus dem Fuß – erhöhen die Sensitivität der Untersuchung, aber auch die Kosten. Forscher arbeiten derzeit an weniger aufwendigen und kostengünstigeren Untersuchungsmethoden, um die Diagnostik der SFN in Zukunft zu erleichtern.

Ursachensuche ist häufig erfolgreich

Bei Patienten mit initial als idiopathisch eingestufter SFN (iiSFN) lohnt es, zunächst nach Faktoren zu suchen, die eine Small-Fiber-Polyneuropathie begünstigen können. Dabei helfen eine genaue Eigen- und Familienanamnese sowie frühere Testergebnisse. Besteht ein entsprechender Verdacht, folgen weitere Untersuchungen, die bei bis zu 50 % der iiSFN-Patienten mögliche Ursachen aufdecken. Häufig findet man immunvermittelte Störungen wie Sjögren-Syndrom, Zöliakie, Lupus erythematodes oder andere Autoimmun- bzw. inflammatorische Erkrankungen. Eine aktuelle Metaanalyse fand heraus, dass 49 % der Patienten mit Fibromyalgie eine SFN aufwiesen. Auch Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, Prädiabetes oder ein hoher Vitamin-B6-Spiegel können der Polyneuropathie den Weg ebnen. In einigen Fällen hat die SFN aber auch genetische Ursachen. Hellhörig werden sollte man vor allem dann, wenn Kinder betroffen sind, bei Patienten mit positiver Familienanamnese oder einem hochspezifischen Phänotyp. Bei ihnen sind entsprechende genetische Tests indiziert, schreiben Dr. Oaklander und Dr. Nolano. Da sich Small Fibers normalerweise ein Leben lang regenerieren, ist es wichtig, ursächliche bzw. begünstigende Erkrankungen möglichst früh zu behandeln. So lassen sich die Regeneration der betroffenen Nervenfasern fördern, die Progression verlangsamen und dauerhafte Schäden vorbeugen.

Kortikosteroide effektiv und sicher?

Dies gilt auch bei genetischen Erkrankungen wie dem M. Fabry, der Transthyretin-Amyloidose und vielleicht auch bei bestimmten Ionenkanalmutationen. Für junge und ansonsten gesunde Patienten ist die Prognose in aller Regel günstig, schreiben die Review-Autoren. Ergänzend zur Therapie der zugrundeliegenden Erkrankungen und einer symptomatischen Schmerztherapie arbeiten Forscher an weiteren Behandlungsoptionen. Es gibt Hinweise, dass Kortikosteroide bei akuter Manifestation einer inflammatorischen SFN insbesondere bei jungen Patienten mit niedrigem Komplikationsrisiko effektiv und sicher sein können.

Quelle: Oaklander Al, Nolano M. JAMA Neurol 2019; DOI: 10.1001/jamaneurol.2019.2917