Anzeige

Erhöht die Einnahme von SSRI die Gewaltbereitschaft?

Autor: Maria Fett

Vor allem die jüngeren Patienten fielen negativ auf. Vor allem die jüngeren Patienten fielen negativ auf. © asiandelight – stock.adobe.com
Anzeige

Indem sie das Serotoninrecycling hemmen, entwickeln SSRI ihr antidepressives Potenzial – und machen dabei womöglich gewaltbereit. Denn bestimmte Personen, die die Arzneimittel genommen haben, verüben auffällig häufig Gewalttaten.

Als frustriere es nicht genug, dass wir nach Jahrzehnten der Forschung die Wirkmechanismen von Antidepressiva noch immer nicht vollständig erklären können. Nun wächst auch die Zahl jener Studien, in denen die potenziell unerwünschten Effekte der Arzneimittel offenbar werden. Im jüngsten Beispiel beschreiben Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) und einer erhöhten Gewaltbereitschaft.

Konkret hatte das Team um Tyra­ Lagerberg­ vom Karolinska Institut in Stockholm mehr als 785.000 Personen im Alter zwischen 15 und 60 Jahren aus dem schwedischen Nationalregister identifiziert, die zwischen 2006 und 2013 mit SSRI behandelt worden waren. Fast 21.000 (2,7 %) von ihnen waren in dieser Zeit wegen eines Gewaltdelikts verurteilt worden.

Ob dabei ein kausaler Zusammenhang bestand oder bloßer Zufall am Werk war, sollten Analysen klären, in denen der Einfluss von Geschlecht, Bildungsstand, Einkommenshöhe und anderer Faktoren herausgerechnet wurde. Letzten Endes stand die Antidepressivatherapie tatsächlich mit einer um 10 % höheren Rate an Gewalttaten in Verbindung.

Als die Forscher weiter ins Detail gingen, schien zudem der Zeitpunkt der Behandlung von Bedeutung, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen ergaben sich für die Gruppen der 15- bis 24-Jährigen sowie der 25- bis 34-Jährigen jeweils die größten Deliktpotenziale (Hazard Ratio, HR 1,19 bzw. 1,16). Ältere bis zum 60. Lebensjahr fielen nicht nennenswert negativ auf.

Gewaltneigung bleibt nach Therapieende bestehen

Weiterhin wurden 35 % mehr Straftaten zwischen dem 29. und dem 84. Behandlungstag begangen im Vergleich zur Zeit vor Therapiestart. Bis zur zwölften Woche nach Ende der SSRI-Einnahme blieb die Gewaltbereitschaft hoch (HR 1,24).

Die Zahlen mahnen zweifelsohne zu erhöhter Wachsamkeit, schließen die Autoren. Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass es sich mit 2,7 % eher um einen geringen Prozentsatz an Personen handelt, die im Rahmen ihrer SSRI-Behandlung wegen einer Gewalttat vor den Richter mussten.

Quelle: Lagerberg T et al. Eur Neuropsychopharmacol 2020; 36: 1-9; DOI: 10.1016/j.euroneuro.2020.03.024