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Letzte Hoffnungen Was die Komplementärmedizin in der Palliativsituation ausrichten kann

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Anwendungen der Alternativ- oder Komplementärmedizin wirken nicht nur sanft und nebenwirkungsfrei - nur einige der Angebote sind dabei unbedenklich einzusetzen. Anwendungen der Alternativ- oder Komplementärmedizin wirken nicht nur sanft und nebenwirkungsfrei - nur einige der Angebote sind dabei unbedenklich einzusetzen. © tyosya – stock.adobe.com
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Etwa 40 % aller Palliativpatienten nutzen Methoden der Komplementär- und Alternativmedizin. Was davon kann helfen und was fällt eher in die Kategorie unsinnig bis schädlich?

Selbst etwas tun und die eigenen Kräfte erhalten: Das sind die vorrangigen Ziele von Patienten, die in der Palliativsituation zur Komplementär- und Alternativmedizin greifen. Welchen Stellenwert gängige Verfahren haben, ordnete Prof. Dr. Jutta Hübner, Expertin für integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena, ein. 

Zunächst muss man zwischen Komplementär- und Alternativ­medizin unterscheiden. Für Erstere gibt es Evidenz, für Letztere nicht – was sie durchaus gefährlich machen kann. Außerdem erinnerte Prof. Hübner daran, dass Naturheilkunde nicht generell sanft und nebenwirkungsfrei ist. Eine Auswertung der Daten von 115 Patienten ihrer Klinik ergab, dass knapp 40 % komplementäre oder alternative Verfahren nutzten. Bei rund jedem Zweiten waren Wechselwirkungen potenziell möglich, bei 37 % sogar wahrscheinlich. Ein Alter unter 62 Jahren und eine Krankheitsdauer von mehr als einem Jahr erhöhten das Risiko. Die Interaktionsmechanismen sind vielfältig und reichen von anti­oxidativen Effekten und Wechselwirkungen an den Cyto­chromen bis hin zu spezifischen agonistischen oder ant­agonistischen Wirkungen. 

Mistelpräparate

Als erstes Beispiel griff Prof. Hübner­ die Mistel heraus, bei der v.a. eines auffällt: Die Präparate haben extrem unterschiedliche Dosierungen. Der Gehalt an Mistellektin schwankt zwischen 15 und 20.000 ng pro Ampulle, berichtete die Kollegin. Damit sei die Frage erlaubt, wie die Substanz eigentlich wirke. „In der Leitlinie haben wir uns zu einer vorsichtigen Empfehlung ‚pro‘ durchgerungen, im Sinne von Lebensqualität verbessern.“ Eigentlich fehlt es aber auch dafür an Evidenz, denn in gut gemachten Studien fanden sich weder Vorteile für das Überleben noch im Hinblick auf die Lebensqualität. Mit drei Injektionen pro Woche ist die Misteltherapie ein invasives Verfahren, was gerade für Palliativpatienten stark belastend sein kann. Deshalb sollte man sie nur einsetzen, wenn man einen guten Grund dafür hat.

Nahrungsergänzungsmittel

Am häufigsten werden Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt. Zum Vitamin­ C gibt es ein systematisches Review mit 21 Studien und insgesamt 1.961 Teilnehmern. Keine der Arbeiten zeigte ein signifikant positives Ergebnis. 

Zudem ist bei Vitamin C Vorsicht geboten, denn Anti­oxidanzien können generell die Wirksamkeit von Antitumortherapien abschwächen. Ein Argument spricht theoretisch für die Säure: Sie wirkt in hoher Dosierung als Oxidans. Doch Untersuchungen mit der maximalen Dosis von 1,5 g/kgKG dreimal pro Woche ergaben keinen Vorteil

Supportive Therapien

Möchte man die Nebenwirkungen von onkologischen Therapien angehen, hat die supportive Therapie Priorität. Dies bedeutet z.B. bei Übelkeit und Erbrechen: „Erst machen wir eine ordentliche Anti­emese, dann können wir den Ingwer obendrauf geben,“ sagte Prof. Hübner­. In einer placebo­kontrollierten Doppelblindstudie mit 644 Patienten wurde der Wurzelextrakt additiv zu einem 5-HT3-Rezeptorantagonisten eingesetzt. In drei Dosierungen von 0,5 bis 1,5 g minderte er die Übelkeit signifikant.

Eine strahlenbedingte Mukositis lässt sich nachweislich mit Honig günstig beeinflussen – allerdings nicht mit Manukahonig. Diese sonst so hochgelobte Sorte hat im Gegensatz zur normalen Honigen in Studien nur negative Ergebnisse geliefert. Gegen Fatigue kann man Ginseng erwägen, wobei es zwei  Dinge zu beachten gilt: Es handelt sich um ein Phytoöstrogen, weshalb Prof. Hübner­ vom Einsatz bei östrogenabhängigen Tumoren abrät. Und es wirkt nur in sehr hohen Dosierung ab ca. 1.000 mg/d gegen die Erschöpfung. Das macht die Therapie mit etwa 100 Euro pro Monat für die Patienten recht teuer. 

Erste Hinweise gibt es für eine Abschwächung der Fatigue durch Omega-­3-Fettsäuren. Sie wurden unter der Annahme getestet, dass die Beschwerden bei Tumorpatienten auf chronisch-inflammatorischen Prozessen beruhen und die Säuren als Gegenspieler der daran beteiligten Zytokine agieren. „Da kann man auch einfach mal Nüsschen oder Mandeln knabbern“, so Prof. Hübner­. In einer kleinen, aber gut gemachten Studie hat zudem Melatonin sehr gute Effekte erzielt. Da „kann man drüber nachdenken“.

Symptomkontrolle durch Akupunktur

Patienten müssen sich immer im Klaren darüber sein, dass die Akupunktur an der Krankheit selbst nichts ändern kann, betonte Prof. Dr. Andreas Schlager von der Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin in Innsbruck. Sie könne nur helfen, wenn etwas funktionell gestört, nicht wenn etwas zerstört ist. Und es handelt sich um eine Regulationstherapie, d.h. Akupunktur kann nur mit der vorhandenen Qi-Energie arbeiten. In fortgeschrittenen Stadien haben Palliativpatienten davon allerdings nicht mehr allzu viel, was den Einsatz erheblich einschränkt. „Ich würde die Akupunktur dann nicht mehr anwenden“, sagte Prof. Schlager. Früh in die Versorgung integriert, bietet sie dagegen viele Möglichkeiten, den Kranken zu helfen. Mögliche Indikationen sind Dyspnoe, Fatigue, Schlafstörungen, Übelkeit oder Schmerzen. Für eine Empfehlung als Standardverfahren reicht die Datenlage nicht aus. Andererseits gibt es nur wenig Risiken und Nebenwirkungen. Allerdings muss man auf die korrekte Durchführung achten, betonte der Kollege. Denn durch falsches Nadeln kann man den Patienten dringend benötigte Energie entziehen.

Ernährung

In den Medien werden viele heilsversprechende Krebsdiäten propagiert. Prof. Hübner­ hält die meis­ten für gefährlich, da sie oftmals zu einer Gewichtsabnahme führen, die die Siuation der Patienten weiter verschlechtern. Vor allem die These, Krebskranke müssten Zucker bzw. Kohlenhydrate meiden, sei Unsinn. Die dahintersteckende Idee, den Krebszellen wichtige Nahrungsbestandteile zu entziehen, funktioniere zwar im Reagenzglas, aber nicht im Menschen: „Sie hungern Krebszellen nicht aus, bevor Sie nicht auch gesunde Zellen in den Hungerstoffwechsel getrieben haben.“

Selbst ein gewollter Gewichtsverlust bei deutlich übergewichtigen Frauen mit Brustkrebs brachte in einer methodisch hochwertigen Studie keinen echten Benefit. Im Gegenteil: Mehrere Marker, die einen Tumorprogress anzeigen, wurden hoch­reguliert.

Alternative Verfahren

Für Biofeldenergietherapien wie Reiki­ oder Handauflegen fanden sich in einem Review keine oder höchstens kurzfristige Effekte. „Das, was hier wirkt, ist einfach, dass wir unsere Patienten nicht alleine lassen.“ Auf ähnliche Weise – und nur so – könne die Homöopathie helfen, nämlich über Kommunikation und insbesondere übers Zuhören

Die Erstanamnese bei einem Homö­opathen bedeutet, dass jemand eine Stunde zuhört, erklärte die Kollegin. Die hochverdünnten Substanzen dagegen richten ihrer Ansicht nach nichts aus. 

Eine Substanz, der man in der Alternativmedizin häufiger begegnet, ist Amygdalin oder Vitamin B17 in Form vermahlener bitterer Aprikosenkerne. Doch Vorsicht: Amygdalin setzt im Verdauungstrakt Blausäure frei, es gibt einige Berichte über Vergiftungen. Daher findet sich in der Leitlinie eine klare Soll-nicht-Empfehlung

Als sehr gefährlich bezeichnete Prof. Hübner­ die sogenannte Germanische Neue Medizin, der zufolge jeder Krebserkrankung ein psychisches Trauma zugrunde liegt. Anhänger dieser Strömung glauben, dass eine Bearbeitung des Traumas den Tumor von alleine verschwinden lässt. Wissenschaftlich basierte medizinische Therapien lehnen sie konsequent ab.

Cannabis

Mit dem Einordnen von Cannabis­präparaten tut sich die Kollegin schwer, zumal die Evidenz, die für den Einsatz des Medizinalhanfs spricht, nach wie vor relativ dünn ist. Ihrer Einschätzung nach darf und kann man THC und CBD aber durchaus einsetzen, sofern man gut über Dosierungen und Wechsel­wirkungen – etwa mit Opiaten – Bescheid weiß.

Quelle: Kongressbericht Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2023 – Online