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Coronapandemie: Transplantationszentren kämpfen mit Beschränkungen

Autor: Friederike Klein

SARS-CoV-2 programmiert infizierte Zellen um und sorgt dafür, dass nur nützliche Gene exprimiert werden. SARS-CoV-2 programmiert infizierte Zellen um und sorgt dafür, dass nur nützliche Gene exprimiert werden. © Science Photo Library/CDC/Cynthia S Goldsmith and Azaibi Tamin
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Viren, die akute Atemwegsinfektionen verursachen, haben schon immer den Erfolg hämatopoetischer Stammzelltransplantationen beeinflusst. Durch SARS-CoV-2 kam in diesem Jahr eine bisher nie gekannte Situation hinzu: Viele Transplantationszentren weltweit schlossen komplett. Wie die Pandemie die Organisation von Stammzelltransplanta­tionen beeinflusst.

Als das Global Committee der European Association for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) das Symposium zum 46. Jahreskongress der Gesellschaft plante, wusste es noch nicht, wie aktuell das Thema sein würde. Doch schon damals galt der Einfluss von Infektionen auf die Durchführung und den Erfolg der hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSCT) weltweit als relevantes Thema. Laut Professor Dr. Rodrigo Martino vom Hospital de la Santa Creu in Barcelona kann man beispielsweise in Katalonien jedes Jahr 16 bis 30 „Epidemien“ von akuten Atemwegsinfektionen durch Viren beobachten. Ein gefürchtetes Szenario ist, dass sich solche Ausbrüche auch in den Transplantationseinheiten verbreiten. Denn Immun­inkompetente sind stärker und wesentlich länger hochansteckend als Menschen mit einer guten Abwehr.

HSCT-Patienten sollte man deshalb auf virale Atemwegsinfekte prüfen. Wie Tests am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle 2009 ergaben, hatten von 215 Patienten 64 (30 %) eine Infektion mit Rhino- oder Corona­viren entwickelt.1 Die 100-Tage-Inzidenz für Rhinovirus-Atemwegsinfekte betrug 22,3 %, für Infekte mit einem Coronavirus 11,1 %.

Prognose bei COVID-19

Die Prognose von HSCT-Patienten, die an COVID-19 symptomatisch erkranken, ist Daten von spanischen hämato­-onkologischen Zentren zufolge nicht viel schlechter als die der Allgemein­bevölkerung­. Es gilt auch für diese Gruppe: Ein schweres akutes Atemnot­syndrom erhöht das Komplikationsrisiko. Solange die Betroffenen jedoch keine mechanische Beatmung benötigten, fiele die Mortalität niedrig aus, so Prof. Martino.

Quelle: Piñana JL et al. Exp Hematol Oncol 2020; 9: 21; DOI: 10.1186/s40164-020-00177-z

„Ein kriegsähnliches Szenario“

Die Erkrankten verbreiteten im Median drei Wochen lang die Erreger, einige aber auch drei Monate und länger. Aufgrund der hohen Inzidenz und Infektiosität werden virale Atemwegs­erkrankungen für Transplantations­patienten zum Problem. Gehen sie auf die unteren Atemwege über – alleine oder mit bakterieller Koinfektion – und mit indirekten systemischen Effekten einher, birgt dies ein zusätzliches Risiko. Im März 2020 stieg in Katalonien die allgemeine Sterberate dramatisch an, erzählte Prof. Martino weiter. Etwa der Hälfte der Todes­fälle lag ein bisher nicht im Monitoring berücksichtigtes SARS-CoV-2 zugrunde. „Meine Abteilung glich von einem Tag auf den anderen einem kriegsähnlichen Szenario“, erinnerte sich der Kollege. Zwischen März und Juni schlossen hunderte Transplantationszentren in Europa. Eine große Zahl von allogenen HSCT und CAR-T-Zell-Therapien wurde abgesagt und viele der davon betroffenen Patienten starben indirekt an den Folgen der Pandemie.

Kryokonservierte statt frische Stammzellen nun die Regel

Nach der vorsichtigen Öffnung stehen die Transplantationszentren nun vor neuen Herausforderungen, insbesondere hinsichtlich der Transplantation hämatopoetischer Stammzellen von nicht verwandten Spendern. Bevorzugt werden statt frischer jetzt kryokonservierte Zellen, die am besten direkt im Stammzelllabor des Transplantationszentrums hergestellt werden sollten. Aufgrund des aktuell komplizierten Transports (siehe Kasten) und der teils langen Zeit zwischen Zell­gewinnung und Kryokonservierung kommen Fragen zur Qualität des Endprodukts auf.

Zellen auf Reisen

Bislang kam es während der COVID-19-­Pandemie nicht zu weniger Stammzellanfragen, berichtete Fabian Bosbach­, Transplantationskoordinator des Zentralen Knochen­markspender-Registers Deutschland in Ulm. Im März und ­April 2020 gab es sogar mehr als im jeweiligen Vorjahres­monat. Die unterschiedlichen Einschränkungen in den einzelnen Ländern und der fast vollständig eingestellte Flugverkehr erschwerten jedoch den inner­europäischen wie auch den internationalen Transport der Zellen. Es bedurfte flexibler Lösungen mit dennoch größtmöglicher Sicherheit. Statt eines einzigen Überbringers, der die Stammzellen nicht aus der Hand gibt, sind nun häufig zwei Transporteure beteiligt, die an bestimmten Orten die Zellen übergeben. So wurde z.B. ein Übergabepunkt auf der Stadtbrücke von Frankfurt/Oder nach Slubice in Polen eingerichtet und einer an der deutsch-dänischen Grenze. Der Austausch von Stammzellen mit den USA erfolgt per Übergabezentren an den Flug­häfen in Frankfurt und in Chicago. Statt Verkehrsflugzeugen werden nun Frachtflugzeuge genutzt, wobei der Pilot als persönlicher Zellen-Transporteur dient.

Quelle: Bosbach F. Virtual 46th Annual Meeting of the EBMT; Transplant ­Coordinator Day 2-1

Auch der Zeitraum vom Eintreffen der Stammzellen über die Kryokonservierung bis hin zur allogenen HSCT verlängert sich. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass viele Stammzellen nie genutzt werden. Prof. Martino schätzt den Anteil an seinem Zentrum auf 15 %.

Quellen:
1. Milano F et al. Blood 2010; 115: 2088–2094; DOI: 10.1182/blood-2009-09-244152
Martino R. Virtual 46th Annual Meeting of the EBMT; Special Session 2-2