Polio

Definition

Polio wird durch Polioviren hervorgerufen – das sind kleine unbehüllte RNA-Viren aus der Familie der Picornaviridae.

Vor Einführung der Impfung war Polio weltweit verbreitet. Inzwischen leben 80 % der Weltbevölkerung in poliofreien Gebieten und vier von sechs WHO-Regionen sind als poliofrei zertifiziert worden: Amerika, Westpazifik, Europa, Südostasien.

Endemische Erkrankungen durch Polio-Wildviren findet man gegenwärtig nur noch in Pakistan und Afghanistan. Aber auch in nichtendemischen Gebieten mit unzureichenden Impfquoten kommt es immer wieder zu einzelnen Ausbrüchen. Die letzte in Deutschland erworbene Erkrankung durch ein Wildvirus wurde 1990 erfasst.

Die Übertragung der Polioviren erfolgt hauptsächlich fäkal-oral. Schon kurz nach Infektionsbeginn kommt es zu massiver Virusreproduktion in den Darmepithelien, sodass hohe infektiöse Virusmengen im Stuhl ausgeschieden werden können. Die Virusausscheidung im Stuhl beginnt nach 2 bis 3 Tagen und kann bis zu 6 Wochen anhalten. Wegen der primären Virusvermehrung in den Rachenepithelien kann das Virus kurz nach Infektion auch aerogen übertragen werden. Schlechte hygienische Verhältnisse begünstigen die Ausbreitung von Poliovirus-Infektionen.

Die Inkubationszeit liegt zwischen 3 und 36 Tagen.

Anzeige
Anzeige
Symptomatik

Die Mehrzahl der Infektionen (> 95 %) verlaufen asymptomatisch unter Ausbildung von neutralisierenden Antikörpern (stille Feiung).

Ansonsten kennte man unterschiedliche Krankheitsverläufe:

Abortive Poliomyelitis (4–8 % der Infizierten):

  • Inkubationszeit von etwa 6–9 Tagen
  • kurzzeitig unspezifische Symptome wie Gastroenteritis, Fieber, Übelkeit, Halsschmerzen, Myalgien und Kopfschmerzen
  • Zellen des ZNS sind nicht betroffen

Nichtparalytische Poliomyelitis (2–4 % der Infizierten):

  • 3–7 Tage nach der abortiven Poliomyelitis kommt es zu Fieber, Nackensteifigkeit, Rückenschmerzen und Muskelspasmen (aseptische Menigitis)

Paralytische Poliomyelitis (0,1–1 % der Infizierten):

  • Symptome der aseptischen Meningitis bessern sich zunächst oft etwas, aber nach etwa 2–3 Tagen kommt es zu einem Fieberanstieg und dem Auftreten von rein motorischen Paresen.
  • motorische Schwäche üblicherweise asymmetrisch
  • kann Bein- (am häufigsten), Arm-, Bauch-, Thorax- oder Augenmuskeln betreffen
  • Typischerweise bilden sich die Lähmungen teilweise, aber nicht vollständig zurück.
  • seltener bulbäre Form mit Schädigung zerebraler und vegetativer Nervenzentren (schlechtere Prognose)

Postpolio-Syndrom:

  • Jahre oder Jahrzehnte nach der Erkrankung kann es zu einer Zunahme der Paresen mit Muskelschwund kommen (wahrscheinlich durch Überlastung der verbliebenen Motoneurone.
Anzeige
Untersuchung

Typisch für Polio sind schlaffe, nicht symmetrische Paresen.

Labor

Bei einem klinischen Verdacht auf eine Polio-Erkrankung muss eine diagnostische Sicherung am Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren erfolgen:

  • virologischer und molekularer Nachweis von Polioviren am besten in Stuhlproben in den ersten 14 Erkrankungstagen (ggf. auch Rachenabstriche oder Liquor)
Anzeige
Differenzialdiagnostik
  • bei akuten schlaffen Lähmungen Guillain-Barré-Syndrom (Paresen hier meist symmetrisch, Allgemeinsymptome fehlen meist)
  • bei nicht-paralytischen Verlaufsformen andere Ursachen von Meningitis und Enzephalitis
Mehr zum Thema

Seit einigen Jahren mehren sich bei Kindern polioähnliche Erkrankungen, die auf die Infektion mit dem Enterovirus D68 zurückgehen. Typischerweise…

mehr

Nicht-Polio-Enteroviren

Die Poliomyelitis gilt in den allermeisten Ländern als ausgerottet. In die entstandene Lücke scheinen sich seit einigen Jahren aber andere Enteroviren…

mehr
Pharmakotherapie und nichtinvasive Therapie

Eine spezifische Therapie mit antiviralen Substanzen steht nicht zur Verfügung, daher erfolgt die Behandlung rein symptomatisch.

Im Anschluss an die akute Behandlung sind je nach Verlaufsform meist längere physiotherapeutische und orthopädische Nachbehandlungen erforderlich.

Besteht der klinische oder labordiagnostische Verdacht auf eine Poliomyelitis, so muss vorsorglich eine sofortige Krankenhauseinweisung unter Isolierbedingungen (Einzelzimmer bzw. räumlich getrennt von anderen Patienten und mit eigener Toilette) und bei striktem Hygienemanagement erfolgen, bis labordiagnostisch eine Poliovirus-Infektion ausgeschlossen werden konnte.

Meldepflicht:

Meldepflichtig sind namentlich der Verdacht, die Erkrankung und der Tod an Poliomyelitis (sowie der direkte oder indirekte Labornachweis).

Prävention

Die beste Prävention stellt die Polio-Impfung dar.

Die STIKO empfiehlt heute einen injizierbaren Totimpfstoff (IPV), der sicher vor Polio schützt und keine Impferkrankungen (vakzine-assoziierte paralytischen Poliomyelitis-Erkrankungen -VAPP) auslösen kann. Auch Personen mit Immunschwäche können risikolos mit IPV geimpft werden. Der orale Lebensimpfstoff („Schluckimpfung“) wird nicht mehr empfohlen.

Die Grundimmunisierung beginnt entsprechend des STIKO-Impfkalenders im Alter von 2 Monaten und umfasst in der Regel bei der Verwendung von Kombinationsimpfstoffen mit Pertussiskomponente (aP) 3 Dosen im 1. Lebensjahr und eine weitere Dosis zu Beginn des 2. Lebensjahres. Im Alter von 9 bis 17 Jahren wird eine Auffrischimpfung mit einem IPV-haltigen Impfstoff empfohlen.

Eine routinemäßige Auffrischung für Erwachsene wird nach vollständiger Grundimmunisierung nicht empfohlen. Bei bestimmten Gruppen kann sie aber indziert sein, wenn die letzte Impfung mehr als 10 Jahre zurückliegt:

  • Reisende in Regionen mit Infektionsrisiko
  • Aussiedler, Flüchtlinge und Asylbewerber, die in Gemeinschaftsunterkünften leben (bei Einreise aus Gebieten mit Poliomyelitis-Risiko)
  • Personal solcher Einrichtungen
  • medizinisches Personal mit Kontakt zu Polio-Erkrankten oder in Laboren mit Poliomyelitis-Risiko
Mehr zum Thema

Als 2015/16 immer mehr Kriegsflüchtlinge nach Deutschland kamen, wurden Befürchtungen laut, sie könnten massenhaft exotische Infektionen mitbringen,…

mehr

Die STIKO empfiehlt zahlreiche Impfungen, doch wie steht es mit der Umsetzung? Die aktuellen Zahlen zur Vakzination gegen Rotavirus, Masern, HPV und…

mehr

Sie wollen gerade die Spritze zur Impfung ansetzen, als sie festellen, dass ein Tattoo die Deltaregion Ihres Patienten ziert. Kein Grund zu zögern,…

mehr

Nur etwa die Hälfte der Allgemeinbevölkerung kennt ihren Impfstatus. Im Gesundheitswesen sieht es nicht besser aus. Dabei tragen Impflücken beim…

mehr

Dravet-Syndrom, Autoimmunleiden, Narkolepsie – die Ängste vor Impfkomplikationen sind groß. Dabei ist ein kausaler Zusammenhang zur Vakzinierung nur…

mehr

Noch immer lassen die Impfquoten bei Kindern in Deutschland zu wünschen übrig. Daran sind nicht nur Eltern schuld, kritisiert ein Pädiater. Sondern…

mehr
Folgeerkrankung
Mehr zum Thema

Vermeidbare ZNS-Infektionen

Diverse Infektionen machen sich akut im ZNS bemerkbar und gehen mit neurologischen Folgeschäden einher. Durch konsequentes Impfen könnte man viele…

mehr
Forschung
Mehr zum Thema

In vielen Ländern gilt der Wildtyp 2 des Poliovirus bereits als ausgerottet. Doch für die weltweite Eradikation der Poliomyelitis sind die gängigen…

mehr
Abrechnung

Verschenken Sie kein Honorar: Das „Gebühren-Handbuch digital“ ist die ideale Weiterentwicklung der Printausgabe des bekannten „Medical Tribune Gebühren-Handbuchs“ - statt 2000 Buchseiten der schnelle digitale Zugriff.

Was Ihnen die Abrechnung leichter macht:

  • die immer aktuelle Fassung von EBM und GOÄ (Einheitlicher Bewertungsmaßstab und Gebührenordnung für Ärzte)
  • Tipps und Experten-Kommentare zur Honorarabrechnung (EBM/GOÄ), graphisch aufbereitet und leicht verständlich
  • Kommentare von Kollegen lesen und selbst kommentieren
  • persönliche Notizen und Lesezeichen setzen

Zum Gebühren-Handbuch digital »

Fortbildungen

Keine Fortbildung für diesen Fachbereich gefunden

Alle Fortbildungen




Diese Informationen dienen ausschließlich der Aus- und Weiterbildung von Angehörigen und Studenten der medizinischen Fachkreise (z.B. Ärzte) und enthalten nur allgemeine Hinweise. Sie dürfen nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden und sind kein Ersatz für eine ärztliche Beratung oder Behandlung. Die jeweiligen Autoren haben die Inhalte nach bestem Wissen gepflegt. Dennoch sollten Sie die Informationen stets kritisch prüfen und mit zusätzlichen Quellen vergleichen. Die Autoren und die Betreiber von medical-tribune.de übernehmen keine Haftung für Schäden, die durch nicht-kontrollierte Anwendung von Empfehlungen und Inhalten entstehen. Beiträge, die Angaben zum Einsatz und zur Dosierung von Medikamenten machen, sind die persönliche Einschätzung der Autoren. Sie ersetzen nicht die Empfehlungen des Herstellers oder des behandelnden Arztes oder Apothekers.