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Perforierte Appendix durch Coronapandemie häufiger?

Autor: Sabine Mattes

Im ersten Lockdown häuften sich die Fälle von Blinddarmdurchbrüchen – als Ursache gilt der verzögerte Arztbesuch aus Angst vor SARS-CoV-2. (Agenturfoto) Im ersten Lockdown häuften sich die Fälle von Blinddarmdurchbrüchen – als Ursache gilt der verzögerte Arztbesuch aus Angst vor SARS-CoV-2. (Agenturfoto) © Juan Aunión – stock.adobe.com
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Zu Beginn der Pandemie haben viele Patienten Arzt- und Klinikbesuche aus Angst vor COVID-19 gemieden. Bei einer Appendizitis kann das fatale Folgen haben.

In den ersten sechs Monaten der Coronapandemie kam es zu einer deutlichen Zunahme der Zahl komplizierter Appendizitiden bei Kindern, schreibt Professor Dr. Thomas­ Meyer­ von der Abteilung für Kinderchirurgie am Uniklinikum Würzburg. Plausibelste Begründung für den Anstieg scheinen präklinische Verzögerungen zu sein.

Die akute Appendizitis gilt als häufigste Abdominalerkrankung im Kindesalter. Von den ersten Symptomen bis zur Perforation des Wurmfortsatzes vergehen i.d.R. 36 bis 48 Stunden, weshalb sie zu jenen Notfällen gehört, die auch unter Lockdown-Bedingungen chirurgisch versorgt wurden. 

Perforationsrate fast doppelt so hoch

Zwischen März und August 2020 gab es in der Würzburger Klinik 38 Fälle von jungen Patienten bis 16 Jahre. Bei 39,5 % von ihnen war die Entzündung bereits fortgeschritten und der Wurmfortsatz perforiert. Prof. Meyer hat die Verläufe genauer unter die Lupe genommen. Als Kontrolle für seine retrospektive Analyse dienten Daten der entsprechenden Halbjahre 2018 und 2019 (30 bzw. 33 Fälle).

Es zeigte sich, dass die Perforationsrate während des Lockdowns fast doppelt so hoch war wie in den Vorjahren, wo sie durchschnittlich 20,6 % betragen hatte. Im Gegensatz dazu gab es bei weiteren Parametern wie durchschnittliches Alter der Patienten, bakteriologischer Befund oder Dauer des stationären Aufenthalts keine nennenswerten Unterschiede. Auch die präoperativen Entzündungswerte (Leukozyten und CRP) waren ähnlich. 

Mit der Fahrt ins Krankenhaus wurde länger gewartet

Das Coronavirus selbst konnte als potenzieller Beschleuniger der inflammatorischen Prozesse ausgeschlossen werden. Sämtliche Patienten und ihre Angehörigen hatten 2020 bei Krankenhausaufnahme negative Testergebnisse. Verzögerungen bei Abläufen innerhalb des Hauses kommen dem Autor zufolge als Grund nicht infrage.

Was als potenzielle Ursache übrig bleibt, ist die Zeitspanne zwischen Symptombeginn und Ankunft in der Notaufnahme. Sie war im Lockdown mit 3,07 Tagen deutlich größer als in den Jahren zuvor (1,96 bzw. 2,51 Tage). Auch wenn die Stichprobe klein und der Unterschied nicht signifikant ist, zeigt er doch eines: Angehörige haben mit der Fahrt ins Krankenhaus – möglicherweise aus Angst vor einer ­SARS-CoV-2-Infektion – länger gewartet als unter normalen Umständen. Diese Annahme wird durch eine spanische Studie unterstützt, in der von einer sprunghaften Zunahme der Perforationsraten von 7,3 auf 32,0 % berichtet wurde. Inwieweit diese Hypothese belastbar ist und sich die Daten aus Würzburg auf Gesamtdeutschland übertragen lassen, müssten multizentrische Studien mit größeren Patientenkollektiven zeigen, so Prof. Meyer.

Quelle: Meyer T. Monatsschr Kinderheilk 2021; 169: 633-638; DOI: 10.1007/s00112-021-01161-5