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MHC-I-Opathien Was Dermatologen, Rheumatologen und Ophthalmologen verbindet

Autor: Dr. Melanie Söchtig

MHC-I-Proteine an der Zelloberfläche alarmieren das Immunsystem. Genvarianten des MHC I-Komplexes werden nun mit bestimmten entzündlichen Krankheiten assoziiert. MHC-I-Proteine an der Zelloberfläche alarmieren das Immunsystem. Genvarianten des MHC I-Komplexes werden nun mit bestimmten entzündlichen Krankheiten assoziiert. © ellepigrafica – stock.adobe.com
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Wurde eine Zelle von Viren infiziert, alarmiert der MHC-Rezeptor durch Präsentation entsprechender Antigenfragmente das Immunsystem. Aber was, wenn dieses System durch genetische Faktoren beeinträchtigt wird? Altbekannte Autoimmunerkrankungen scheinen eine Assoziation zu spezifischen HLA-Allelen zu zeigen und werden daher als MHC-I-Opathien zusammengefasst.

MHC-I-Opathien sind eine Gruppe von entzündlichen Krankheiten, die Assoziationen mit Genen des Haupthistokompatibilitätskomplexes (MHC, siehe Kasten) und dazugehörigen Signalwegen aufweisen. Ihre klinischen Symptome können sich überschneiden. Vier bekannte Vertreter sind Psoriasis (inkl. Psoriasisarthritis), Spondyloarthritis, Morbus Behçet und Birdshot-Chorioretinopathie.

Ein Rezeptorgerüst, viele Möglichkeiten

MHC-I-Proteine sind auch als Humane Leukozytenantigene (HLA)-A, -B und -C bekannt. Sie binden je nach Beschaffenheit kurze Peptidstücke von degradierten oder pathogenen Proteinen aus dem Zellinneren und präsentieren diese danach auf der Zelloberfläche. Aminopeptidasen des endoplasmatischen Retikulums (ERAP1, ERAP2) spalten längere Peptidteile zuvor in Fragmente, die etwa 8-11 Aminosäuren lang sind. Dadurch ist das MHC-I-System in der Lage, Tausende verschiedener Peptide zu binden und zu präsentieren, die in ihrer Gesamtheit als „Immunopeptidom“ bezeichnet werden. Zellen des Immunsystems wie CD8-positive T-Zellen und natürliche Killerzellen lesen dieses Immunopeptidom aus. Sie verfügen über Rezeptoren, welche an die Peptid-MHC-I-Komplexe binden.

Unter Federführung von Prof. Dr. Jonas Kuiper vom Universitätsklinikum Utrecht hat eine Studiengruppe der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) jetzt eine Übersichtsarbeit zu diesem Thema veröffentlicht. Darin erklären die Autoren unter anderem, warum die genannten Erkrankungen trotz phänotypischer Unterschiede nicht isoliert zu betrachten sind und einen multidisziplinären Ansatz erfordern.

Die genauen Ursachen für den Zusammenhang zwischen individuellen HLA-Allelen und den damit assoziierten Erkrankungen bleibt bislang unklar. Eine weitverbreitete Hypothese geht davon aus, dass einige Genvarianten dazu führen, dass das betroffene MHC-I-System bestimmte immunogene Peptidfragmente präsentieren kann, was zu einer Autoimmunreaktion führt. Darüber hinaus ist aber auch ein direkter Einfluss durch fehlerhaft gefaltete MHC-I-Moleküle denkbar, die eine Immunreaktion triggern oder ein verändertes Bindungsverhalten von Rezeptoren auf natürlichen Killer­zellen denkbar.

MHC-I-Opathien sind gekennzeichnet durch eine starke Assoziation mit spezifischen HLA-Varianten. Bekannte Allele sind HLA-B*27 bei Spondyloarthritis, HLA-B*51 bei Morbus Behçet, HLA-C*06:02 bei Psoriasis und das HLA-A*29:02 für Birdshot-Chorioretinopathie. Obwohl diese Varianten als primäre Risikoallele gelten, müssen Patienten nicht zwangsweise positiv sein, schreiben die EULAR-Experten. Es wurden bei allen Erkrankungen weitere Faktoren identifiziert, die unabhängig vom Haupt-Risikoallel das Erkrankungsrisiko beeinflussen. So zeigte die Psoriasis, bei der 30–70 % der Patienten negativ auf das primäre Risikoallel sind, u.a eine unabhängige Assoziation zu HLA-B*27. Einzige Ausnahme ist die Birdshot-Chorioretinopathie bei der Betroffene ausnahmslos HLA-A*29-positiv sind. 

Ziele der EULAR-Studiengruppe

  • Erarbeitung eines Konsens durch die multidisziplinäre Zusammenarbeit von Rheumatologen, Dermatologen und Ophthalmologen und Entwicklung eines Standards hinsichtlich der Beschreibung der Krankheitssymptome

  • Nutzung patientenberichteter Symptome und Therapieergebnisse für eine detaillierte phänotypische Bewertung

  • Feinkartierung der genetischen Grundlagen von MHC-I-Opathien mittels Integration weiterer Daten aus genomweiten Assoziationsstudien

  • Harmonisierung der Nomenklatur und Bereitstellung der derzeit besten Praktiken für die Untersuchung von wichtigen Aspekten der MHC-I-Erkrankungen

  • Aufbau eines paneuropäischen Konsortiums mit standardisierten klinisch-pathologischen Krankheitsphänotypen (ergänzt durch molekulare Daten zu ERAP- und MHC-I-Haplotypen und ggf. weitere biologische Daten). Ziel ist, die Krankheitsklassifizierung zu verbessern sowie diagnostische Kriterien und prognostische Biomarker zu finden, mit denen sich Krankheitsverlauf und Wirksamkeit der Therapie vorhersagen lassen

  • Untersuchung der MHC-I-Erkrankungen bei verschiedenen ethnischen Hintergründen

  • Einbeziehung von Patienten.

Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass ein Ensemble von genetischen Faktoren zur Entstehung einer MHC-I-Opathie beiträgt, schreiben die Experten. Neben verschiedenen HLA-Allelen scheinen dabei manchmal auch Varianten von ERAP1, ERAP2 sowie dem Interleukin-23-Rezeptor (IL23R) eine Rolle zu spielen. Entsprechend könnten sie potenzielle Ansatzpunkte für künftige Therapieoptionen bei einigen MHC-I-Opathien darstellen.

Auch hinsichtlich der Symptome und der Organbeteiligung überschneiden sich einige MHC-I-assoziierte Erkrankungen. So kann die Uveitis bei allen klassischen MHC-I-Opathien auftreten, wenn auch mit unterschiedlicher Prävalenz und anatomischer Lokalisation. Entzündete Iliosakralgelenke kommen bei Spondyloarthritis, Psoriasisarthritis und Morbus Behçet vor. Die Beteiligung der Haut, z.B. in Form von Ulzera, Pusteln oder einer psoriasiformen Dermatitis, ist ein gemeinsames Merkmal aller MHC-I-Opathien. 

Andere Kennzeichen können nur für bestimmte Entitäten typisch sein. Beispielsweise sind arterielle, venöse und neurologische Komplikationen bei der Birdshot-Chorioretinopathie häufig, bei anderen MHC-I-Opathien treten sie nur selten auf. Darüber hinaus gibt es erhebliche klinische und geografische Unterschiede bei den Krankheitsphänotypen: Die Prävalenz der gastrointestinalen Beteiligung bei der Birdshot-Chorioretinopathie unterscheidet sich z.B. in asiatischen im Vergleich zu europäischen Populationen.

Quelle: Kuiper JJW et al. Ann Rheum Dis 2023; DOI: 10.1136/ard-2022-222852