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Vorhofflimmern: Sind Wearables reif für Screening und Monitoring?

Autor: Manuela Arand

Ob Smartwatches tatsächlich das Outcome bei Vorhofflimmern verbessern können, ist noch nicht geklärt. Ob Smartwatches tatsächlich das Outcome bei Vorhofflimmern verbessern können, ist noch nicht geklärt. © iStock/exdez
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Ohne Smartphone und -watch lässt sich die aktualisierte europäische Leitlinie zum Vorhofflimmern kaum umsetzen. Doch sind Wearables wirklich schon so weit, vollumfänglich in Screening und Monitoring eingebunden zu werden?

Wearables kennt die Kardiologie schon seit 70 Jahren: Das erste tragbare EKG hat Norman Holter 1947 entwickelt, erinnerte Professor Dr. Alexander Leber vom ISAR Klinikum München. Zugegeben, es war groß wie ein Nachtschränkchen, wog 38 kg und musste huckepack getragen werden. „Aber es hat seinen Zweck erfüllt und erstmals ermöglicht, mobile EKGs über einen längeren Zeitraum aufzuzeichnen“, so der Kardiologe.

Heute funktioniert das eleganter mit einer Smartwatch am Handgelenk. Das Apple-Modell beispielsweise, seit 2018 auf dem Markt, kostet zwar rund 500 Euro, zeichnet aber ein vollwertiges EKG auf und besitzt europäische und US-Zulassungen als Medizinprodukt. Selbst Discounter bieten heute Aktivitätsarmbänder an, die ein Ein-Kanal-EKG schreiben und für unter 60 Euro zu kriegen sind, berichtete Prof. Leber. Die hohe Verbreitung, die Wearables mittlerweile gewonnen haben – 300 Millionen wanderten 2019 über die Ladentische –, sieht er als Chance. 

So gut wie andere Screenings

Zumal die diagnostische Genauigkeit beim Vorhofflimmern (VHF) exzellent ist: Die Sensitivität kann mit der von medizinischen Langzeitmessgeräten mithalten. Die 2020 aktualisierte Leitlinie der europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zum Vorhofflimmern führt die Geräte daher gleichberechtigt mit anderen Screeningmethoden auf.

„Das Problem bleibt die Rate falsch-positiver Ergebnisse, vor allem in Gruppen mit niedriger VHF-Prävalenz“, räumte Prof. Leber ein. Auch die ESC-Leitlinie führt nicht nur den potenziellen Nutzen auf, sondern würdigt ebenso Risiken wie die Verängstigung von Patienten und den inadäquaten Ansturm auf Ressourcen aufgrund falsch-positiver Befunde. Beides ließe sich aber mit intelligenten Plattformen, die eine Betreuung via Telemedizin als Alternative zu „Dr. Google“ ermöglichen, reduzieren, meinte Prof. Leber. 

Dass die Smartwatch falsch-positive Befunde liefert oder andere Abnormalitäten anzeigt, die zu möglicherweise überflüssigen invasiven Tests und Therapien mit potenziell schwerwiegenden Folgen veranlassen, sollte man nicht so einfach vom Tisch wischen, meinte Dr. Patrick Müller, Klinik für Rhythmologie am Universitätsklinikum Münster. Er machte die Rechnung auf: Wenn eine Million Gesunde mittleren Alters – Vorhofflimmer-Prävalenz etwa 0,5 %, also 5000 Patienten – an einem Screening mit einer Spezifität von 95 % teilnehmen, bekämen fast zehnmal so viele eine falsche Verdachtsdiagnose wie es Betroffene gibt.

Es bleiben außerdem noch viele offene Fragen, so Dr. Müller: Wer bezahlt für den Zusatzaufwand? Wer soll diese riesigen Datenmengen auswerten? Wie gut sind die Devices und Apps validiert? Wer übernimmt – auch juristisch – Verantwortung für die Qualität und wenn etwas schiefläuft? Und: Können solche Geräte das Outcome verbessern? 

Selbst-Monitoring nach Ablation erfolgreich

Tatsächlich fehlen Studien, ob und was Wearables zur Detektion von VHF und zur Prävention von Schlaganfällen beitragen können, räumte Prof. Leber ein. Immerhin zeigte eine Arbeitsgruppe, dass sich der Bedarf an ambulanten Diensten und Notaufnahmen mehr als halbieren lässt, wenn VHF-Patienten nach Pulmonalvenenisolation ihren Herzrhythmus mit dem Smartphone-EKG verfolgen, statt nur das konventionelle Monitoring beim Arzt zu absolvieren. Eine holländische Arbeitsgruppe nutzte die Grippeimpfung als Gelegenheit, Impflinge per EKG-Stick zu screenen. Sie errechnete, dass sich dadurch fast 800 Euro Gesundheitskosten sparen ließen.

Viele Kollegen können mit den Tools nicht umgehen

„Die neue Leitlinie mit dem ABC**-Schema zum VHF-Management schreit förmlich danach, dass wir Wearables nutzen“, meinte Prof. Leber. Der Aufwand, den die Leitlinie fordert, sei ohne technische Unterstützung und Apps gar nicht zu bewältigen. Am besten wäre es, wenn die Patienten mit Handy und Smartwatch auch gleich den digitalen Zugang zur 24-Stunden-Telekardiologie bekämen. 

Im Moment sind die meisten Kollegen nicht in der Lage, mit den neuen Tools umzugehen, betonte Dr. Müller und zitierte eine Umfrage unter rund 400 jungen Ärzten (Alter 32– 43 Jahre) zur Frage, ob sie Patienten oder Kollegen eines der gängigen Geräte empfehlen würden. Keines kam auf eine Zustimmungsrate von mehr als einem Drittel, viele bewegten sich im einstelligen Prozentbereich oder waren gänzlich unbekannt.

Kongressbericht: 86. Jahrestagung und Herztage 2020 der DGK*

* Online-Veranstaltung
** Avoid Stroke, Better Symptom Control, Comorbidities/CV Risik Factor Management