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Erhöhtes Risiko für Diabetes und Demenz durch insulinresistente Hirnzellen

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Eine zentrale Insulinresistenz kann sich schon früh im Leben entwickeln und das Diabetesrisiko erhöhen. Eine zentrale Insulinresistenz kann sich schon früh im Leben entwickeln und das Diabetesrisiko erhöhen. © master1305 – stock.adobe.com
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Eine Insulinresistenz im Gehirn hat negative Auswirkungen auf den peripheren Stoffwechsel, das Essverhalten und die Kognition. Die zentrale Insulinaktion zu verbessern, könnte deshalb ein therapeutischer Ansatz werden für Menschen mit hohem Risiko für metabolische und kognitive Erkrankungen.

Zwischen metabolischen und kognitiven Erkrankungen gibt es wechselseitige Beziehungen. Ein Diabetes erhöht z.B. das Demenzrisiko. Umgekehrt findet man bei Alzheimerpatienten eine verminderte Insulinempfindlichkeit. Wie lassen sich diese Assoziationen erklären? Da das ZNS nicht auf Insulin angewiesen ist, um Glukose zu nutzen, hat man lange angenommen, Insulin spiele zentral keine Rolle.

Dann kam die Erkenntnis, dass das Gehirn in vielen Strukturen – insb. in Hypothalamus, Zerebellum, Kortex und subkortikalen Regionen reichlich mit Insulinrezeptoren ausgestattet ist. Durch die weitere Forschung stellte sich heraus, dass eine ganze Reihe von Hirnfunktionen wie Gedächtnis, olfaktorische Verarbeitung, emotionale Regulation und Essverhalten sowie der periphere Metabolismus durch Insulin moduliert werden.

Seitdem wird angenommen, dass eine zentrale Insulinresistenz die Entwicklung des Typ-2-Diabetes und die bekannten negativen Effekte auf die metabolische Gesundheit von Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen vorantreiben könnte.

Tatsächlich lässt sich eine Insulinresistenz im Gehirn nachweisen, z.B. mittels funktionellem MRT. Die exogene nasale Zufuhr von Insulin führt bei normalgewichtigen, nicht aber bei adipösen Menschen zu einer prominenten neuralen Response. Auch im hyperinsulinämisch-euglykämischen Clamp-Test konnte gezeigt werden, dass die insulinstimulierte kortikale Aktivierung bei Normalgewichtigen, aber nicht bei Adipösen stattfindet.

Den direkten Weg ins Gehirn auf olfaktorischen und trigeminalen Bahnen unter Umgehung der Blut-Hirn-Schranke nimmt Insulin, wenn es intranasal appliziert wird. Etwa 30 Minuten später steigt die zerebrale Insulinkonzentration relevant an, während sich peripher kaum etwas tut.

Zentrale Insulinresistenz kann den Appetit beeinflussen

Die Kontrolle der Energie-Homöo­stase findet v.a. im Hypothalamus statt. Ein postprandialer Anstieg der Insulinkonzentration in dieser Region bedingt eine Abnahme des Blutflusses, die dazu führt, dass die Nahrungsaufnahme gehemmt wird. Bei Krankheitsbild DetailseiteAdipösen fällt die Regulation der hypothalamischen Aktivität schwächer aus.

Ähnliche Zusammenhänge lassen sich im mesokortikolimbischen Kreislauf und im präfrontalen Kortex nachweisen, die beteiligt sind an der Kontrolle von Nahrungsaufnahme und -auswahl („Gelüste“ und Hunger). Dort werden die Insulineffekte vor allem vom Dopaminsystem gesteuert. Die zentrale Insulinaktion könnte somit Belohnungsreize modulieren und damit das Verlangen nach Essen verringern. Eine Insulinresistenz würde durch die Unterdrückung der Dopaminantwort zu einer erhöhten Nahrungsaufnahme führen.

Der Diät-Faktor Insulin

Dass Adipöse weniger insulinsensitive Nervenzellen haben, beeinflusst auch den Erfolg von Diäten, wie Dr. Kullmann und Kollegen zeigten. Das Team hat den Fortschritt von 15 Teilnehmern eines zweijährigen Lifestyle-Interventions-Programms verfolgt, weitere 112 ebenfalls per MRT untersuchte Probanden lieferten Daten über den Insulineinfluss auf das Gehirn. Am meisten Gewicht verloren diejenigen, deren Gehirn anfangs am sensibelsten auf das Hormon reagiert hatte. Sogar nach neun Jahren hatten sie am wenigsten wieder zugenommen. Außerdem setzen Insulinempfindliche weniger viszerales Fett an. Der Effekt des Insulins auf den Appetit ist wahrscheinlich nicht der einzige Mechanismus. Denn die Insulinsensitivität des Gehirns prägt wohl über das autonome Nervensystem auch die Reaktion des übrigen Körpers: Das Hormon unterdrückt die endogene Glukoseproduktion und fördert die Zuckeraufnahme in den peripheren Organen. Beides wirkt wahrscheinlich der Energiespeicherung im viszeralen Fettgewebe entgegen.

Quelle: Kullmann S et al. Nat Commun 2020; 11: 1841; DOI: 10.1038/s41467-020-15686-y

Der Hippocampus spielt eine zentrale Rolle für Lernen und Gedächtnis. Insulinrezeptoren regulieren dessen strukturelle und funktionelle Plastizität. In einigen Studien konnte die kognitive Funktion von Diabetikern und Patienten mit früher Alzheimer-Erkrankung durch intranasales Insulin verbessert werden. Der Insulineffekt im Gehirn beeinflusst auch periphere Wege des Glukosemetabolismus, z.B. die endogene Glukoseproduktion (siehe Kasten). Eine zentrale Insulinresistenz könnte sich schon früh im Leben, eventuell in utero, entwickeln und auf diese Weise das Risiko erhöhen, einen Diabetes zu entwickeln. Damit im Einklang steht, dass der Grad der Insulinempfindlichkeit im Gehirn bestimmt, wie erfolgreich Maßnahmen zur Gewichtsreduk­tion sind.

Quelle: Kullmann S et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2020; 8: 524-534; DOI: 10.1016/S2213-8587(20)30113-3