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Adipositas: So gelingt die Therapie

DGIM 2021 Autor: Dr. Dorothea Ranft

Adipöse Patienten sollten grundsätzlich multimodale Programme aus Bewegungs-, Ernährungs- und Verhaltenstherapie durchlaufen. Adipöse Patienten sollten grundsätzlich multimodale Programme aus Bewegungs-, Ernährungs- und Verhaltenstherapie durchlaufen. © SUPERMAO – stock.adobe.com
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Zugegeben, die Adipositastherapie gestaltet sich oft schwierig. Sie wird aber auch vielen Patienten, die davon profitieren könnten, gar nicht erst angeboten, kritisierte ein Ernährungsmediziner aus München. Umgekehrt werden manche „Superdicke“ vorschnell operiert.

In Deutschland sind zehn bis 20 Millionen Menschen adipös, das heißt, ihr BMI liegt bei mindestens 30 kg/m2. Mit Disziplinlosigkeit hat dieser Befund nichts zu tun, betonte Dr. Gert­ Bischoff­ vom Barmherzige-Brüder-Krankenhaus in München: Die Adipositas ist eine chronische Erkrankung und erfordert eine lebenslange Therapie. Deshalb sollte man sich schon vor Beginn der Behandlung überlegen, wie es langfristig weitergehen kann. Denn zeitlich begrenzte Interventionen bergen ein hohes Rückfallrisiko. 

Die aktuellen Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft sehen eine Therapieindikation für alle Patienten mit einem BMI ab 30. Denn jenseits dieser Grenze steigt die Mortalität deutlich an. Darauf, dass sich Begleiterkrankungen entwickeln, sollte man nicht warten. Eine Hypertonie würde man schließlich auch nicht erst behandeln, wenn es schon zum Schlaganfall gekommen ist, wie Dr. Bischoff verdeutlichte. Bei typischen Komorbiditäten wie Diabetes und Hochdruck, abdominaler Adipositas oder anderen Erkrankungen, die sich durch Übergewicht verschlimmern, ist eine Therapie bereits bei einem BMI ab 25 kg/m2 angezeigt.

Allen Menschen mit krankhaftem Übergewicht sollten multimodale Programme mit einer Kombination von Bewegungs-, Ernährungs- und Verhaltenstherapie angeboten werden. Dies ist jedoch bisher nur bei maximal 5 % der Patienten der Fall, kritisierte Dr. Bischoff. Mit Einzelmaßnahmen, etwa einer reinen Ernährungsintervention, nehmen die Patienten aber in einem halben Jahr lediglich 1–2 kg ab. Selbst die kombinierte Basistherapie (≥ 6 Monate) erzielt nur eine unbefriedigende Reduktion um 4–5 kg – zu wenig für einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung von Folgeerkrankungen. 

Besser sieht es aus, wenn das Basisprogramm mit einer initialen Formuladiät über maximal zwölf Wochen ergänzt wird. Dann verlieren stark adipöse Patienten im Schnitt etwa 25 kg – also rund 20 % eines Ausgangsgewichts von 125 kg, wie Dr. Bischoff zeigen konnte. Dieser Erfolg führte in seinem eigenen Kollektiv zu einer signifikanten Verbesserung von Lipidprofil, Blutdruck und HbA1c. In mehr als 70 % der Fälle kam es zu einer Remission des vorbekannten Diabetes. 

Wo die Grenzen der konservativen Therapie liegen, verdeutlichte Dr. Bischoff am Beispiel eines 39-jährigen Patienten. Der junge Mann hatte bereits einen BMI von 43 kg/m2, als er sich im Ernährungszentrum vorstellte – kein Einzelfall, sondern eher die Regel. Zusätzlich litt er an Hypertonie und Prädiabetes. Er hatte zwar diverse Diätversuche unternommen, aber nie eine strukturierte Adipositastherapie erhalten. In diesem Fall würde der Ernährungsmediziner zunächst eine multimodale Behandlung plus Formuladiät versuchen. 

Anders sieht die Lage aus, wenn ein Patient mit der gleichen Konstellation (Alter, Komorbidität) schon einen BMI von 47 kg/m2 aufweist und zwei strukturierte Therapien gescheitert sind: Der junge Mann nahm zwar gut ab, legte danach aber wieder zu, bis er seinen „Lebenshöchst-BMI“ erreichte. Dieser Patient ist ein Kandidat für die bariatrische Chirurgie. Wobei es dafür kein Entweder-oder gibt, wie der Ernährungsmediziner betonte. Für einen nachhaltigen Effekt benötigen auch operierte Patienten eine lebenslange konservative Therapie.

Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) hat die Indikationen für eine bariatrische Operation zusammengestellt. In Betracht kommt der Eingriff bei

  • BMI > 35 kg/m2 und Folgeerkrankungen,
  • BMI > 40 kg/m2, wenn eine strukturierte konservative Behandlung scheitert (zu geringe Gewichtsreduktion, Rezidiv),
  • BMI über 50 kg/m2 auch ohne Vortherapie.

Dr. Bischoff würde allerdings bei einem motivierten jüngeren Patienten mit einem BMI von 53 aber ohne Folgeschäden zunächst der konservativen Therapie eine Chance geben. Bei Älteren mit ausgeprägter Komorbidität kann die primäre Operation hingegen sinnvoll sein. 

Derzeit wird hierzulande am häufigsten die Schlauchmagen-Operation eingesetzt, je nach Konstellation ist auch ein Roux-en-Y-Bypass möglich, Magenbänder werden nur noch selten implantiert. Alle drei Verfahren führen innerhalb der ersten zwei Jahre zu einer ausgeprägten Gewichtsabnahme. Langfristig nachbetreute Patienten mit guter Compliance können ihr Gewicht weiter reduzieren. Viele andere legen in den Folgejahren wieder deutlich zu – sogar mit einem Roux-en-Y-Bypass. Angesichts dieser Ergebnisse wird deutlich, dass die chirurgische Intervention nur ein Baustein der Therapie ist. Auch die operierten Patienten bedürfen einer langfristigen (lebenslangen) Nachsorge. Wegen der postoperativ erhöhten Suizidalität wird eine Mitbetreuung durch Psychologen empfohlen. 

Abschließend betonte Dr. Bischoff die zentrale Rolle des Hausarztes in der Therapie und Prävention der Adipositas. Die Behandlung Übergewichtiger ist schon aufgrund der Vielzahl der Patienten keineswegs allein durch Ernährungsmediziner zu stemmen. Außerdem dürften in Zukunft Medikamenten (z.B. GLP1-Rezeptor-Agonisten) und Online-Angeboten (Nachsorge) eine größere Bedeutung zukommen.

Kongressbericht: 127. Kongress der Deutschen ­Gesellschaft für Innere Medizin (Online-Veranstaltung)