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Antibiotika: Fünf Kritikpunkte rund um den Einsatz des Keimkillers

DGIM 2021 Autor: Dr. Angelika Bischoff

Zu oft wird die Antibiose ohne Anlass angeordnet oder zu lange fortgeführt. Zu oft wird die Antibiose ohne Anlass angeordnet oder zu lange fortgeführt. © iStock/bfk92
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Nach wie vor gehören Antibiotika zu den Substanzen, die oft ohne adäquate Diagnostik oder Indikation und/oder zu lange eingesetzt werden. Ihr Risiko übersteigt dann eindeutig ihren Nutzen. Beim Internistenkongress benannte eine Infektiologin fünf Kritikpunkte im Umgang mit diesen Medikamenten.

Kritikpunkt 1: Auf die Überdiagnostik folgt die Über­therapie 

Der Arzt identifiziert einen Erreger und betrachtet ihn als ursächlich für die Symptome seines Patienten. Folglich versucht er, ihn zu eliminieren. Dass dies nicht in jedem Fall sinnvoll ist, zeigt sich u.a. an den serologischen Borreliose-Tests. Sie werden viel zu häufig durchgeführt und enden in oft unnötigen Antibiotikatherapien, kritisierte Dr. Katja de With von der Klinischen Infektiologie am Universitätsklinikum Dresden. 

Noch schlimmer sei es, wenn die kausale Rolle eines Erregers bei einem Krankheitsgeschehen nur vermutet, aber sogleich das Antibiotikum ausgepackt werde. Als Beispiel für ein solches Vorgehen führte die Kollegin eine doppelblinde randomisierte kontrollierte Studie aus Norwegen an. Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, einem Bandscheibenvorfall in der jüngeren Anamnese und MRT-Veränderungen der Wirbelsäule erhielten für drei Monate 3x 750 mg Amoxicillin oder Placebo. Der Score im Roland Morris Disability Questionnaire besserte sich im Verlauf von drei bzw. zwölf Monaten in beiden Gruppen allerdings nur in ähnlichem Ausmaß. 

Hinter dem Therapiekonzept stand die Hypothese, dass nach dem Bandscheibenvorfall eine hämatogen verursachte Low-Grade-Infektion mit Cutibacterium acnes die MRT-Veränderungen und die Beschwerden verursacht haben könnte. Eine Hypothese reicht aber keineswegs aus, um eine solche Behandlung durchzuführen – auch nicht in einer Studie, betonte Dr. de With.

Kritikpunkt 2: Diagnostische Lücken sind an der Tagesordnung

Eine multizentrische Qualitätsindikatorenstudie in deutschen Krankenhäusern zeigte, dass man dort die mikrobiologische Diagnostik zu wenig nutzt. Nur gut 60 % der Harnwegsinfektionen wurden durch eine positive Blutkultur bestätigt. Bei Patienten mit nosokomialer Pneumonie legte man vor dem Therapiestart mit Antibiotika nur in einem Drittel der Fälle je zwei aerobe und anaerobe Blutkulturen an. Handelte es sich um ambulant  erworbene Pneumonien, fiel die Rate noch geringer aus. Dieses Vorgehen steht der starken Empfehlung in den Leitlinien entgegen, betonte Dr. de With. Die Blutkulturen seien wichtig, da ihr Ergebnis ggf. auch dazu führe, eine Therapie zu deeskalieren.

Kritikpunkt 3: Antibiotika werden oft unkritisch eingesetzt 

Eine US-amerikanische Untersuchung aus den Jahren 2010 und 2011 ergab, dass 12,6 % aller Antibiotikaverordnungen bei gut 180 000 ambulanten Patienten mit Sinusitis, Otitis media oder Pharyngitis erfolgten. Indiziert war die Verordnung der Keimkiller jedoch in weniger als der Hälfte der Fälle. 

Dass sich die Häufigkeit der nicht-indizierten Antibiotikagaben durch Antibiotic Stewardship, also einem Konzept zum verantwortungsvollen, zielgerichteten Einsatz dieser Substanzen, vermindern lässt, hat ebenfalls eine Studie aus den USA gezeigt. Die teilnehmenden Ärzte erhielten u.a. Informationen über Therapiealternativen, sie wurden aufgefordert, den Einsatz von Antibiotika zu begründen und bekamen gesagt, wie „Top Performer“ in einer bestimmten Situation behandelt haben. Der letzte Punkt hatte in der Studie den größten Einfluss, berichtete Dr. de Wirth.  Der nicht-indizierte Antibiotikaeinsatz nahm von etwa 20  % auf knapp 4 % signifikant ab, während sich in der Kontrollgruppe wenig tat. 

Kritikpunkt 4: Patienten erhalten häufig zu lange Antibiotika

Auch indizierte Antibiosen werden häufig zu lange durchgeführt. Mittlerweile gibt es sehr viele Studien, die kürzere mit längeren Therapien verglichen, u.a. bei Pneumonie, Pyelonephritis, abdominellen Infektionen und sogar gramnegativer Bakteriämie. Die kürzeren Behandlungen erwiesen sich durchweg als nicht-unterlegen, erklärte Dr. de With. 

In der S3-Leitlinie zur nosokomialen Pneumonie wird eine starke Empfehlung mit Evidenzgrad A ausgesprochen, nicht länger als zehn Tage antibiotisch zu behandeln. Mit dem gleichem Empfehlungs- und Evidenzgrad raten die Autoren der S3-Leitlinie zur ambulant erworbenen Pneumonie, maximal sieben Tage lang mit Antibiotika zu therapieren. In der oben erwähnten Qualitätsindikatorenstudie hielten sich die Klinikärzte aber nur in knapp zwei Drittel bzw. 40 % der Fälle daran. 

Kritikpunkt 5: Toxizitäten ­werden nicht ausreichend beachtet 

Manchmal werden die Nebenwirkungen von Antibiotika nicht ausreichend beachtet. Das gilt besonders bei Fluorochinolonen, obwohl deren kardiale (QT-Zeitverlängerung), zentralnervöse und neuropsychiatrische (Agitiertheit, Unruhe) Negativwirkungen gut dokumentiert sind. Auch über periphere Neuropathie, Gangstörungen, anhaltende psychiatrische Störungen und Aortendissektion bzw.- aneurysma wurde in jüngerer Zeit berichtet. 

Der Anteil der Fluorochinolone am Gesamtverbrauch systemischer Antibiotika in Deutschland hat zwar in den letzten Jahren etwas abgenommen, ist aber vor dem Hintergrund der relevanten Toxizität immer noch viel zu hoch, insbesondere bei älteren Menschen, bemängelte Dr. de With. Metaanalysen haben auch gezeigt, dass mit der Häufigkeit des Einsatzes von Fluorochinolonen und Cephalosporinen die Inzidenz von Clostridioides-difficile-Infektionen zunimmt. Deren Inzidenz lässt sich halbieren, wenn man die Verschreibung von Fluorochinolonen und Cephalosporinen begrenzt.

Kongressbericht: 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (Online-Veranstaltung)