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Palliativmediziner möglichst früh in die Krebstherapie integrieren

Autor: Manuela Arand

Die enge Zusammenarbeit eines kompetenten Teams ist das Wichtigste. Die enge Zusammenarbeit eines kompetenten Teams ist das Wichtigste. © iStock/smartboy10
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Dass Krebskranke heute sogar in fortgeschrittenen Stadien immer länger leben, stellt Palliativmediziner vor neue Aufgaben. Wesentlich ist, dass sie bereits ab der Diagnose ihre Hilfe anbieten.

Die Lebensqualität von Krebs­patienten steigt durch den Einsatz von Palliativteams nachweislich, unnötige aggressive Maßnahmen lassen sich durch sie vermeiden. Die Evidenz für die frühzeitige palliativmedizinische Versorgung ist so überzeugend, dass sie 2018 ein eigenes Kapitel in der S3-Leitlinie zum Lungenkarzinom bekommen hat.

Darin wird auf Klasse-A-Niveau empfohlen, Menschen mit nicht-heilbarem Lungenkrebs schon innerhalb der ersten zwei Monate nach Dia­gnosestellung Palliativberatung und -versorgung zukommen zu lassen. Dr. Wiebke­ Nehls­, Helios Klinikum Emil von Behring, Berlin, betrachtet diese Leitlinie als einen „Leuchtturm in der Onkologie“. Es sei schließlich nicht immer gelungen, die frühzeitige Palliativversorgung so in Leitlinien zu platzieren. 

Was heute machbar ist: ein Fallbeispiel

Noch vor zehn Jahren hätte die 47-Jährige mit einem nicht-kleinzelligen Adenokarzinom der Lunge im Stadium IVB und Wirbelsäulenmetastasen wohl nur wenige Monate überlebt. Doch die Tumorbiologie der Frau ergab im Februar 2017 eine EML4-ALK-Mutation, was die Möglichkeit zur molekular zielgerichteten Therapie eröffnete. Der Palliativdienst war bei dieser Patientin von Anfang an eingebunden, auch weil sie starke Schmerzen und große Ängste zeigte, berichtete Dr. Nehls. Gemeinsam mit den Onkologen ist es gelungen, die Frau über mehrere Jahre durch die Erkrankung, wechselnde Mutationen und diverse tumorspezifische Therapielinien zu führen. Die Toxizität der Behandlung sowie die Komorbiditäten sind über die Zeit gestiegen. Zuletzt nahmen Schmerzen, Luftnot und Schwäche deutlich zu, sodass der Palliativdienst die supportive Medikation intensivierte. In Absprache mit der Patientin selbst und ihrer Familie wurde „eine Eskalation der Therapie mit Reanimation und invasiver Beatmung“ nicht empfohlen. Als Dr. Nehls ihren Vortrag hielt, war die Patientin trotz Progress noch am Leben.

Betroffene anfangs oft irritiert

Bei der palliativmedizinischen Erstberatung, an der zumindest Arzt und Pflegedienst, häufig auch Sozialdienst und Psychologe teilnehmen, werden Symptomlast und individuelle Ressourcen ermittelt und je nach Bedarf Therapien und Begleitmaßnahmen eingeleitet. „Am Anfang erleben wir oft eine gewisse Irritation, warum jetzt schon ein Palliativdienst kommt“, erzählte Dr. ­Nehls. „Aber mit guter Kommunikation, in der wir uns als zuverlässige Gesprächspartner anbieten, lässt sich die Sorge entkräften.“ Denn Palliativmedizin kommt nicht erst dann zum Zug, wenn die Prognose schlecht und die onkologische Therapie am Ende ihrer Möglichkeiten steht, sondern wenn der Patient Support braucht. Ängste vor Krankheits- und Therapiefolgen können gemindert bzw. genommen werden, wenn der Patient weiß, dass ihm ein kompetentes Team zur Seite steht, betonte die Referentin. Wie sinnvoll der frühe Kontakt ist, zeigt eine Auswertung von 27 Patienten des Helios-Teams: Im Median litten diese bereits bei der Erstdiagnose unter sechs Beschwerden – etwa Schmerzen, Schwäche und Müdigkeit, Appetitlosigkeit oder Luftnot – die sie moderat bis schwer belasteten. Bei allen wurden konkrete Maßnahmen eingeleitet, die von Symptomkontrolle und Pharmakotherapie bis hin zur Vermittlung psychoonkologischer Betreuung reichten. Die molekularen und Immuntherapien verändern die „Krebslandschaft“ und wirken sich auch auf die Palliativmedizin aus. Zwar haben sich die Prognosen der Patienten durch die neuen Optionen wesentlich gebessert, sie lassen sich aber schwerer vorhersagen. Außerdem profitieren Erkrankte, die in Chemotherapiezeiten als nicht behandlungsfähig galten, vielleicht doch von den neuen Therapien, zumal sie in der Regel besser verträglich sind. Die Gespräche mit den Patienten werden somit anspruchsvoller und zeitintensiver.

Kooperation, nicht Konkurrenz!

Palliativversorgung geht nach modernem Verständnis weit über eine reine Begleitung am Lebensende hinaus. Wie es unter anderem die International Association for Hospice and Palliative Care (IAHPC) formuliert hat, dient sie der aktiven und umfassenden Versorgung von Menschen jeden Alters mit gesundheitsbezogenem Leiden aufgrund einer schweren Erkrankung. Sie bezieht die Familien und pflegenden Angehörigen ein und beinhaltet Prävention, Früherkennung, Erfassen und Behandeln körperlicher Probleme einschließlich Schmerz und anderer belastender Symptome, psychologischem oder spirituellem Distress oder sozialen Bedürfnissen. Wichtig: Es geht um Kooperation der Fachrichtungen, nicht um Konkurrenz, wer den Patienten führen darf.

Individuelle Maßnahmen auf Bedürfnisse abstimmen

Dr. Nehls wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ein Unterschied besteht zwischen personalisierter Medizin, die auf Bedürfnisse und Therapieziele des einzelnen Patienten zugeschnitten sein sollte, und biologisch personalisierter Therapie, die sich an molekularen und anderen Biomarkern ausrichtet. Beide müssen Hand in Hand gehen, um Patienten trotz der schweren Erkrankung nicht nur eine gute Lebens-, sondern auch eine gute Sterbe­qualität zu gewährleisten.

Quelle: Nehls W. 61. Kongress der DGP (virtuell)