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Pflanzliche Arzneimittel mit Senfölen bewähren sich bei Harnwegsinfektionen

Autor: Dr. Anne Benckendorff

Antibakterielle Isothiocyanate finden sich in der Kapuzinerkresse und im Meerrettich. Antibakterielle Isothiocyanate finden sich in der Kapuzinerkresse und im Meerrettich. © iStock/emer1940; iStock/eskymaks
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Bei unkomplizierten Harnwegsinfekten können pflanzliche Arzneimittel mit Senfölen verordnet werden. Für die Präparate sind neben antibakteriellen auch antiinflammatorische Effekte belegt.

Für verschiedene Senföle, wie sie in pflanzlichen Arzneimitteln zur Behandlung von Harnwegsinfekten enthalten sind, ist ein breites mikrobielles Wirkspektrum klinisch umfassend belegt. Die Pflanzenstoffe aus der Gruppe der Isothiocyanate sind sowohl bei gramnegativen als auch grampositiven Bakterien effektiv, ebenso gegenüber Viren und Pilzen. Sogar bei antibiotikaresistenten Keimen zeigen die Senföle ihre bakteriostatische und bakterizide Wirkung, schreiben Privatdozent Dr. ­Winfried ­Vahlensieck, Fachklinik für Urologie an der Kurpark-Klinik in Bad Nauheim, und Dr. ­Karola ­Scheffer vom Labor-Service in München. Gewonnen werden die Arzneistoffe aus der Kapuzinerkresse (Benzylisothiocyanat) und aus dem Meerrettich (Allylisothiocyanat, 2-Phenylethylisothiocyanat).

Gegenüber den Bakterien lassen sich verschiedene Wirkmechanismen der Senföle beobachten, erläutern die beiden Autoren in ihrer Übersichtsarbeit. Die Pflanzenstoffe zerstören die Zellmembranen der Mikroben oder sie legen das chemische Kommunikationssystem der Erreger lahm – mit der Folge, dass deren Fähigkeit, Biofilme zu bilden, schwindet. Unter dem Einfluss der Isothiocyanate können die Bakterien Stoffe aus ihrer Umgebung schlechter oder überhaupt nicht mehr aufnehmen, ihre Adhärenz an menschliche Zellen ist gemindert, die flagellenvermittelte Motilität der Mikroben erschwert. Darüber hinaus zeigen die Senföle antiinflammatorische Effekte, vermittelt über die Hemmung des Arachidonsäure-Stoffwechsels. In der Folge werden Entzündungsmediatoren herunterreguliert.

Option bei häufig rezidivierender Zystitis

Ein Senfölpräparat aus den Wirkstoffen der Kapuzinerkresse und des Meerrettichs, das zur Behandlung unkomplizierter Harnwegsinfekte gebräuchlich ist, zeigte in mehreren klinischen Studien eine ähnlich gute Wirksamkeit wie Antibiotika. Auch bei Kindern war das Phytopharmakon erfolgreich, bei besserer Verträglichkeit. In der Prophylaxe rezidivierender unkomplizierter Harnwegsinfekte zeigte sich das Ölgemisch Placebo gegenüber überlegen. Demzufolge werden in der S3-Leitlinie zu unkomplizierten Harnwegsinfek­tionen die Senföle aus Kapuzinerkresse und Meerrettich als phytotherapeutische Option bei häufig rezidivierender Zystitis empfohlen.

Darüber hinaus traten bei katheterisierten Querschnittsgelähmten mit komplizierten Harnwegsinfekten in einer Studie über einen Monat hinweg signifikant weniger Rezidive auf, wenn die Betroffenen Antibiotika plus Senföl­medikament einnahmen, als wenn sie lediglich die Antibiose bekamen. Ein Teil der Patienten kam sogar komplett ohne die synthetischen Antiinfektiva aus.

Senföle können bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen eine wirksame Alternative zu Antibio­tika darstellen, bei gleichzeitig weniger Nebenwirkungen, konstatieren Dr. ­Vahlensieck und Dr. ­Scheffer. Sie erinnern daran, dass der Einsatz von Antibiotika bei Harnwegsinfekten auf das Nötigste beschränkt und bei unkomplizierten Verläufen andere Therapien vorgezogen werden sollen. Eine Resistenzentwicklung gegenüber den Pflanzenwirkstoffen halten die Autoren aufgrund der multimodalen Wirkmechanismen der Isothiocyanate für eher unwahrscheinlich.

Quelle: Vahlensieck W, Scheffer K. Urologe 2021; 1: 52-58; DOI: 10.1007/s00120-020-01289-4