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Deutschland versagt in Sachen Tabakkontrolle

Autor: Manuela Arand

Zwar ist der Anteil der Raucher in Deutschland bereits zurückgegangen, doch seit einigen Jahren verharrt er bei etwa 22 %. Zwar ist der Anteil der Raucher in Deutschland bereits zurückgegangen, doch seit einigen Jahren verharrt er bei etwa 22 %. © iStock/Funtay
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Ohne konsequente Tabakkontrolle wird die Zahl der Krebstoten hierzulande weiter steigen. Und es sieht nicht gut aus: Der Tabakatlas 2020 besagt, dass Deutschland beim Kontrollindex TCS auf dem letzten Platz von 36 europä­ischen Ländern steht.

Rauchen führt nach wie vor die Hitliste der vermeidbaren Krebsrisikofaktoren an, betonte Professor Dr. Michael­ Baumann­, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Fast 20 % aller Krebserkrankungen sind auf den Tabakkonsum zurückzuführen – dies macht bei einer Gesamtinzidenz von knapp einer halben Million Krebserkrankungen pro Jahr rund 85 000 Fälle, die sich vermeiden ließen, würde auf das Rauchen verzichtet. Zwar ist der Anteil der Raucher bereits zurückgegangen. Doch seit einigen Jahren verharrt er bei etwa 22 %.

Politiker mit Daten und Fakten zum Handeln bewegen

„Mit dem Rauchen aufzuhören, ist schwieriger, als den Einstieg zu verhindern. Wir brauchen dringend gezielte Kontrollmaßnahmen, um von diesen Zahlen herunterzukommen“, forderte Prof. Baumann. Es sei schändlich, dass Deutschland das Schlusslicht in Europa bilde, wenn es um die Etablierung von Programmen gegen Tabakmissbrauch gehe. Der Tabakatlas, in dem wissenschaftlich erarbeitete Daten und Fakten über den Tabakkonsum, seine Folgen und die Effekte von Kontrollinitiativen veröffentlicht werden, soll „die Politik dazu bewegen, geeignete Maßnahmen einzuleiten“, sagte der Experte.

Von Umwelt und Menschenrechten

Zum ersten Mal enthält der Tabakatlas ein Kapitel, das sich den ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Aspekten der Tabakprodukterzeugung widmet. Laura Graen von der Stabsstelle Krebsprävention im DKFZ erläuterte die Kernpunkte:
  • Durch Herstellung, Vertrieb und Nutzung von Tabakprodukten werden weltweit jährlich fast 84 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente erzeugt – vergleichbar den Emissionen eines kleinen Industriestaats. Allein auf die Tabaktrocknung entfallen fast 45 Millionen Tonnen.
  • Die Umweltauswirkungen von E-Zigaretten und Tabakerhitzern sind noch nicht abschätzbar. „Vermutlich sind insbesondere mit der Beschaffung von Materialien für elektronische Komponenten und der Entsorgung Belastungen der Umwelt verbunden“, heißt es im Krebsatlas.
  • Vom Tabakanbau bis zur weggeworfenen Zigarettenkippe werden Menschenrechte verletzt, beginnend bei Kinderarbeit, teilweise auch Zwangsarbeit, über Arbeitsschutzrechtsverletzungen bis hin zur Verletzung des Rechts auf Gesundheit und Leben.

Im aktuellen Bericht zeigen sich erhebliche regionale und soziale Unterschiede bei den Rauchgewohnheiten. So leben im Norden und Osten der Republik wesentlich mehr erwachsene Raucher als im Süden. Unter Personen ohne Schulabschluss finden sich mehr als doppelt so viele Qualmer wie unter denen mit Abitur, bei den Männern sind es 58 % vs. 24 % und bei den Frauen 48 % vs. 19 %, berichtete Dr. Katrin­ Schaller­, kommissarische Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention am DKFZ. Doch es findet sich auch ein positiver Trend: Jugendliche unter 18 Jahren rauchen heutzutage viel seltener. War es bei den Jungen 1997 noch mehr als jeder Vierte, zählen sich 2019 nur noch 6 % zu den Rauchern. Für Mädchen lis­tet der Atlas einen Rückgang von 28,8 % im Jahr 1997 auf 5,2 % in 2019. Dagegen scheinen Wasserpfeifen und E-Zigaretten bei den unter 25-Jährigen zunehmend en vogue. Von den Jugendlichen bis 18 Jahre geben 8 % an, im letzten Monat Wasserpfeife geraucht zu haben. Bei den 18- bis 25-Jährigen sind es sogar doppelt so viele. E-Zigaretten werden etwas weniger genutzt.

Jede Zigarettenpackung müsste zehn Euro kosten

Die Folgen des Rauchens für die Gesellschaft sind enorm, auch in finanzieller Hinsicht. Jährlich kommen laut Tabakatlas fast 100 Millionen Euro zusammen, wobei die direkten Gesundheitskosten mit gut 30 Millionen Euro noch nicht einmal den Löwenanteil ausmachen. „Wollte man das über den Zigarettenpreis kompensieren, müsste eine Packung rund zehn Euro kosten. Rechnet man die indirekten Kosten z.B. durch Arbeitsausfälle und Frühberentungen dazu, wären es fast 23 Euro“, so Dr. Schaller. In den letzten Jahren habe sich in Deutschland leider nur sehr wenig in Sachen Tabakkontrolle getan. Wichtig sei eine Strategie mit klaren Ziel- und Zeitvorgaben, die verpflichtend umgesetzt werden müssten, beispielsweise durch deutliche Steuererhöhungen und einen besseren Nichtraucherschutz. Es gebe immer noch zu viele Ausnahmeregelungen. Für E-Zigaretten und Tabakerhitzer existierten überhaupt keine Vorgaben. Zudem fehle es laut den Experten an niedrigschwelligen Angeboten zur Raucherentwöhnung.

Tabakindustrie als Krisengewinner?

Jan Schulz, Pressesprecher der Nichtregierungsorganisation Unfairtobacco, kritisierte, die Tabakindustrie nutze die Coronakrise für Imagegewinne – eine Strategie, die er analog zum Greenwashing als „Crisis Washing“ bezeichnete. Zugleich werde versucht, Regulierungsbestrebungen der Politik auszuhebeln. So lässt sich das Land Berlin beispielsweise von einem großen Zigarettenhersteller eine Halle kostenfrei zur Verfügung stellen, um Coronaschutzausrüstung zu lagern. Berlin nimmt also – für einen guten und wichtigen Zweck – eine Spende der Tabakindustrie entgegen, was dem Tabakrahmenübereinkommen (FCTC) der WHO zuwiderläuft. In Hamburg nehmen die kirchlichen Einrichtungen Caritas und Diakonisches Werk die Unterstützung eines anderen Tabakherstellers für die Obdachlosenhilfe in Anspruch, lassen sich also in ihrer Arbeit mit oft suchtkranken Menschen von einem Unternehmen fördern, das mit Sucht Geld verdient. „Natürlich ist es zu begrüßen, wenn Unternehmen in der Krise Hilfe zur Verfügung stellen“, so Schulz. „Allerdings sollte darauf geachtet werden, wer aus welcher Intention gibt und ob dabei internationale Normen verletzt werden.“

Dr. Schaller verwies dabei auf Großbritannien, das seit vielen Jahren die Rangliste bei den Tabakkontrollmaßnahmen anführt. Dort herrscht nicht nur ein umfassendes Verbot der Tabakwerbung, die jegliches Anpreisen an Außenflächen sowie in den Verkaufsstellen – vom Supermarkt bis zur Tankstelle – untersagt. Entwöhnungswillige Raucher finden zudem flächendeckend kostenlose Hilfsangebote. „Es braucht ein Bündel von Maßnahmen, die nach wissenschaftlicher Evidenz eingesetzt werden“, ergänzte Prof. Baumann. Gut funktioniert habe bisher die Erhöhung der Tabaksteuer, aber auch das Rauchverbot in der Gastronomie.

Missbrauchtes Label der Raucherentwöhnung

Für wenig geeignet halten die Experten die Strategie der sogenannten „Harm Reduction“, also Empfehlungen, statt der herkömmlichen Zigaretten doch besser E-Zigaretten oder Tabakerhitzer zu benutzen. In Großbritannien wird das zurzeit zwar propagiert, aber dort ist Tabak­kontrolle so stark etabliert, dass es dort nur noch darum geht, „die Raucher zu erwischen, die bisher durch die Maschen geschlüpft sind“, erläuterte Dr. Schaller. Und ihr Kollege, Prof. Baumann warnte: „Wir müssen uns hüten, in eine Diskussion abzurutschen, die potenziell gefährliche Produkte einführt unter dem missbrauchten Label einer Raucherentwöhnung.“

Quelle: Pressekonferenz des Deutschen Krebsforschungszentrums

1. bit.ly/tabakatlas_2020
2. bit.ly/krisengewinner_tabakindustrie