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Migräne Typisch Frau – oder doch nicht?

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Frauen fühlen sich durch Migräne generell stärker belastet als Männer. (Agenturfoto) Frauen fühlen sich durch Migräne generell stärker belastet als Männer. (Agenturfoto) © Oleksii – stock.adobe.com
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Migräne betrifft Frauen und Männer, doch ist sie bei letzteren oft schwerer zu diagnostizieren. Eine nicht unerhebliche Rolle spielt die Eigenstigmatisierung.

Für den Verlauf einer Migräne spielen psychosoziale Faktoren und Komorbiditäten eine entscheidende Rolle. Zwar sind die Trigger bei Frau und Mann nahezu identisch, doch lassen sich in anderen Punkten geschlechtsspezifische Eigenheiten ausmachen.

Frauen fühlen sich durch Migräne generell stärker belastet als Männer. Sie haben durch die Erkrankung mehr Probleme in ihren Liebesbeziehungen, sie verheimlichen das Leiden eher und begegnen größerem Unverständnis in ihrem Umfeld. Frauen haben in der attackenfreien Zeit auch mehr Angst als ihre männlichen Leidensgenossen und geben eine höhere Schmerzstärke an. Solche Unterschiede beobachtet man beim Spannungskopfschmerz nicht, beschrieb Anna-Lena Guth vom Kopfschmerzzentrum Frankfurt.

Zudem berichten Frauen mehr auslösende Reize. Die Trigger selbst sind aber im Großen und Ganzen dieselben, führte die Diplompsychologin aus. Bei beiden Geschlechtern führen Stress, helles Licht, Schlafmangel und ausgelassene Mahlzeiten zur Attacke.

Vom Problem der Stigmatisierung sind alle Patienten gleichermaßen betroffen, so die Referentin. In einer Umfrage mit 9.999 Menschen, die nicht unter Migräne litten, zeigten sich 31 % überzeugt, dass die Betroffenen die Krankheit in der Schule oder am Arbeitsplatz als Ausrede nutzen würden. 45 % waren der Meinung, dass sich die Krankheit doch ganz einfach behandeln lasse und 36 % glaubten, Migräne sei Folge einer ungesunden Lebensweise.

Frauen erhalten häufiger eine Migränediagnose, mit der Attackenfrequenz steigt bei ihnen – anders als bei den Männern – die Zahl der Arztbesuche, berichtete die Schmerzpsychotherapeutin. Ihr zufolge könnte das durchaus Folge einer Eigenstigmatisierung der Männer sein: „Migräne ist Frauensache, also gehe ich nicht zum Arzt.“ Möglicherweise unterscheiden sich aber auch die klinischen Charakeristika, was die Diagnose behindert. Oder die Ärzte selbst denken bei Migräne vornehmlich an Frauen.

Psychische Störungen und Migräne gehen Hand in Hand

Psychische Komorbiditäten sind beim Migränepatienten generell häufig und oft gibt es bidirektionale Zusammenhänge. Die Odds Ratio für Depressionen liegt zwischen 2,2 und 4, für generalisierte Angststörungen zwischen 4,1 und 5,4 sowie für Panikstörungen zwischen 3 und 10,4. Unbehandelt gelten diese Begleiterkrankungen als Risikofaktoren für die Chronifizierung einer Migräne. Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) haben bei Migränepatienten eine Prävalenz von 14–25 %. Sie betreffen Frauen häufiger als Männer. Die Wahrscheinlichkeit für PTBS ist bei Letzteren aber drei- bis viermal so hoch. Bezüglich bipolarer Störungen besteht eine klare bidirektionale Beziehung, so Guth: Ein Drittel der Patienten leidet begleitend an Migräne und es scheint, als würde die affektive Störung mit dieser Komorbidität schwerer verlaufen.

Hormonelle Einflüsse auf die Migräne sind hinlänglich untersucht. Östrogen moduliert verschiedene Transmitter wie Serotonin, Dopamin oder Noradrenalin sowie die Erregbarkeit und Sensibilisierung des CGRP*-Signalwegs, erklärte Dr. Mira Fitzek von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Belastung einer Frau durch Migräne nimmt während Menarche, Menstruation und um die Menopause herum zu, in der Schwangerschaft und postmenopausal geht sie zurück.

Bei Migräne rund um die Regelblutung können Kontrazeptiva günstig wirken, erhöhen aber die Wahrscheinlichkeit für Schlaganfälle. Das Risiko hängt von der Dosis und vom Migränesubtyp ab; am größten ist es bei Migräne mit Aura. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft schreibt aber in ihren Leitlinien, dass auch bei Aurapatientinnen nichts gegen die Verordnung spricht, solange keine weiteren Risikofaktoren vorliegen, berichtete Dr. ­Fitzek.

In einer aktuellen Studie wurde untersucht, inwieweit niedergelassene Gynäkologen das Vorliegen einer Migräne mit oder ohne Aura bei der Verschreibung von Kontrazeptiva berücksichtigen. 851 Frauenärzte wurden dazu befragt – mit erfreulichem Ergebnis: Die überwiegende Mehrheit führte schon vor der Verordnung eine fokussierte Anamnese durch und passte die Medikation mit Blick auf die Migräne an. Auch modifizierten die Gynäkologen die Pillenrezepte bei Veränderung des Migränestatus der Patientinnen.

*    Calcitonin Gene-Related Peptide

Quelle: Schmerzkongress 2022