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Diagnose Klimawandel: Umweltbedingten Erkrankungen gegensteuern

DGIM 2021 Autor: Kathrin Strobel

Im Zuge des Klimawandels nehmen u. a. Allergien, Lungenerkrankungen und kardiovaskuläre Mortalität zu. Im Zuge des Klimawandels nehmen u. a. Allergien, Lungenerkrankungen und kardiovaskuläre Mortalität zu. © iStock/Scharfsinn86
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Der Klimawandel macht krank. Das belegen zahlreiche Studien. Es gibt zwei Strategien, damit umzugehen: das Ausmaß eindämmen und sich an die Veränderungen anpassen. Beides gestaltet sich nicht einfach.

Der Klimawandel wirkt auf die ganze Erde – und auf das ganze System Mensch, erklärte Professor Dr. Claudia­ Traidl-­Hoffmann­ von der Technischen Universität München. Eine wesentliche Bedeutung haben Umweltschadstoffe. Sie wirken auf zweifache Weise: Auf der einen Seite beeinflussen sie unser Wohlergehen direkt. Auf der anderen Seite befeuern sie den Klimawandel, was sich wiederum auf die Gesundheit niederschlägt. 

Im Hinblick auf Patienten sind drei Dinge wichtig, erklärte Professor Dr. Christian­ Witt von der Charité – Universitätsmedizin Berlin: 

  • das Ausmaß der Belastung
  • die individuelle Suszeptibilität
  • die adaptive Kapazität

„Letztere ist eben limitiert“, vor allem bei Menschen aus Regionen, die sich bislang durch ein gemäßigtes Klima auszeichneten. Inzwischen bilden sich in heißen Sommern in den Städten regelrechte Hitzeinseln. „Da kann man fast eine fünfte Jahreszeit sehen“, so der Pneumologe. Als direkte Folge schnellen die Todeszahlen nach oben. In Berlin hat es in den vergangenen Jahren in besonders heißen Sommern bis zu 2000 zusätzliche Tote gegeben, berichtete Prof. Witt. 

Studien zeigen, dass Temperaturerhöhungen dem Körper insgesamt schaden und, wie erwartet, die kardiovaskuläre Mortalität steigen lassen. Die höchsten Zahlen hinsichtlich des Sterberisikos finden sich aber in Bezug auf die Lunge. Dass die respiratorische Komponente eine so große Bedeutung hat, hätte er nicht erwartet, gab der Referent zu. In einer Studie zu Hitzestress fand er gemeinsam mit Kollegen heraus, dass die Anwendung inhalativer Beta-2-Mimetika zusätzlich zur Vulnerabilität der Patienten beitragen kann. Abmildern wiederum lassen sich die Negativwirkungen der Hitze effektiv durch klimatisierte Zimmer. Kranke, die in einem temperaturregulierten Raum untergebracht waren, konnten in einer Studie früher mobilisiert und eher entlassen werden als diejnigen in Standardzimmern. 

Es gilt: Wer sich schnell anpassen kann, hat gewonnen. Die, die nur langsam adaptieren oder die Umgewöhnung gar nicht schaffen, landen in den Praxen und Kliniken „und werden vielleicht unsere Patienten“, sagte Prof. Witt. 

Neben Hitze ist die Luftverschmutzung ein weiterer wichtiger Punkt. Und obwohl seit Jahrzehnten klar ist, dass u.a. Feinstaub einer der Hauptrisikofaktoren für Krankheiten ist, findet die Luftverschmutzung in den kardiologischen Leitlinien keine Erwähnung. „Als Kardiologe bin ich extrem enttäuscht“, sagte Professor Dr. Thomas­ Münzel­ von der Universitätsmedizin Mainz. Pro Jahr sterben in Europa etwa 790.000 Menschen mehr durch Luftverschmutzung und weltweit fordert sie mehr Todesopfer als das Rauchen, so der Experte. Noch ein aktuelles Beispiel: In Regionen mit vermehrter Feinstaubbelastung ist die COVID-19-Mortalität deutlich höher als in anderen Gegenden.

Krankmacher Lärm

Abseits des Klimawandels ist Lärm ein Faktor, der den Körper stark belastet, erinnerte Prof. Münzel. Nach Berechnungen der WHO verringert Verkehrslärm allein in Westeuropa die Zahl gesunder Lebensjahre um 1,6 Millionen jährlich. Dabei spielt vor allem die subjektive Belastung der Exponierten eine Rolle: Verkehrslärm führt zu Stress und Ärger – und das wiederum wirkt sich langfristig negativ auf den Körper aus. Vor allem am kardiovaskulären System sind Schäden wie Bluthochdruck, KHK und Schlaganfall zu erwarten. In einer eigenen Studie konnten Prof. Münzel und Kollegen belegen, dass bereits eine einzige Nacht unter Fluglärm genügt, um die Endothelfunktion durch Erhöhung von Stresshormonen wie Adrenalin zu beeinträchtigen. Die endotheliale Dysfunktion besserte sich durch die Gabe von Vitamin C. Im Mausmodell hat man festgestellt, dass Lärm zur Bildung freier Radikale führt – und zwar „sowohl in den Gefäßen als auch im Gehirn“, wie der Kardiologe unterstrich.

Einen indirekten Effekt des Klimawandels auf den Menschen kann man im Hinblick auf Allergien gut beobachten, erklärte Prof. Traidl-Hoffmann. Mindestens drei Faktoren haben daran Anteil: 
  1. Durch die wärmeren Temperaturen gibt es mehr Pollen.
  2. Die Pollen fliegen länger als früher: Die Saison dauert mitunter von Januar bis weit in den Herbst hinein.
  3. Es gibt neue allergieauslösende Pflanzen, allen voran Ambrosia.
„Wir haben es mit einer richtigen Allergieepidemie zu tun“, betonte die Umweltmedizinerin. Etwa 40 % der europäischen Bevölkerung leide bereits an Allergien, Tendenz steigend. „Es ist wie ein Tsunami.“ Apropos Unwetter: Auch das sogenannte Gewitterasthma dürfte künftig häufiger zu beobachten sein. Dabei wirken Pollenflug und Gewitter gemeinsam auf den Körper – und zwar sogar bei Menschen, die gar nicht unter Heuschnupfen leiden, betonte die Kollegin. Die genauen Mechanismen dahinter seien allerdings bislang nicht geklärt.  Es besteht auch ein Zusammenhang zwischen Pollen und SARS-CoV-2: Bei vermehrtem Flug verzeichnet man eine erhöhte Infektionsrate. Das konnte die Münchner Arbeitsgruppe zusammen mit einem internationalen Forscherteam in einer Korrelationsstudie zeigen. Bei gleichzeitigem Auftreten von Pollen und Viren hemmt der Blütenstaub die antivirale Antwort, das Virus kann sich stärker replizieren Eines muss in Bezug auf das Klima laut Prof. Traidl-Hoffmann jedem klar sein: „Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen.“ Natürlich könne man durch Maßnahmen, die den Klimawandel abmildern, Menschen schützen. Doch vor allem sei es wichtig, bei Ärzten und Patienten ein Bewusstsein zu schaffen für die Zusammenhänge zwischen Klima und Gesundheit. „Wir brauchen auf alle Fälle eine Klimasprechstunde, wir brauchen dieses Bewusstsein.“ Das unterstrich auch der in Hemmingen niedergelassene hausärztliche Internist Dr. Robin­ ­Maitra. Er rät dazu, eine Klima- oder Hitzesprechstunde anzubieten sowie besonders vulnerable Patienten zu identifizieren und gesondert zu beraten, z.B. im Hinblick auf ihre persönliche Klimagefährdung oder eine ggf. notwendige Anpassung der Medikation. Und er erinnerte daran, dass (hausärztliche) Internisten in ihrem Alltag erheblich zur Verbesserung des Klimas beitragen können – beispielsweise durch eine entsprechende Praxiseinrichtung. Der Klimawandel ist ein Problem, das alle betrifft, darin waren sich die Referenten einig. „Wir müssen enorm dagegen angehen“, forderte Prof. Witt. „Das bleibt, glaube ich, die Botschaft aller.“

Kongressbericht: 127. Kongress der Deutschen ­Gesellschaft für Innere Medizin (Online-Veranstaltung)