Anzeige

Personalisierte Diät: Was taugen Gentests, Mikrobiom oder Proteom als Empfehlungsbasis?

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Fachgesellschaften sprechen sich gegen genbasierte Ernährungsempfehlungen aus – es mangelt an wissenschaftlicher Evidenz. Fachgesellschaften sprechen sich gegen genbasierte Ernährungsempfehlungen aus – es mangelt an wissenschaftlicher Evidenz. © iStock/AYDINOZON
Anzeige

Der Energiebedarf hängt von Alter, Geschlecht und Lebensstil ab. Daher eignen sich generelle Maßnahmen zur Gewichtsreduktion nicht für jeden gleich gut. Für personalisierte Empfehlungen auf der Basis von Gentests, Mikrobiom oder Proteom aber fehlt bisher die wissenschaftliche Evidenz. Dennoch werden sie bereits kommerziell angeboten.

Die Stoffwechselantwort auf standardisierte Testmahlzeiten fällt von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich aus. Inwieweit lassen sich minimale genetische Unterschiede, z.B. Single Nucleotide Polymorphisms (SNP), das Mikro­biom und das Proteom als Abbild des zellulären Stoffwechsels, für diese Variabilität verantwortlich machen? Und reicht die wissenschaftliche Evidenz bereits aus, daraus konkrete Ernährungsempfehlungen abzuleiten?

Körpergewicht und der Erfolg beim Abnehmen scheinen z.B. von genetischen Faktoren nicht unberührt zu bleiben, schreiben Dr. Christina Holzapfel, TU München, und Kollegen. Im Fokus der Forschung steht u.a. das „fat mass and obesity associated(FTO)“-Gen. So ließ sich einerseits feststellen, dass die Ernährung von Trägern des FTO-Risikoallels einen höheren Fett- und Proteinanteil aufweist. Andererseits zeigten weitere Untersuchungen, dass es keine Zusammenhänge zwischen genetischen Faktoren und der Aufnahme von Fetten, Kohlenhydraten und Energie gibt und dass Träger einer bestimmten FTO-Variante durch Ernährungs-, Sport- und medikamentöse Therapien vergleichbar erfolgreich sind wie Menschen ohne das FTO-Risikoallel. Studien, in denen eine Assoziation zwischen Gewichtsreduktion und verschiedenen SNP-Varianten gesucht wurde, brachten keine klaren Resultate. 

Genetischer Hintergrund der Körpermasse ist sehr komplex

Bei der Interpretation solcher SNP-Ergebnisse müsse berücksichtigt werden, dass der genetische Hintergrund des Körpergewichts sehr komplex ist, betonen die Wissenschaftler. Für wünschenswert halten sie daher große Gewichtsreduktionsstudien, die mit genomweiten Analysen statt der Untersuchung einzelner Nukleotidaustausche arbeiten, um Genotypen zu identifizieren, die mit dem Abnehmen assoziiert sind. 

Obwohl die wissenschaftliche Forschung dazu erst am Anfang steht, werden heute bereits „direct to consumer(DTC)“-Gentests kommerziell angeboten. Die Kunden erhalten vom Anbieter eine genbasierte Ernährungsempfehlung meist auf Basis einer SNP-Analyse der Mundschleimhautzellen. Bestimmt werden charakteristische SNP, die mit bestimmten Krankheitsrisiken oder metabolischen Konstellationen assoziiert sind. Verschiedene Fachgesellschaften sprechen sich aber explizit gegen solche genbasierten Ernährungsempfehlungen aus, da die wissenschaftliche Evidenz für einen Nutzen fehlt. 

Das Mikrobiom bietet einen anderen möglichen Ansatzpunkt zur individualisierten Ernährung. Studien konnten zeigen, dass die postprandiale Veränderung des Blutglukosespiegels wesentlich durch die Zusammensetzung des Mikrobioms bestimmt wird. Der Enterotyp scheint auch eine Rolle in der Entwicklung der Adipositas und beim Abnehmerfolg zu spielen. Personen des Typs Prevotella nahmen z.B. unter ballaststoffreicher Ernährung mehr ab als Personen mit dem bacteroidesdominierten Enterotyp. Um Ernährungsempfehlungen zur Gewichtsreduktion auf Basis des Darm-Mikrobioms abgeben zu können, sind die Zusammenhänge insgesamt noch zu wenig erforscht, betonen die Autoren. Trotzdem gibt es entsprechende Angebote bereits auf dem Markt.

Das Proteom eines Individuums bzw. eines Gewebes beinhaltet die Gesamtheit aller Proteine und schließt dadurch auch einzelne Proteinvarianten ein. Dadurch ergeben sich bereits deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Personen. Es passt sich allerdings auch individuell an exogene und endogene Einflüsse an und wird durch die Ernährung stark beeinflusst, da Verdauung, Verteilung und Metabolisierung durch ein Zusammenspiel verschiedener Proteine erfolgen. So können z.B. gesättigte Fettsäuren das Proteom ungünstig beeinflussen. Umgekehrt verändert eine Gewichtsreduktion das Proteom des weißen Fettgewebes (gesteigerte Lipolyse). Auch das Plasmaproteom verändert sich bei einer Gewichtsreduktion, dort scheint Proteoglykan 4 eine Rolle zu spielen.

Bisher dienen diese Analysen dazu, metabolische Zusammenhänge und Mechanismen der Gewichtsreduktion aufzuklären sowie Biomarker zu identifizieren. Für personalisierte Ernährungsempfehlungen spielen sie noch keine Rolle, zumal direkte Vergleiche der Zusammensetzung aufgrund der Variabilität bisher nur sinnvoll erscheinen, wenn sie sich auf die Ausgangssituation des jeweiligen Individuums beziehen.

Personalisierte Mahlzeiten vom Lieferdienst?

Dass kommerzielle Tests trotz fehlender Evidenz angeboten werden, liegt auch am großen Interesse für persönlich abgestimmte Empfehlungen innerhalb der Bevölkerung, folgern die Wissenschaftler. Viele wollen dem Trend hin zur gesunden Ernährung folgen und auf den Patienten abgestimmte Konzepte verstärken die Motivation, einen gesünderen Lebensstil umzusetzen, wie die Food4Me-Studie gezeigt hat. Allerdings machte es darin keinen Unterschied, ob genetische, phänotypische Daten oder nur das individuelle Ernährungsverhalten berücksichtigt wurden. 

Maßgeschneiderte Konzepte, die Energiebedarf, Lebensstil, Alter, Geschlecht, körperliche Aktivität, Gesundheitsstatus und Nahrungspräferenzen berücksichtigen, sind kein Novum, betonen die Experten. Sie werden von qualifizierten Ernährungsfachkräften ausgearbeitet – was bisher allerdings noch viel Zeit kostet. Um diesen Aufwand zu reduzieren, könnten zukünftig mehr KI-basierte Algorithmen genutzt werden. Mit Lieferdiensten, die sich auf die personalisierten Mahlzeiten spezialisieren, ließe sich außerdem die Alltagstauglichkeit für die Patienten verbessern.

Quelle: Holzapfel C et al. Ernährungs Umschau 2021; 68: 26-35; DOI: 10.4455/eu.2021.008