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Alzheimer, Parkinson, Schlaganfall Corona bringt das Hirn in Gefahr

Autor: Manuela Arand

COVID-19 erhöht offenbar das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen. COVID-19 erhöht offenbar das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen. © Mohammed Haneefa Nizamudeen/gettyimages
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Patienten mit COVID-19 haben ein deutlich erhöhtes Risiko, im Jahr nach der Diagnose neurodegenerative und zerebrovaskuläre Erkrankungen zu entwickeln. Zum Teil liegt es höher als nach Influenza oder Pneumonie.

Schon früh in der Pandemie fiel auf, dass mehr als 80 % aller hospitalisierten COVID-19-Patienten mit neurologischen Problemen kämpfen. Forscher um Dr. Pardis Zarifkar, Universität Kopenhagen, haben daher in einer großen Kohortenstudie untersucht, was an neurologischen Residuen nach einer SARS-CoV-2-Infektion zurückbleibt, ob neurodegenerative Erkrankungen häufiger werden und inwieweit COVID-19 sich in diesen Punkten von Influenza und ambulant erworbener Pneumonie (CAP) unterscheidet. 

„Zusammenhänge vor allem zwischen Virusinfektionen und neurologischen Erkrankungen sind kein neues Phänomen“, so Dr. Zarifkar. Man denke nur an den Anstieg von Parkinsonfällen nach der letzten Influenzapandemie oder die kürzlich gezeigte Korrelation zwischen EBV-Infektion und Multipler Sklerose. Für ihre Studie zu Inzidenz und relativen Risiken verschiedener neurodegenerativer, zerebrovaskulärer und immunvermittelter Entitäten innerhalb eines Jahres nach positivem Test haben sie und ihre Kollegen Daten aus den elektronischen Akten von Patienten ab 18 Jahren analysiert. 

Daten von mehr als einer Million Menschen analysiert

Diese waren zwischen Februar 2020 (zu Beginn der ersten Welle) und November 2021 (unmittelbar vor dem ersten Omikronnachweis in Dänemark) im Krankenhaus auf SARS-CoV-2 getestet worden. Als Vergleichsgruppe dienten Patienten, die im Jahr zuvor, also zwischen Februar 2018 und November 2019, an Influenza oder CAP erkrankt waren. 

Schlussendlich kamen Daten von mehr als einer Million Menschen zusammen: rund 875.000 mit negativen Testergebnissen, knapp 44.000 mit positivem Coronatest, rund 8.000 mit positiver Influenza-PCR und fast 1.500 mit CAP ohne Corona in der Anamnese. Wie Dr. Zarifka berichtete, kamen sie nach Adjustierung für diverse Einflussfaktoren zu folgenden Ergebnissen: 

Bei Patienten mit COVID-19 traten Alzheimer- sowie Parkinsonerkrankungen 3,5- bzw. 2,5-mal häufiger auf als bei denjenigen ohne SARS-CoV-2-Infektion, aber nicht öfter als nach Influenza oder CAP. Wichtig: Die Forscher hatten Patienten, die ihre Alzheimer- oder Parkinsondiagnose in den ersten drei Monaten nach der Hospitalisierung erhalten hatten, ausgeschlossen, weil eine Infektion eine vorbestehende neurodegenerative Erkrankung aggravieren und demaskieren kann.

„Wir haben einige Hypothesen, warum COVID-19 das Risiko neurodegenerativer Probleme erhöht“, so Dr. Zarifkar. Zum einen könnte die mit der Infektion einhergehende Neuroinflammation die Entstehung von pathologischem Beta-Amyloid und Alpha-Synuclein fördern. Dazu passt, dass andere Arbeitsgruppen in Hirnautopsien verstorbener junger COVID-19-Patienten unerwartet große Mengen dieser Peptide gefunden haben. Zum anderen haben womöglich Angst, Depression und Fatigue nach COVID-19 den Ausbruch von Alzheimer und Parkinson begünstigt. Nicht zuletzt könnten starke wissenschaftliche Aufmerksamkeit und Diagnostik die Entdeckung der Erkrankungen beschleunigt haben.

Ischämische Schlaganfälle waren bei COVID-19-Patienten in den ersten Monaten nach der Diagnose zwei bis dreifach häufiger als bei solchen mit konstant negativem Coronatest. Im Vergleich zu Grippekranken lag die Rate um das 1,7-Fache höher. Eine um das 2,7-Fache gesteigerte Schlaganfallrate zeigte sich für Patienten über 80 Jahren im Vergleich zu CAP-Patienten. Das dürfte am ehesten auf die starke sys­temische Inflammation und Koagulationsneigung bei Coronainfektion zurückzuführen sein, vermutet Dr. Zarifkar. Intrazerebrale Blutungen wurden bei Coronapatienten sogar fast fünffach häufiger gemeldet als bei COVID-19-negativen Patienten. Ob ECMO und mechanische Beatmung dazu beitragen, bleibt zu klären.

Ob COVID-19 das Risiko für Autoimmunerkrankungen wie MS, Guillain-Barré-Syndrom, Myasthenia gravis und Narkolepsie beeinflusst, lässt sich wegen der kleinen Fallzahlen und der relativ kurzen Beobachtungszeit von zwölf Monaten nicht sicher sagen. Falls ein Exzessrisiko besteht, dürfte es nicht dramatisch hoch sein. Speziell bei der MS dauert es Jahre, bis sich die Folgen der EBV-Infektion auf das Risiko zeigen, gab Dr. Zarifkar zu bedenken. 

Die Daten konnten aufgrund der Quelle, einer nationalen Gesundheitsdatenbank, nicht daraufhin analysiert werden, ob und wie die beobachteten Risiken mit der Schwere der COVID-19-Erkrankungen korrelieren. Das werden künftige Studien nachholen müssen. Gleiches gilt im Hinblick auf die Klärung der zugrunde liegenden Mechanismen und die Frage, wie sich neurologische (Spät-)Folgen der Infektionskrankheit abwenden lassen. Hohe Impfraten dürften ein guter erster Schritt sein.

Kongressbericht: 8. Kongress der European Academy of Neurology