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Erste europäische Leitlinie zum Nebennierenkarzinom erschienen

Autor: Ulrike Viegener

Die Seltenheit des prognostisch ungünstigen Tumors macht einheitliche Richtlinien umso wichtiger. Die Seltenheit des prognostisch ungünstigen Tumors macht einheitliche Richtlinien umso wichtiger. © iStock/erhui1979
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Das Nebennierenkarzinom zählt zu den seltenen Tumorerkrankungen und ist äußerst aggressiv. Vor diesem Hintergrund war die jetzt erschienene erste europäische Leitlinie überfällig.

Jährlich werden etwa 0,7–2,0 neue Fälle eines Nebennierenkarzinoms pro eine Million Menschen diagnostiziert. Vor allem Erwachsene zwischen 40 und 60 Jahren erkranken an diesem bösartigen Tumor, dessen Prognose als schlecht bewertet wird. Auch nach kompletter Tumorresektion entwickeln 60–70 % der Patienten ein Rezidiv. Von der nach wie vor einzigen zugelassenen Pharmakotherapie mit Mitotan profitieren außerdem nur etwa 20–30 % der Betroffenen langfristig.

Die jetzt erschienene Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Endokrinologie zum Management des Nebennierenkarzinoms ist sehr pragmatisch darauf ausgerichtet, ein strukturiertes Vorgehen bei Dia­gnostik und Therapie zu fördern. Federführend beteiligt an der Entwicklung der Leitlinie waren Professor Dr. Martin Fassnacht und Kollegen vom Universitätsklinikum Würzburg, wo ein international renommiertes Zentrum zur Erforschung und Behandlung von Erkrankungen der Nebenniere angesiedelt ist.

Die Leitlinie versammelt laut den Autoren das aktuell zum Nebennierenkarzinom vorhandene Wissen, wobei die Evidenzbasis im Vergleich zu häufiger vorkommenden Tumor­erkrankungen allerdings deutlich schwächer ist.

Alle Fälle in multidisziplinärem Tumorboard besprechen

Am Anfang der Leitlinie steht die Empfehlung, dass jeder Patient mit vermutetem oder nachgewiesenem Nebennierenkarzinom in einem multidisziplinären Tumorboard mit entsprechender Expertise vorgestellt werden sollte, in dem Endokrinologie, Onkologie, Pathologie, Radiologie und Chirurgie vertreten sind.

Zur Routinediagnostik vor Therapiebeginn gehören in jedem Fall ein Thorax-CT sowie ein CT oder MRT des Abdomens mit Blick auf Lungen- und Lebermetastasen. Die Autoren betonen weiterhin die Bedeutung einer umfassenden hormonellen Diagnostik. Eine routinemäßige Biopsie der Nebenniere im Rahmen der diagnostischen Abklärung wird jedoch nicht empfohlen.

Anzustreben ist grundsätzlich eine komplette En-bloc-Resektion des Tumors, die nur von entsprechend erfahrenen Chirurgen vorgenommen werden sollte. Standard ist die offene Operation, allenfalls bei Tumoren unter 6 cm ohne Evidenz einer lokalen Invasion ist eine laparoskopische Adrenalektomie vertretbar. Gelingt es nicht, den Tumor komplett zu entfernen (R2-Resektion), ist in einem multidisziplinären Expertenteam die Option eines zweiten Eingriffs zu beraten. Bei Patienten mit Hypercortisolismus ist vor einem chirurgischen Eingriff eine Hydrocortison-Substitution angezeigt.

Engmaschige Nachbeobachtung von großer Bedeutung

Nach erfolgreicher Komplettresektion werden folgende Kontrollzyklen empfohlen:
  • zwei Jahre lang alle drei Monate
  • weitere drei Jahre alle drei bis sechs Monate
Trotz des geringen Risikos später auftretender Rezidive sprach sich die Mehrzahl der Leitlinienautoren dafür aus, die Kontrollen weitere fünf Jahre zum Beispiel einmal jährlich fortzusetzen. Bei jedem Kontrolltermin soll ein Restaging auf der Basis radiologischer Untersuchungen von Thorax, Abdomen und Pelvis vorgenommen werden, da sich ein Krankheitsprogress in aller Regel lokoregionär oder durch Metastasierung in Lunge und Leber manifestiert.

Im pathologischen Befund sollten mindestens folgende Parameter festgehalten werden:
  • Weiss-Score
  • Ki67-Index
  • Resektionsstatus
  • Tumorinvasion
  • Lymphknotenbefall
Postoperativ sollen alle Patienten mit hohem Rezidivrisiko (ENSAT-Stadium III oder R1-Resektion oder Ki67 > 10 %) eine adjuvante Mitotan-Therapie erhalten. Bei fortgeschrittenen, nicht komplett resezierbaren Tumoren kommen zudem lokale Therapien wie Strahlentherapie, Radiofrequenzablation oder Chemoembolisation zum Einsatz. Bei Patienten mit ausgeprägten Metastasen wird in Abhängigkeit von den Prognosefaktoren eine Mitotan-Monotherapie oder eine Kombination aus Mitotan, Etoposid, Doxorubicin und Cisplatin empfohlen. Im Falle eines Rezidivs, dem ein mindestens zwölfmonatiges krankheitsfreies Intervall vorausging, sollte – falls dies realistisch erscheint – eine komplette chirurgische Resektion bzw. Ablation angestrebt werden, raten die Experten.

Quelle: Fassnacht M et al. Eur J Endocrinol 2018; doi: 10.1530/EJE-18-0608