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Cephalgie Unterschiedliche Schmerzentwicklung nach Hirninfarkt und Schädel-Hirn-Trauma

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Die Prävalenz posttraumatischer Kopfschmerzen liegt Literatur­recherchen zufolge nach leichtem Trauma deutlich höher als nach schwerem. Die Prävalenz posttraumatischer Kopfschmerzen liegt Literatur­recherchen zufolge nach leichtem Trauma deutlich höher als nach schwerem. © pixdesign123 – stock.adobe.com
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Kopfschmerzen nach Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma korrelieren nicht mit der Schwere der Ereignisse. Und während die einen eher chronifizieren, verschwinden die anderen meist von selbst wieder.

Die Schmerzentwicklung nach Hirninfarkten war Thema einer aktuellen multizen­trischen Studie. Erfragt wurden die Beschwerden 1–3 Tage nach dem Insult noch auf der Stroke Unit sowie 3–6 Monate später postalisch. 39 % der 808 Teilnehmer gaben in den ersten drei Tagen Kopfschmerzen an, berichtete PD Dr.  Torsten Kraya von der Klinik für Neurologie am Klinikum St. Georg in Leipzig. Die Beschwerden nahmen von Tag 1 bis Tag 3 deutlich ab, Frauen klagten insgesamt häufiger darüber. Neben dem weiblichen Geschlecht ließen sich ein Alter unter 60 Jahren, vorbestehende Kopfschmerzen und ein Infarkt im hinteren Stromgebiet als Risikofaktoren identifi­zieren.

2021 erschien zum gleichen Thema ein Review plus Metaanalyse über fünf Studien. Die gepoolte Prävalenz von Kopfschmerzen nach Schlaganfall lag insgesamt bei 14 %, in Europa bei 22 %.

Migräne und Schlaganfall gehen oft Hand in Hand 

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Verbindung zwischen Migräne und Schlaganfall. Generell tragen Migränepatienten ein etwa doppelt so großes Risiko für einen Hirninfarkt, unter einer Erkrankung mit Aura liegt es noch höher. Kommen begleitende Faktoren wie Rauchen oder Kontrazeptiva hinzu, steigt es weiter. Dr. Kraya empfahl daher, bei Patienten mit Aura, die über neu aufgetretene Kopfschmerzen klagen, ein MRT zu veranlassen, denn es könnte ein Hirninfarkt dahinterstecken. Außerdem sollten bei ihnen Risikofaktoren so weit wie möglich reduziert werden. 

Frauen und Patienten mit Infarzierungen im hinteren Stromgebiet trugen auch in dieser Auswertung ein größeres Risiko. In einer aktuelleren Arbeit aus dem Jahr 2022 litten 61 von 529 Patienten (11,5 %) drei Monate nach dem Ereignis noch an Kopfschmerzen, ein Drittel von ihnen entwickelte dazu einen Medi­kamentenübergebrauch. Kleinhirninfarkte, Schlafstörungen und weniger als acht Punkte in der National Institutes of Health Stroke Scale, also ein eher leichter Infarkt, steigerten die Gefahr. Letzteres erinnerte Dr. Kraya an die Assoziationen nach stattgehabtem Schädel-Hirn-Trauma: schwere Kopfschmerzen bei leichtem Trauma und umgekehrt.

In der Tat liegt die Prävalenz posttraumatischer Kopfschmerzen Literatur­recherchen zufolge nach leichtem Trauma deutlich höher als nach schwerem (75 % vs. 32 %). „Frei nach dem Motto: no brain, no pain“, meinte Prof. Dr. Mark ­Obermann von der Klinik für Neurologie am St. Ansgar Krankenhaus in Höxter. Man muss sich dabei aber oft fragen, ob der Schmerz neurobio­logisch oder psychologisch bedingt ist. Per definitionem muss er binnen sieben Tagen nach dem Unfall begonnen haben, chronisch wird er nach drei Monaten. Für die Entstehung spielen neben dem Trauma selbst diverse weitere Faktoren eine Rolle, z.B. vorbestehende Kopfschmerzerkrankungen, Ängste, Komorbiditäten, Rechtsstreitigkeiten oder die Genetik. 

Prädisponierende Faktoren für eine Chronifizierung

  • weibliches Geschlecht
  • Alter über 40 Jahre 
  • niedriger Bildungsgrad
  • niedriges Einkommen
  • Alkoholabusus
  • weiteres Schädel-Hirn-Trauma
  • primäre Kopfschmerzerkran­kungen
  • andere chronische Schmerz­erkrankungen
  • vorbestehende Depression
  • vorbestehende Angststörung
  • Medikamentenübergebrauch

Nervenfasern überdehnt, Mikroglia geschädigt

Die Pathophysiologie des Schmerzes ist bis heute nicht ganz klar. Es gibt Hinweise darauf, dass z.B. Scher- oder Überdehnungsverletzungen von Nervenfasern mit nachfolgender Schädigung von Axonen und Mikro­glia betei­ligt sind. Auch der Hirnmeta­bolismus wies in manchen Tests nach dem Unfall Veränderungen auf. „Wir wissen aber nicht, was Henne und was Ei ist. Vielleicht haben die Patienten vorher schon Faserverbindungsstörungen gehabt“, erklärte Prof. Obermann.

In eigenen morphometrischen Kernspinaufnahmen konnte er mit seinem Team Minderungen der grauen Substanz in Arealen entdecken, die für die Schmerzverarbeitung zuständig sind. Darunter fallen das anteriore Cingulum und der dorsolaterale frontale Kortex. Nach einem Jahr hatte sich das Gewebe aber wieder erholt. Funktionelle Untersuchungen zeigten, dass nach dem Trauma die Schmerzschwelle bei den Patienten sinkt, sie leiden an einer kortikalen Überregbarkeit. In einer Beobachtungsstudie fanden sich auch Zusammenhänge zwischen veränderten CGRP(Calcitonin Gene-Related Peptide)-Genen und der Belastung durch die posttraumatischen Schmerzen.

Die Art des Kopfschmerzes hängt mit dem bereits vorbestehenden Phänotyp zusammen: Migränepatienten entwickeln nach einem Trauma eher migräneartige Beschwerden, Personen mit Spannungskopfschmerz einen ebensolchen. Ein migräneartiger Schmerz nach einem Unfall neigt eher zur Chronifizierung.

Aus psychologischer Sicht gibt es mehrere Prädiktoren für eine Chronifizierung (siehe Kasten). Katastrophisieren, die Angst vor Bewegung und die Erwartungshaltung nehmen ebenfalls Einfluss. Die Patienten müssen deshalb ausführlich über die Gutartigkeit des Schmerzes und die gute Prognose aufgeklärt werden. Übertherapie und invasive Diagnostik schaden mehr als sie nützen, wie Studien zeigten.

Erkennt man allerdings schon früh eine starke Neigung zu ausgeprägter Angst oder Depression, ist es sinnvoll, sich rechtzeitig um eine kognitive Verhaltenstherapie zu kümmern. Diese hat sich als am wirksamsten erwiesen.

Kongressbericht: Schmerzkongress 2022