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Prognose Herzstillstand überlebt, Hirn geschädigt

Autor: Dr. Judith Lorenz

Neurologische Defizite fallen am geringsten aus, wenn rasch reanimiert wird und ein Defi zum Einsatz kommt. Neurologische Defizite fallen am geringsten aus, wenn rasch reanimiert wird und ein Defi zum Einsatz kommt. © iStock/Pixel_away
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Weltweit erleiden jedes Jahr mehr als eine halbe Million Menschen einen Herzstillstand außerhalb einer Klinik. Etwa jeder Dritte kann reanimiert werden und erreicht lebend das Krankenhaus. Letztlich schaffen es aber nur wenige mit günstiger neurologischer Prognose nach Hause.

Einem Herzstillstand liegt zumeist eine kardiale Problematik zugrunde. Besteht eine schockbare Rhythmusstörung, d.h. ein Kammerflimmern oder eine ventrikuläre Tachykardie, sind die Überlebenschancen des Betroffenen deutlich besser als bei einer pulslosen elektrischen Aktivität bzw. einer Asystolie. Auch die Dauer der Bewusstlosigkeit spielt für die Prognose eine wichtige Rolle: Das günstigste Outcome haben diejenigen Patienten, die nach dem Wieder­anspringen der Zirkulation rasch zu sich kommen, schreiben Professor Dr. Gavin Perkins von der Abteilung für Critical Care Medicine­ der Universität Warwick und weitere Wissenschaftler.

Zeit während und nach der Reanimation zählt ebenfalls

Eine Metaanalyse von 2016 brachte die Prognose folgendermaßen auf den Punkt: Von 100 erfolgreich reanimierten Patienten sind bei Klinik­aufnahme etwa 10 bei Bewusstsein und 90 komatös. Von den 90 komatösen Patienten zeigen im Verlauf des stationären Aufenthalts 31 neurologische Verbesserungen. Bei den Übrigen wird entweder aufgrund der schlechten Chancen die Behandlung abgebrochen oder sie sterben durch Hirntod oder therapierefraktären Schock bzw. Organversagen. Letztlich können nur 30 Patienten mit günstigem neurologischem Outcome entlassen werden. Zehn verlassen die Klinik in schlechtem neurologischem Zustand, 60 sind im Krankenhaus gestorben­.

Das Ausmaß der Hirnschädigung bzw. der späteren neurologischen Defizite hängt zum einen von der zerebralen Ischämiedauer während des Herzstillstands („no flow“) ab. Am geringsten fallen sie aus, wenn Ersthelfer den Herzstillstand schnell erkennen, frühzeitig mit der qualifizierten Reanimation beginnen und öffentlich zugängliche Defibrillatoren nutzen. Zum anderen sind Sekundärschäden, die während der Reanimation entstehen („low flow“) von Bedeutung, erläutern Prof. Perkins und Kollegen.

Der Zeitraum nach Wiedereinsetzen des Spontankreislaufs sei ebenfalls eine kritische Phase: Reperfusionsschäden sowie eine anhaltende oder rezidivierende zerebrale Hypoxie zum Beispiel infolge von Hypotension, erhöhtem Hirndruck, Krampfanfällen, Dysglykämie oder Hyperthermie können schwere sekundäre Hirnschäden verursachen. Bei dem reanimierten Patienten ist daher für Normoxie, Normokapnie und stabile Blutzuckerspiegel zu sorgen, Blutdruckabfälle müssen verhindert und Krampfanfälle adäquat behandelt werden. Zusätzlich profitieren die Betroffenen von einer milden therapeutischen Hypothermie im Sinne eines targeted temperature management.

Vor allem für die Angehörigen von Patienten, die nach einem Herzstillstand komatös bleiben, ist die Prognoseabschätzung wichtig: Eine ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit für einen günstigen Verlauf rechtfertigt das Fortsetzen der medizinischen Behandlung, wogegen bei einer infausten Prognose in einigen Gesundheitssystemen ein Beenden der lebenserhaltenden Maßnahmen bzw. eine Freigabe der Organe des Betroffenen zur Organspende möglich wird. Eine Beurteilung der neurologischen Prognose sollte allerdings frühestens 72 Stunden nach dem Herzstillstand erfolgen, da die Mehrzahl der Personen, die im Verlauf ihr Bewusstsein wieder erlangen, bis zu diesem Zeitpunkt aus dem Koma erwacht sind, berichten Prof. Perkins und Kollegen.

Als Untersuchungsmethoden bieten sich außer der klinischen Beurteilung (u.a. Glasgow Coma Scale, Pupillenreflex) die neurophysiologische Diagnostik (EEG, somatosensorisch evozierte Potenziale), eine zerebrale Computertomographie sowie verschiedene Biomarker (u.a. neuronspezifische Enolase) an.

Langzeitfolgen der erfolgreichen Reanimation

  • 25–55 % der Überlebenden sind kognitiv beeinträchtigt. Eine Erholung kann bis zu sechs Monate, manchmal noch länger dauern.
  • Über Angstsymptome klagen nach zwölf Monaten bis zu 34 % der Patienten, über Depressionen bis zu 15 %.
  • Jeder Vierte berichtet 6–12 Monate nach dem Ereignis über posttraumatischen Stress. Von den Angehörigen geben 1–2 Jahre nach der (miterlebten) Wiederbelebung noch bis zu einem Drittel posttraumatische Stresssymptome an.
  • Nach sechs Monaten leiden bis zu 71 % der Patienten unter körperlicher und kognitiver Fatigue, nach zwölf Monaten sind es 50 %.
  • Etwa jeder zweite Überlebende fühlt sich auch ein halbes Jahr nach der Reanimation körperlich und in seinen üblichen Aktivitäten eingeschränkt. Bei vielen sind die Limitationen auch nach einem Jahr noch nachweisbar.
  • Von den Berufstätigen sind nach sechs Monaten etwa die Hälfte und nach zwölf Monaten bis zu 85 % wieder bei der Arbeit.

Nach der Entlassung Schmerz und Fatigue erfragen

Etwa jeder dritte intensivmedizinisch behandelte Herzstillstandpatient überlebt, so das Fazit der Wissenschaftler. Allerdings benötigen viele Betroffene langfristig eine gezielte und intensive Rehabilitationsbehandlung. Nach der Entlassung aus der Klinik sollten sie daher regelmäßig auf relevante neurologische Defizite untersucht werden. Hierzu zählen neben kognitiven, emotionalen und physisch-funktionellen Einschränkungen auch die Schmerz- und Fatigue-Belastung. Relevant sind auch die soziale Teilhabe, die Rückkehr ins Arbeitsleben sowie die gesundheitsbezogene Lebensqualität­.

Quelle: Perkins GD et al. Lancet 2021; DOI: 10.1016/S0140-6736(21)00953-3