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Diabetes: Beweglichkeit, Sehkraft und geistige Leistungsfähigkeit überwachen

Autor: Dr. Judith Besseling

Für Snacks im Auto sollte stets gesorgt sein, um eine Hypoglykämie zu vermeiden. Für Snacks im Auto sollte stets gesorgt sein, um eine Hypoglykämie zu vermeiden. © fotolia/Paolese
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Beeinträchtigt eine Neuropathie die Pedalnutzung oder trübt das Insulin die Sicht, sollte Ihr Diabetiker die Finger vom Steuer lassen. Klären Sie Ihre Patienten gründlich auf, sonst können Ihnen rechtliche Konsequenzen drohen.

Die Diagnose Diabetes heißt nicht gleich Führerscheinentzug. Dennoch sollten Patienten in bestimmten Situationen auf das Führen eines Kraftfahrzeugs verzichten, für manchen ist sogar ein generelles Fahrverbot auszusprechen. Welche Faktoren sollten bei der Aufklärung angesprochen werden?

Hypoglykämien

Sinkt der Blutzuckerspiegel, kommt es zu kognitiven Beeinträchtigungen und einer verminderten Fahrsicherheit. Jeder Diabetespatient sollte deshalb über das Hypoglykämierisiko seiner Diabetestherapie aufgeklärt werden. Es ist sinnvoll, für Straßenverkehrsteilnehmer eine Diabetestherapie mit möglichst geringem Hypoglykämierisiko zu wählen. Bei erhöhtem Hypoglykämierisiko oder Wahrnehmungsproblemen kann ein spezifisches Wahrnehmungstraining helfen. Auch technische Hilfsmittel wie Pumpen oder kontinuierlich messende Glukosesensoren können zur Vermeidung von Unterzuckerungen angeboten werden.

Für Diabetespatienten mit erhöhtem Hypoglykämierisiko ist eine Blutglukosemessung vor Fahrtbeginn zu empfehlen. Bei Werten von 50–80 mg/dl sollten vor Fahrtantritt geeignete Mengen Kohlenhydrate aufgenommen werden. Im Falle einer Hypoglykämie ist von einer Fahrt abzuraten bzw. ein Fahrtstopp geboten, bis normale Blutglukosewerte erreicht werden und alle Symptome überwunden sind. Ein Blutzuckermessgerät und Snacks sollten im Fahrzeug immer griffbereit mitgeführt werden.

Schwere akute Stoffwechsel­entgleisungen und chronische Hyperglykämien

Es ist zwar kein Schwellenwert einer Hyperglykämie auszumachen, der zu einer Fahrunfähigkeit führt. Jedoch sollte jeder Diabetespatient über das Hyperglykämierisiko der Diabetestherapie und die Folgen für die Fahrsicherheit informiert werden. Schwere Stoffwechselentgleisungen (diabetische Ketoazidose) können zu Benommenheit und Bewusstseinsstörungen führen und so das Fahren einschränken beziehungsweise unmöglich machen. Findet eine schnelle Senkung längerfristig erhöhter Blutglukosewerte statt (z.B. durch Insulin), kann die Sehkraft vermindert sein und verschwommenes Sehen auftreten, wodurch die Fahrsicherheit vermindert wird.

Diabetische Folgeerkrankungen

Diabetespatienten mit verminderter Sehkraft aufgrund einer Retino­pathie oder einer Makulopathie können eine eingeschränkte Fahrtauglichkeit besitzen. Bei fortgeschrittener Erkrankung sollten nur Patienten mit ausreichender Sehfähigkeit nach Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) ein Fahrzeug führen. Periphere Polyneuropathien können die Benutzung der Pedale beeinträchtigen.

Werden klinisch relevante Funktionseinschränkungen festgestellt, muss dem Patienten bis auf Weiteres ein „ärztliches Fahrverbot“ ausgesprochen werden. Dieses Verbot wird auch nach Amputationen und Prothesenversorgungen nötig, falls dadurch die Pedalbenutzung beeinträchtigt ist. Außerdem müssen andere schwere neurologische Folgekomplikationen abgeklärt werden, um die Fahrsicherheit zu bestimmen.

Technische Hilfen wie beispielsweise die Umrüstung des Fahrzeugs können bei Bedarf herangezogen und gegebenenfalls von Sozialleistungsträgern finanziell unterstützt werden.

Relevante diabetesassoziierte Begleiterkrankungen

Diabetiker leiden häufiger und früher an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Einfluss auf die Fahrsicherheit haben. Dazu sollten die Betroffenen beraten werden. Hierzu können die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung im Anhang der Leitlinie genutzt werden. Patienten mit Diabetes und Depression können durch die Depression selbst oder durch Psychopharmaka nur eingeschränkt fahrtauglich sein. Jeder Patient sollte individuell beurteilt werden. Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer weisen offenbar keinen negativen Effekt hinsichtlich der Fahrsicherheit auf und sollten deshalb trizyklischen Antidepressiva vorgezogen werden. Der Patient ist immer über mögliche beeinträchtigende Nebenwirkungen aufzuklären.

Das Schlaf-Apnoe-Syndrom führt durch die auffällige Tagesschläfrigkeit unbehandelt zur Fahruntauglichkeit.

Tritt eine komorbide Demenz auf, sollten die Patienten über Einschränkungen der Fahrsicherheit aufgeklärt werden.

Bei der Diagnose ist dem Patienten zu vermitteln, dass er im Verlauf der Erkrankung die Fahrtauglichkeit verlieren kann. Für die Beurteilung ist nicht nur die Ana­m­nese des Patienten erforderlich, sondern auch eine Fremdanamnese der Angehörigen. 

Aufklärung sorgfältig dokumentieren!

Form der Aufklärung: Laut § 630e BGB muss die Aufklärung mündlich erfolgen. Ergänzend kann der Patient Unterlagen in Textform erhalten. Es muss sichergestellt sein, dass die Aufklärung für den Patienten verständlich ist. Falls erforderlich, sollte ein Dolmetscher hinzugezogen werden. Dokumentation: § 630f BGB verpflichtet den Arzt zur ordnungsgemäßen Dokumentation. Der wesentliche Inhalt des Gesprächs und die ausgesprochenen Empfehlungen und Bewertungen müssen wiederzufinden sein. Die Aufklärung über ein Fahrverbot soll zweifelsfrei aus den Unterlagen hervorgehen und bestenfalls Ort, Datum, Uhrzeit, Gesprächsdauer und anwesende Personen beinhalten. Es ist vorteilhaft, den Patienten unterschreiben zu lassen, jedoch ist er dazu nicht verpflichtet. Folgen unterlassener bzw. unzureichender Aufklärung: Wird der Patient nicht ausreichend aufgeklärt, liegt hierin meist ein Behandlungsfehler in Form verletzter Sicherheitsaufklärung. Kommt es infolgedessen zu einem Unfall, können dem Arzt rechtliche Konsequenzen drohen. Umgekehrt ist dieser nicht dafür verantwortlich, wenn der Patient seinen Ratschlägen nicht folgt.

Vor dem Führerscheinerwerb

Jugendliche Diabetespatienten und ihre Eltern sollen schon früh auf Auswirkungen der Erkrankung auf die Fahrsicherheit aufmerksam gemacht werden. Es empfiehlt sich, das Risiko zusammen mit den Betroffenen individuell zu bewerten und zu dokumentieren. Die Stoffwechseleinstellung sollte vor Führerscheinerwerb optimiert werden. Fahrlehrer und Begleitpersonen beim Fahren ab 17 Jahre sind über die Erkrankung und eventuelle Folgen für die Fahrsicherheit aufzuklären. Alle Beteiligten sollten Symptome einer Hypoglykämie erkennen und behandeln können.

Quelle: S2k-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter“, 2. Auflage; AWMF-Register-Nr. 057-017, awmf.org