Oxford-Debatte Ist die adaptive Strahlentherapie schon klinischer Standard? Jein.

DEGRO 2025 Autor: Dr. Claudia Schöllmann

Die Anpassung des Bestrahlungsschemas kann sowohl zwischen Terminen als auch während der Behandlung erfolgen. Die Anpassung des Bestrahlungsschemas kann sowohl zwischen Terminen als auch während der Behandlung erfolgen. © Mark Kostich - stock.adobe.com

Bei der adaptiven RT passen Ärzt:innen den Plan an, um Veränderungen des Tumors und der Anatomie zu berücksichtigen. Damit soll das Malignom bestmöglich geschädigt und gesundes Gewebe geschont werden. Aber ist sie schon klinischer Standard?

Unterschieden wird bei der adap­tiven Radiotherapie (ART) zwischen der Offline-ART, bei der der Plan zwischen den Behandlungssitzungen neu berechnet wird, und hochmoderner Online-ART, bei der die Bestrahlung mit hohem technischem Aufwand (Hybrid-Linearbeschleuniger mit integrierter CT, MRT, PET) während der Sitzung optimiert wird. In einer Oxford-Debatte bei der ­DEGRO-Jahrestagung diskutierten Strahlentherapeut:innen darüber, ob die ART bereits den klinischen Standard darstellt. Die Veranstaltenden hatten allerdings nicht spezifiziert, ob mit dem Begriff ausschließlich die Online-ART gemeint war. Entsprechend unterschiedlich verliefen die Pro- und Contra-Vorträge.

Pro-Referent Prof. Dr. Daniel Zips, Charité – Universitätsmedizin Berlin, verstand den Ausdruck ART allgemein und vertrat die Meinung, dass das Verfahren längst klinischer Standard sei. Er erörterte: „Die Anpassung des ursprünglichen Bestrahlungsplans bei Änderung der Position und Geometrie zur sicheren Applikation der verschriebenen Dosis im Zielvolumen und/oder Schonung der Normalgewebe ist in Einklang mit unserem Anspruch zur Sorgfalt und Qualität in der Radioonkologie und damit klinischer Standard“. 

Anders sah das Contra-Referentin Prof. Dr. Juliane Hörner-Rieber vom Universitätsklinikum Düsseldorf. Zwar deuteten die sprunghaft steigenden Publikationen zu dieser Thematik an, dass sich mit der ART „der nächste Gamechanger in der Radioonkologie“ anbahne, die klinische Realität stehe dem aber entgegen. Aktuell erhielten weniger als 25 % der Erkrankten eine Offline- und nicht einmal 10 % eine Online-ART. Es gebe einen Mangelzustand in mehreren Bereichen, der dem Aufstieg der Online-ART zum klinischen Goldstandard entgegenstehe. Neben einem Defizit an solider klinischer Evidenz nannte die Klinikleiterin eine fehlende Vergütungsstruktur, die dem hohen Aufwand Rechnung trage, einen Mangel an verfügbarer Technologie und ausgebildetem Fachpersonal, eine fehlende Standardisierung und Aufnahme in Leitlinien, nicht ausreichend automatisierte Arbeitsabläufe und nicht zuletzt eine fehlende Dateninfrastruktur.

Die Pro-Sekundantin Prof. Dr. ­Stefanie Corradini, LMU Klinikum München, betonte, dass die Offline-ART in Deutschland längst den klinischen Standard darstelle. Bei der Online-ART könne man dann von Standard sprechen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt seien. Erstens hält sie die Patient:innenselektion für entscheidend. „Indikation, Dosis und Technik müssen den Einsatz begründen. Technik allein reicht nicht,“ so die Expertin. Zweitens dürfe man „­adaptiv“ nicht automatisch mit „besser“ gleichsetzen. Dies gelte vor allem dann, wenn das Verfahren nur als bildgesteuerte Bestrahlung (IGRT) ohne konzeptionelle Anpassung (etwa Margin-Reduktion in Studien) genutzt werde. Drittens müsse die Online-ART gezielt eingesetzt werden. Prof. Corradini mahnte: „Echte Vorteile entstehen nur bei klarer Indikation und konkreter Plan-Optimierung“. Eine gezielte Anwendung, etwa beim Pankreaskarzinom, könne onkologische Eckpunkte verbessern und Toxizitäten reduzieren. Unter diesen Voraussetzungen sei die Online-ART technisch etabliert und praxistauglich, wissenschaftlich fundiert und „ein zentraler Baustein moderner Strahlentherapie“.

Contra-Sekundant Dr. Fabian Weykamp, Universitätsklinikum Heidelberg, erinnerte daran, dass die in seiner Klinik angewendete Online-ART mittels MR-Linac und ETHOS anderen Verfahren zwar dosimetrisch überlegen sei und sich exzellent für kritisch gelegene Zielvolumina eigne. Sie gestalte sich aber (auch zeitlich) zu aufwendig, um klinischer Standard zu werden. Da die technische Entwicklung oft Phase-3-Studien überhole, sieht der Kollege der Online-ART als zukünftigem klinischem Standard dennoch zuversichtlich entgegen. Er appellierte dafür, bereits heute die Fortbildungen/rechtlichen Rahmenbedingungen für Medizinische Technolog:innen für Radiologie zu schaffen. „Lasst uns nicht warten, bis wir das Rad neu erfunden haben,“ so der Experte. 

Quelle: 

Zips D, Hörner-Rieber J, Corradini S, Weykamp F. 31. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie; Oxford Symposium 2: „Adaptive Strahlentherapie: Ist das klinischer Standard?“