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Typ-2-Diabetes: Hausärzte identifizieren Risikopatienten

Autor: Cornelia Kolbeck

Welchen Effekt hätte die Implementierung eines Prädiabetes-Versorgungskonzepts auf die Prävalenz von Typ-2-Diabetes? Welchen Effekt hätte die Implementierung eines Prädiabetes-Versorgungskonzepts auf die Prävalenz von Typ-2-Diabetes? © iStock.com/simpson33
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Durch frühzeitiges Eingreifen könnten langfristig nicht nur Neuerkrankungen an Diabetes mellitus Typ 2, sondern auch viele Folgeschäden verhindert werden. So das Fazit des DAK-Versorgungsreports 2018.

Der Medizinbetrieb reagiert generell erst, wenn die Dia­gnose des Diabetes feststeht“, schreibt Andreas Storm, Vorsitzender des Vorstandes der DAK-Gesundheit, im Vorwort des aktuellen „Versorgungsreports Diabetes mellitus“ der Ersatzkasse. Bei einer rechtzeitigen Intervention ließe sich Typ-2-Diabetes sogar heilen. Dazu müssten aber die nötigen Werkzeuge vorhanden sein und auch eingesetzt werden. Das Berliner IGES Institut hat sich deshalb im Auftrag der DAK zwei Fragen gewidmet: Wann ist der beste Zeitpunkt für eine medizinische Intervention und wie müsste diese aussehen, um möglichst viele Menschen vor dieser Krankheit zu bewahren oder deren Verschlimmerung abzumildern?

Beim Check-up 35 lassen sich Risikopatienten identifizieren

Gegenstand der Untersuchung waren das „DAK-Versorgungskonzept Prädiabetes“ und die Frage, welche Auswirkungen die Implementierung eines solchen Konzepts für Versicherte mit Prädiabetes in Deutschland bis zum Jahr 2065 haben würde, wenn dieses bereits 2015 flächendeckend eingeführt worden wäre.

Die Briten machen es vor

In Großbritannien wird ohne Gegenmaßnahmen 2034 jeder zehnte Bürger an Diabetes Typ 2 erkrankt sein. 2016 wurde deshalb ein Diabetespräventionsprogramm gestartet, das sich an Personen ab 18 Jahren mit nicht-diabetischer Hyperglykämie richtet. Inhalt sind, über neun Monate verteilt, mindestens 13 Sitzungen pro Teilnehmer bei jeweils ein bis zwei Stunden Dauer. Themen wie Gewichtsabnahme, gesündere Ernährung, Sport und Verhaltensänderungen werden behandelt. 78 000 Teilnehmer gibt es mittlerweile.

Quelle: J. A. Stallworthy, Referent für Wirtschafts- und Sozialpolitik, Britische Botschaft Berlin

Ausgangspunkt der Analyse waren Behandlungsdaten für DAK-Versicherte im Alter zwischen 40 und 89 Jahren sowie epidemiologische Studien. Als Zielgrößen wurden die zu erwartenden Effekte auf die Prävalenz des Diabetes mellitus Typ 2, das Auftreten von diabetischen Komplikationen sowie Begleit- und Folgeerkrankungen und die diabetesbe- dingte Sterblichkeit analysiert. Wichtiger Zugangsweg für ein frühes Versorgungskonzept ist die Gesundheitsuntersuchung nach § 25 SGB V („Check-up 35“), erklärte IGES-Geschäftsführer Hans-Dieter Nolting. Das heißt: Hausärzte identifizieren im Rahmen eines „Screenings“ Versicherte mit erhöhten, aber unter der Schwelle zum Dia­betes liegenden Blutzuckerwerten, also mit „gering bis mäßig erhöhtem Risiko“ (Nüchternplasmaglukose, NPG 100–110 mg/dl oder NPG < 100 mg/dl plus Risikofaktoren) sowie Versicherte mit „stark erhöhtem Risiko“ für die Entwicklung eines Diabetes (NPG 110–125 md/dl). Zum Screening gehören:
  • NPG-Bestimmung
  • Klinische Untersuchung
  • Anamnese (u.a. kardiovaskuläre Vorerkrankungen, Risikofaktoren)
  • Risikoadaptierte ärztliche Beratung (u.a. zu Präventionsangeboten)

Versorgung nach zwei Modulen: Monitoring und Intervention

Versicherte der ersten Gruppe erhalten neben einer Beratung und einer erneuten Bestimmung des Blutzuckers im jährlichen Abstand zunächst keine weitere Intervention. Dies entspricht dem Modul „Monitoring“ des DAK-Versorgungskonzepts. Es wäre aus Sicht der Autoren jedoch zu prüfen, inwieweit die Zielgruppe durch zusätzliche Risiko­merkmale neben den erhöhten Blutzuckerwerten, wie z.B. Übergewicht/Adipositas oder Diabeteserkrankungen in der Familie, noch weiter eingegrenzt werden sollte.

BVND-Expertin sieht Hürden für ein Präventionsmodell

Strategien zur strukturierten Therapie von Adipositas und Prädiabetes scheitern in Deutschland schon daran, dass Adipositas im Sinne der Chroniker-Richtlinie nicht als chronische Erkrankung angesehen wird und Prädiabetes nicht einmal eine klare ICD-Codierung besitzt. Gezielte Präventionsprogramme für Hochrisikopatienten bzw. Prädiabetiker sind außerhalb von zeitlich befristeten Modellprojekten wie z.B. DIMINI nicht in die Regelversorgung implementiert. Krankenkassen erhalten über den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) auch lediglich Anreize zur frühzeitigen Diagnose und zum Upcoding von chronischen Erkrankungen, jedoch nicht zur Prävention. Europäisches Modell für ein flächendeckendes Präventionsprogramm auf der Ebene eines staatlichen Gesundheitssystems könnte das im britischen Na­tionalen Gesundheitsdienst implementierte Präventionsprojekt für Patienten mit Prädiabetes werden. Ein solches Präventionsmodell scheint im föderalen deutschen Gesundheitswesen mit zahlreichen Krankenkassen aufgrund der ambulanten Systematik des Morbi-RSA nicht umsetzbar, eher scheint es eine steuerfinanzierte gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu sein oder es bedarf diesbezüglich einer Reform des Morbi-RSA. Lösungsansätze sind da, nun muss der politische Wille zur Umsetzung folgen.

Antje Weichard, FÄ für Innere u. Allgemeinmedizin Diabetologin LÄKSA, BVND-Vorstandsmitglied

Der zweiten Gruppe wird die Teilnahme an einem Modul „Intervention“ unterbreitet. Dieses umfasst die ärztliche Beratung zum individuellen Diabetesrisiko, Möglichkeiten der Risikoreduktion sowie das Angebot der Teilnahme am Versorgungskonzept. Darüber hinaus erhält der Patient ein individuelles Coaching-Programm Lebensstilmodifikation mit folgenden Bausteinen:
  • Initialphase (1. bis 3. Monat): Arztgespräch; Coaching Ernährung/Bewegung (zwei Termine face-to-face, kontinuierlich online)
  • Intensivphase (4. bis 9. Monat): Coaching Ernährung/Bewegung (zwei Termine face-to-face, kontinuierlich online); Arztgespräch (6. Monat)
  • Erhaltungsphase (10. bis 18. Monat): Arztgespräch, Überprüfung Blutglukosewerte (12. Monat); Coaching (drei Termine face-to-face, 12., 15., 18. Monat)
Dieses Versorgungskonzept wird als „Variante A“ bezeichnet und von den Autoren empfohlen. „Variante B“ schließt die Gabe von Metformin ein, sofern Variante A nicht erfolgreich oder indiziert ist. Zu Variante B wird jedoch eine Erprobungsstudie empfohlen, um die zugrunde liegende Hypothese zu überprüfen, dass durch die Ergänzung um eine medikamentöse Komponente die Zahl der erreichten Versicherten mit hohem Risiko deutlich gesteigert werden könnte.

Durch die Früherkennung von Prädiabetes soll die Ausbreitung von Diabetes Typ 2 eingedämmt werden.

Einsparungen höher als Kosten des Interventionsprogramms

Mit Variante A ließe sich laut Report die Zahl der Erkrankungen an Dia­betes mellitus Typ 2 bis zum Jahr 2065 um 275 000 senken. Als Konsequenz würden zudem diabetische Komplikationen sowie Begleit- und Folgeerkrankungen des Diabetes abnehmen: 31 000 Niereninsuffizienzen könnten verhindert werden, 29 000 Fälle mit diabetischem Fuß, 15 000 diabetesbedingte Augenerkrankungen, 39 000 ischämische Herzerkrankungen und 11 000 Schlaganfälle. Ein weiterer Effekt wäre eine Verminderung der Personenzahl mit Adipositas um 307 000. Nolting bezifferte die jährlichen Kosten für ein Interventionsprogramm mit 200 Mio. Euro. Dem stünden erhebliche Einsparungen gegenüber. Alleine die Einsparungen durch 31 000 vermiedene diabetesbedingte Nierenerkrankungen würden diesen Betrag schon übersteigen. Das DAK-Versorgungskonzept wäre rasch in der Regelversorgung umsetzbar, zeigte sich DAK-Chef Storm überzeugt. Er setzt nun auf die Politik und die Verfolgung einer Nationalen Diabetesstrategie wie im Koalitionsvertrag verankert. Diese sei wichtig, um die Ausbreitung von Diabetes einzudämmen.

Quelle: Vorstellung des DAK- „Versorgungsreports Diabetes mellitus“, DAK im Dialog