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Suizidalität Wie man Suizidgefährdete erkennt und ihnen helfen kann

Autor: Alexandra Simbrich

Sind diagnostische und therapeutische Maßnahmen unaufschiebbar notwendig, können sie im Rahmen eines übergesetzlichen Notstands erfolgen. Sind diagnostische und therapeutische Maßnahmen unaufschiebbar notwendig, können sie im Rahmen eines übergesetzlichen Notstands erfolgen. © Alexander Zhiltsov – stock.adobe.com
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Suizidalität gehört zu den wichtigsten psychi­atrischen Notfällen, die jedem Arzt zu jeder Zeit begegnen können. Wie lässt sich eine Gefährdung erkennen? Und wie geht man mit einem Menschen um, der Suizid­gedanken hat?

Das Erkennen und Einordnen einer Selbsttötungsgefahr zählt zu den größten Herausforderungen in der notfallmedizinischen Versorgung, schreiben PD Dr. Michael­ Rentrop­ und Prof. Dr. Peter­ Zwanzger­ vom kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg­ am Inn. Zwar ist die Zahl der vollendeten Suizide in Deutschland seit 40 Jahren rückläufig, berichten die beiden Psychiater. Doch noch immer nehmen sich jährlich etwa 10.000 Menschen hierzulande das Leben.

Auslöser suizidaler Krisen und in diesem Zusammenhang wichtige psychiatrische Diagnosen sind Depressionen sowie Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie und Suchterkrankungen, insbesondere die Alkoholabhängigkeit. Aber auch körperliche Leiden und andere Faktoren können das Risiko für lebensmüde Gedanken oder suizidale Handlungen erhöhen. Darunter sind schwerwiegende und maligne Erkrankungen, anhaltende Schmerzen sowie psychosoziale Krisen durch Armut oder Verlust von nahestehenden Menschen, aber auch Suizidversuche in der Vorgeschichte oder Selbsttötungen im sozialen Umfeld.

Viele lebensmüde Menschen kündigen ihren Suizid an

Äußert ein Patient Suizidgedanken, sollten Ärzte dies in jedem Fall ernst nehmen und weitere Fragen stellen. Denn bei drei von vier vollendeten Suiziden gingen den Selbsttötungen direkte oder indirekte Ankündigungen voraus. Und fast jeder zweite Suizidant (45 %) befand sich zuvor in ärztlicher Behandlung. Mediziner zählen für Suizidgefährdete somit zu den wichtigsten Ansprechpartnern.

Bei Notfallpatienten sollte die Ausprägung der suizidalen Gefährdung im Rahmen der psychopathologischen Befunderhebung erfasst werden. In einem einfühlsamen und vertrauensvollen Gespräch muss der Arzt klären, ob eher von einem passiven Todeswunsch oder einer ambivalenten Haltung auszugehen ist oder von einem festen Entschluss zum Sui­zid. Konkrete Fragen können sein:

  • Wenn Sie mir schildern, wie schlecht es Ihnen geht, haben Sie dann einmal den Gedanken ge­habt, morgens am liebsten gar nicht mehr aufzuwachen?
  • Geht es Ihnen so schlecht, dass Sie denken, das Leben habe keinen Sinn mehr?
  • Haben Sie zuletzt den Gedanken gehabt, es wäre besser, wenn Ihr Leben vorbei wäre?
  • Haben Sie daran gedacht, sich das Leben zu nehmen?
  • Haben Sie eine bestimmte Methode erwogen, sich umzubringen? Haben Sie bereits Vorbereitungen getroffen?
  • Haben Sie einen Abschiedsbrief geschrieben oder Ihre Angelegenheiten geregelt?
  • Haben Sie mit jemandem über Ihren Todeswunsch gesprochen?
  • Was hält Sie am Leben?

Die Sorge, durch diese Fragen eine Selbsttötungshandlung auszulösen, ist unbegründet, betonen die Experten. Vielmehr stellt ein solches Gespräch eine Hilfe für den suizidgefährdeten Patienten mit ambivalenter Haltung dar. Oder es hilft dem Arzt bei der Einschätzung, ob ein Suizidversuch eher als para­suizidale Pause oder als appellative Handlung zu bewerten ist oder doch als konkrete autoaggressive Tat (s. Kasten­).

Parasuizid oder Suizidversuch?

Vielen Suizidversuchen liegt eher der Wunsch nach entlastender Ruhe und einer Pause zugrunde als die klare Intention, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, schreiben Dr. Rentrop und Prof. Zwanzger. Man spricht dann von einer parasuizidalen Pause. Oft ist der Suizidversuch auch als Appell nach vermehrter Zuwendung und Beachtung durch Bezugspersonen zu verstehen, bezeichnet als parasuizidale Geste.

Eine sogenannte suizidale Handlung liegt erst bei echter Autoaggression und eindeutiger Selbsttötungsabsicht vor. Sie ist als nicht erfolgter Suizid zu betrachten, das Auffinden erfolgt meist zufällig.

Abhängig von der Schwere der Krise schließt sich an die psych­iatrische Notfallversorgung die weitere, differenzierte psychotherapeutische oder psychiatrische Betreuung an. Bei akuter Suizidgefahr können in der Notfallsituation Benzo­diazepine diagnoseübergreifend die Anspannung lösen und den Handlungsdruck reduzieren.

Geeignet ist in erster Linie Lorazepam­ 1–2,5 mg p.o. oder i.v., alternativ Diazepam­ 5–10 mg p.o. oder i.v. Lässt sich der Patient nur begrenzt oder gar nicht auf Anti­suizid-Absprachen ein, ist von einer akuten bis schweren Gefährdung auszugehen und entsprechend zu handeln (s. Tabelle­).

Suizidale Gefährdung und differenzierter Interventionsbedarf

Suizidale Gefährdung

Kennzeichen

Interventionsbedarf

latent

  • passive Todeswünsche ohne suizidale Handlungsabsicht

  • Wunsch, „morgens nicht mehr aufzuwachen“

  • psychotherapeutische Hilfen anbieten

  • bei Verschlechterung oder Neuauftreten psychischer Störungen stationäre Krisen intervention

manifest

  • intensive gedankliche Beschäftigung mit dem Thema Suizid ohne konkreten Handlungsplan

  • stationäre psychiatrische Behandlung

  • Krisenintervention

akut

  • anhaltende Suizidgedanken mit konkreten Handlungsplänen

  • drängender Todeswunsch

  • Überwachung auf einer psychiatrischen Akutstation

  • Notfallmedikation nach Grunderkrankung

schwer

  • Suizidhandlung steht unmittelbar bevor

  • Unterbrechung eines Suizidversuchs, z.B. durch den Rettungsdienst

  • lückenlose Überwachung

  • Unterbringung in einer psychiatrischen Fachklinik

  • sedierende und entaktualisierende Notfallmedikation

Beim Notstand geht’s zunächst auch ohne Richter

Bei psychiatrischen Notfällen wie akuter Suizidalität können ärztliche Maßnahmen nicht immer vorab richterlich genehmigt werden. Handeln dürfen Ärzte dennoch: Sind diagnostische und therapeutische Maßnahmen unaufschiebbar notwendig, können sie im Rahmen eines übergesetzlichen Notstands erfolgen. Allerdings müssen sie dann innerhalb von 24 Stunden von einem Richter geprüft und genehmigt werden.

Quelle: Rentrop M, Zwanzger P. Dtsch Med Wochenschr 2023; 148: 406-422; DOI: 10.1055/a-1967-6310


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